Regionalwahlen in Russland: Dorf im Ural probt den Aufstand gegen Putin
Kleine lokalpolitische Fragen sind häufig die letzte Möglichkeit für Proteste gegen Putins Machtapparat. Anti-Kriegspartei von Gouverneurswahl ausgeschlossen.
Moskau – Am Uralgebirge regt sich Widerstand gegen den dortigen Statthalter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bürgerinnen und Bürger des Dorfes Tyulyuk wollen die Regionalwahlen am kommenden Sonntag (8. September) boykottieren, berichtete das Exilmedium Moscow Times. Grund für die Proteste ist demnach nicht der Ukraine-Krieg, sondern die Wut der hauptsächlich älteren Bevölkerung über die Vernachlässigung der Region durch den Gouverneur Aleksei Teksler und das ferne Moskau.

Fern von Moskau: Menschen wollen bei Regionalwahlen in Russland gegen Putins Statthalter aufbegehren
Tyulyuk liegt am südlichen Ende des Ural-Gebirges, das als Grenze zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil Russlands gilt, in der Grenzregion Tscheljabinsk. Es liegt näher an der kasachischen Hauptstadt Astana, als am etwa 1700 Kilometer entfernten Moskau. Konkreter Anlass des Bürgerprotestes ist die Enttäuschung über den Zustand der einzigen Straße in das Dorf. Die Straße sei „unbenutzbar“, zitierte das Portal einen Bürger, der riesige Schlaglöcher und unterspülte Passagen kritisierte, 20 Jahre lang sei die Straße vernachlässigt worden, nun sei das Dorf praktisch abgeschnitten von der Außenwelt.
Putins Gouverneur ignoriert Seelenschreie vor Regionalwahlen in Russland
Dem Bericht zufolge förderte die Regionalregierung von Gouverneur Teksler statt dem Infrastrukturausbau den Wiederaufbau zweier Städte in den von Russland besetzten Gebieten in der ostukrainischen Region Donezk. „Da sie uns ignorieren und die Schreie unserer Seelen nicht hören, werden wir nicht zur Wahl, in unserem Dorf gehen“, sagte ein Bürger demnach in einem an Teksler gerichteten Protestvideo. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) sind lokale Bürgerinitiativen zu konkreten Sachfragen in Russland vielerorts, die letzte Protestmöglichkeit.
Auf dem Papier seien drei Gegenkandidaten gegen Teksler, der seit Russlands Vollinvasion der Ukraine mit US-Sanktionen belegt ist, zur Wahl zugelassen. Allerdings sei bereits vor der Wahl klar, dass diese lediglich „Sparringpartner“ für Amtsinhaber seien, wie der Bericht eine Quelle zitierte. Ein Kandidat der Anti-Kriegspartei Jabloko sei nicht zugelassen worden. Kritik am Krieg wird mit langen Haftstrafen unterdrückt. Am Sonntag stehen in 21 russischen Regionen Gouverneurswahlen an.
„Haltet euch da raus“ – Putin schafft Klima der Angst in Russland
Zuletzt kam es während vom Putin-Regime orchestrierten Präsidentschaftswahl im März zu Protesten im ganzen Land. Diese wurden teils brutal niedergeschlagen. Putin gewann mit etwa 88 Prozent der abgegebenen Stimmen. Er klinge nicht, „als betrachte er die nächsten sechs Jahre im Kreml als das letzte Kapitel seiner Regentschaft“, kommentierte damals die Frankfurter Rundschau.
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Abseits der lokalpolitischen Detailfragen hat Putins Machtapparat diverse Mittel in der Hand, um Menschen vereinzelt und vor allem in den großen Fragen von Krieg, Frieden, Freiheit und Demokratie stumm zu halten. Mit Gesetzen, die Kritik an der russischen Armee verbieten, habe Putin ein Klima geschaffen, das „den Menschen vermittelt: Haltet euch da raus, dann lässt der Staat euch in Ruhe“, sagte Peter Franck, Russland-Experte von „Amnesty Deutschland“ vor der Präsidentschaftswahl unserer Redaktion. (kb)