Ukraine-Krieg, Wirtschaft und EU-Erweiterung: Europa rüstet sich für Trump-Rückkehr
Die EU hat in den vergangenen Jahren einiges für ihre strategische Autonomie getan. Aber viele Experten bezweifeln, dass sie damit für eine Rückkehr von Donald Trump gerüstet wäre.
Den Verantwortlichen in Brüssel, Berlin und Paris schwant, dass sie bald schwere Entscheidungen erwarten. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“, sagte Angela Merkel. Das war 2017 und Donald Trump erst kurz im Amt als US-Präsident. Die damalige Bundeskanzlerin hielt in einem Münchner Bierzelt eine Rede, die weltweit beachtet wurde.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie Europe.Table am 23. Januar 2024
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Es war ein Weckruf, doch sind den Worten konkrete Taten gefolgt?
Vor einem möglichen Comeback Donald Trumps werden in Brüssel am Sitz von EU und Nato wieder bange Fragen gestellt. Ist Europa diesmal vorbereitet? Es gibt die Berufseuropäer und Optimisten unter den Diplomaten, die das Glas zumindest halb voll sehen: Europa habe die Widerstandskraft gestärkt und die wichtigsten Lehren gezogen, argumentieren sie. So habe die EU das Konzept der strategischen Autonomie mit Inhalten gefüllt. Die Unternehmen haben die Lieferketten diversifiziert und Abhängigkeiten reduziert, sagt ein Diplomat.
Die EU hat nun den sogenannten strategischen Kompass, einen Aktionsplan, um die eigene Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit bis 2030 zu stärken. Und mit der Friedensfazilität erstmals einen gemeinsamen Geldtopf, um Kriegsmaterial zu kaufen – wovon insbesondere die Ukraine profitiere. Man investiert über die Verteidigungsagentur gemeinsam in Forschung und Entwicklung der Rüstung von morgen. Alles vor einigen Jahren noch unvorstellbar.
NATO-Staaten geben mehr für Verteidigung aus
Auch bei der Nato könnte ein gut gestimmter Donald Trump bei einem nächsten Gipfel positive Entwicklungen begrüßen und auf sein eigenes Konto verbuchen. Nicht mehr nur drei, sondern immerhin zehn Verbündete erreichen nun das Ziel, mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, das sich die Nato 2014 nach der russischen Krim-Annexion gesteckt hat. Aber Trump wäre nicht Trump, wenn er bei einem Comeback nicht hervorheben würde, dass die Mehrheit die Vorgabe noch immer nicht oder wie Deutschland nicht dauerhaft schafft.
Und auch bei der EU sind es bisher eher Trippelschritte Richtung Selbstständigkeit. Das zeigt sich wieder bei der mühevollen Vorbereitung der Marineoperation im Roten Meer - immerhin die wichtigste Lebensader für die europäische Wirtschaft und seit dem Krieg um Gaza den Angriffen der jemenitischen Huthi-Rebellen ausgesetzt. Die USA und Großbritannien sind derweil längst vor Ort. Oder bei den Schwierigkeiten, Ungarns Veto zu überwinden und die Mittel der Friedensfazilität aufzustocken, um weiterhin per Militärhilfe der Mitgliedstaaten die Ukraine unterstützen zu können.
Verteidigung soll Priorität der neuen Kommission werden
Es verwundert daher nicht, dass sich die kritischen Stimmen mehren, die das Glas „halb leer“ und Europa schlecht gerüstet sehen. Spätestens seit der ersten Vorwahl der Republikaner in Iowa mit dem klaren Sieg von Donald Trump läuteten in Brüssel und vielen Hauptstädten die Alarmglocken, sagt Siegfried Mureșan, einflussreicher Vize-Chef der Christdemokraten im Europaparlament. Leider habe man nach der Wahl von Joe Biden die Trump-Präsidentschaft als Ausrutscher gesehen und danach kostbare Zeit verloren.
Die EU müsse den Worten jetzt auch Taten folgen lassen. Sicherheit und Verteidigung müsse eine „strategische Priorität“ der nächsten Kommission sein, fordert der Rumäne. Es müsse einen eigenen Kommissar für Sicherheit und Verteidigung geben. Priorität müsse Erweiterung und Nachbarschaftspolitik gelten, um die Ukraine sowie Moldau und die Balkanstaaten möglichst rasch an die EU heranzuführen.
Ukraine-Deal auf Kosten Europas?
Der USA- und China-Experte Reinhard Bütikofer warnt davor, „mit behäbigem Fatalismus darauf zu warten, ob die Schlange zuschnappt“. Die Europäer müssten jetzt dringend über einen Plan B nachdenken, also etwa gemeinsam vereinbaren, der Ukraine alles zu liefern, was diese brauche, um sich gegen Wladimir Putin zu behaupten. Nathalie Loiseau, liberale EU-Abgeordnete aus Frankreich und enge Vertraute von Präsident Emmanuel Macron, fordert, der Kontinent müsse mehr Verantwortung übernehmen, insbesondere in seiner Nachbarschaft.
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Vor allem mit Blick auf die Ukraine sind die Sorgen groß. Trump inszeniert sich gerne als Dealmaker und könnte Kiew zu Friedensverhandlungen drängen – notfalls gegen die Interessen Europas: „Die Situation in der Ukraine ist so schrecklich. Wir werden dafür sorgen, sie zu lösen“, versprach Trump jüngst. Wie genau, das ließ er offen. Eines scheint jedoch klar zu sein: Die massive Finanz- und Waffenhilfe für Kiew dürfte er so nicht fortsetzen. „Wir verschenken so viel Ausrüstung, dass wir im Moment keine Munition für uns selbst haben“, behauptete er.
Schwierige Diskussion über Wehrhaftigkeit
Druckmittel hätte Trump wohl genug. Denn auch die NATO-Unterstützung der USA könnte er als Präsident infrage stellen. Schon zum Ende seiner ersten Amtszeit soll der 77-Jährige gedroht haben, im Falle eines Angriffs auf Europa keine Militärhilfe zu leisten – und damit die Bündnisverpflichtung zu ignorieren. Das behauptete jüngst EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton bei einer Podiumsdiskussion im EU-Parlament. Der US-Kongress hat daher bereits per Gesetz vorgesorgt: Künftig darf kein Präsident die NATO-Mitgliedschaft aussetzen oder aufkündigen, ohne dass ein entsprechendes Gesetz des Kongresses oder die Zustimmung von zwei Dritteln des Senats vorliegt.
Doch die Europäer werden um eine schwierige Diskussion über ihre Wehrhaftigkeit kaum herumkommen. Kanzler Olaf Scholz wird die Kollegen aus den anderen EU-Staaten beim Sondergipfel am 1. Februar drängen, mehr Waffen und Ausrüstung an die Ukraine zu liefern. Auch auf Drängen Berlins soll die Friedensfazilität umfunktioniert werden, um gemeinsame Rüstungsbeschaffungen zu fördern. Breton lancierte zudem unlängst die Idee, einen 100 Milliarden Euro schweren europäischen Verteidigungsfonds zu schaffen.
In Berlin werden solche Ankündigungen noch zurückhaltend aufgenommen. Doch auch in der Bundesregierung schwant manchen, dass Deutschland in naher Zukunft womöglich deutlich mehr als zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung wird ausgeben müssen – womöglich im Verbund mit den europäischen Verbündeten. Trump könnte für diese bislang nur hinter den Kulissen geführte Diskussion als Katalysator wirken.
IRA: Auch EU-Firmen leiden unter Unsicherheit
Im Wettlauf um die grüne Transformation der Wirtschaft dürften die Karten mit Trump im Weißen Haus ebenfalls neu gemischt werden. Der Ex-Präsident hat mehrfach angekündigt, die industriepolitischen Programme von Joe Biden wie den Inflation Reduction Act (IRA) rückgängig zu machen. Trump bezeichnete sie mitunter als „grünen Schwindel“, der Arbeitsplätze kosten und Energie teuer machen würde. „Windräder rosten, sie verrotten, sie töten die Vögel“, sagte Trump in einem Wahlkampfvideo. Stattdessen will er Öl- und Gasexplorationen ausweiten.
Die Analysten der „Economist Intelligence Unit“ rechnen aber mit breitem Widerstand gegen Trumps Pläne. „Wir gehen davon aus, dass die Privatwirtschaft sich wehren wird“, heißt es in einem Bericht. Außerdem profitieren republikanisch dominierte Gegenden des Landes besonders stark von den angestoßenen Investitionen, sodass auch zahlreiche Parteikollegen von Trump die Maßnahmen unterstützen.
Cathryn Clüver Ashbrook, Senior Advisor bei der Bertelsmann Stiftung, rechnet aber damit, dass die Republikaner den IRA dennoch zumindest in seiner jetzigen Form zurückziehen würden – allein, weil es ein Gesetz der Demokraten ist. Auch viele europäische Firmen profitierten von den Steueranreizen, „für sie würde das große Planungsunsicherheiten bedeuten“, warnt die Expertin.
Trump will Zollring um die US-Wirtschaft legen
Noch stärker als bislang müsste die EU, immerhin der zweitgrößte Handelspartner der Vereinigten Staaten, jedoch mit Strafzöllen rechnen. Mit seinen Beratern diskutiert Trump bereits den Plan, einen „Ring um die amerikanische Wirtschaft“ zu legen. Seine jüngste Idee: ein Basiszoll in Höhe von zehn Prozent für alle. Zuletzt lag der amerikanische Durchschnitt bei 3,4 Prozent.
US-Wirtschaftsvertreter warnen bereits vor einem möglichen Handelskrieg, der über die Stahl- und Aluminiumzölle aus Trumps erster Amtszeit hinausgeht. Zölle zu erheben und keine Abkommen mehr zu schließen, das bedeute, „unserer eigenen Wirtschaft Schaden zuzufügen“, sagte Suzanne Clark, Präsidentin der amerikanischen Handelskammer, vor wenigen Tagen beim virtuellen Jahrestreffen.
Clüver Ashbrook rät daher: „Die EU sollte versuchen, weitere Verbündete wie die Mercosur-Staaten, Indien oder Australien in strategischen Fragen zu gewinnen, die auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit einzahlen“. Leider sei sie dabei zuletzt aber nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Mit Laurin Meyer