Kommentar von Hugo Müller-Vogg - ZDF-Runde beginnt kindisch und blendet Thema mit Zoff-Potential fast völlig aus

Wer kein Politik-Freak ist oder nicht aus beruflichen Gründen gezwungen war, die von ARD und ZDF am Donnerstagabend ausgestrahlte „Schlussrunde“ dieses Wahlkampfes anzuschauen, beging keinen Fehler, spätestens nach einer Viertelstunde um- oder abzuschalten. Denn die beiden Moderatoren Markus Preiß (ARD) und Diana Zimmermann (ZDF) waren anfangs kaum in der Lage, die acht Diskutanten halbwegs im Zaun zu halten –im weiteren Verlauf der Sendung ebenso wenig.

Nach all den Duellen, Quadrellen und sonstigen TV-Runden wollten ARD und ZDF irgendwie etwas Neues versuchen. Zu Beginn eines jeden Themenblocks durften die Teilnehmer – die Generalsekretäre von CDU und SPD, Carsten Linnemann und Matthias Miersch, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, FDP-Chef Christian Lindner, Sahra Wagenknecht (BSW) und Jan van Aken (Linke) – Kärtchen mit Ja oder Nein hochhalten, um die Eingangsfrage zu beantworten. Das sollte originell sein, wirkte aber eher kindisch.

„Schlussrunde“ von ARD und ZDF: Kandidaten gehen auf Nummer sicher

Von all den vielen anderen Wahlsendungen unterschied sich die „Schlussrunde“ wenigstens thematisch. Es wurde über die Themen gesprochen, die bei vielen anderen Sendungen ausgeblendet blieben: Gesundheit, Pflege, Bildung, Wehrpflicht oder Klima. Dafür kam das Thema, das die Menschen neben der schlechten Wirtschaftslage am meisten bewegt, nur am Rande vor: Migration.

Inhaltlich war nichts Neues zu erfahren. Was auch nicht zu erwarten war. 58 Stunden vor der Öffnung der Wahllokale macht kein Wahlkämpfer ein neues Fass auf. Da geht man auf Nummer sicher, will unter keinen Umständen einen Fehler machen. Gleichwohl war interessant, wie unterschiedlich die Kombattanten auftraten.

Am aggressivsten gab sich Baerbock

Am streitlustigsten, ja aggressivsten gab sich Baerbock. Sie nervte selbst die Moderatoren mit ihrem ungebremsten Redeschwall, unterbrach jeden und jede, zog aber beleidigt die Frauen-Karte, wenn ihr ein Mann ins Wort fiel. 

Man wurde den Eindruck nicht los, Baerbock wollte sich, der Nation und nicht zuletzt der eigenen Partei beweisen, was sie für eine tolle Kanzlerkandidatin gewesen wäre. Sie saß in der Mitte, gestikulierte, als dirigiere sie ein großes Orchester, und versuchte – vergeblich – die Runde zu dominieren. 

So trug Baerbock maßgeblich dazu bei, dass bisweilen kein Zuschauer mehr verstand, wer was sagte. Vor allem Lindner und Dobrindt intervenierten häufig, worauf sie ihren Redeschwall noch intensivierte. Sympathiepunkte sammelte sie jedenfalls nicht.

„Scholz-Ersatz“ Miersch hielt sich auffällig zurück

Man kann nachvollziehen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Herausforderer Friedrich Merz, anders als ursprünglich geplant, diesem Jeder-gegen-Jeden-Tohuwabohu fernblieben. Das war sicher kein Fehler. Acht Teilnehmer sind mindestens vier zu viel. 

„Scholz-Ersatz“ Miersch hielt sich auffällig zurück. Der Wahlkampfmanager der SPD verzichtete darauf, im Stil des Noch-Kanzlers zu behaupten, die Ampel wäre eine einzige Erfolgsgeschichte gewesen. Miersch trug die bekannten SPD-Position vor, wirkte dabei aber so, als habe er sich mit dem zu erwartenden – schlechten – Wahlausgang bereits abgefunden.

CDU-Generalsekretär Linnemann vermied unnötige Schärfen

CDU-Generalsekretär Linnemann machte es wie Kanzlerkandidat Merz. Er vermied unnötige Schärfen. Es war spürbar, dass er bereits an die Zeit nach Schließung der Wahllokale denkt. 

Schließlich wird die Union mit SPD und Grünen ins Gespräch kommen müssen, um eine regierungsfähige Mehrheit zu finden. Doch wurde auch in dieser Sendung klar, dass der Graben zwischen Union und Grünen viel tiefer ist als der zwischen Union und SPD. 

CSU-Mann Dobrindt gibt sich streitlustig

Streitlustig war CSU-Mann Dobrindt. Er fuhr Baerbock, aber ebenso der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, mehrfach in die Parade: „Sie lügen“. 

Der schönste Wortwechsel. Weidel zu Dobrindt: „Ich falle Ihnen nicht ins Wort!“ Dobrindt: „Aber ich Ihnen!“

FDP-Chef Lindner präsentierte als Mann der Zahlen 

FDP-Chef Christian Lindner ließ sich nicht anmerken, wie sehr die FDP um den Wiedereinzug in den Bundestag und möglicherweise um ihre Existenz bangen muss. Dass die Partei im aktuellen „Politbarometer“ bei 4,5 Prozent steht, bewertete er mit dem Mut der Verzweiflung positiv: immerhin ein Zuwachs um 0,5 Prozentpunkte.

Ansonsten präsentierte sich Lindner als Mann der Zahlen und seriöser Sachwalter. Was immer an Forderungen von der linken Seite kam: Lindner klebte gleich das Preisschild drauf. 

Auffällig, dass in dieser Runde SPD und Grüne nicht das bei ihnen so beliebte Horrorszenario an die Wand malten, die CDU/CSU könnte nach der Wahl mit den „Nazis“ von der AfD gemeinsame Sache machen. Wäre Olaf Scholz dabei gewesen, hätte er das sicher mit Leidensmiene angesprochen.

Weidel giftet gegen die Union

Das wäre schon deshalb wenig glaubwürdig gewesen, weil Weidel bei ihren Einlassungen vor allem gegen die Union giftete. Alles, was in diesem Land schiefläuft, schob sie in erster Linie der Union in die Schuhe. 

Außenpolitisch liegt Weidel ganz auf der Linie von Trump und Putin: Man solle sich an den Verhandlungstisch setzen. Dass hier über die Köpfe der Ukrainer verhandelt wird, interessiert sie nicht. Im Zweifelsfall stehen ihr der Kriegsverbrecher Putin und sein neuer Freund Trump näher als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

BSW-Gründerin Wagenknecht zeigt viel Verständnis für Putin

Ebenfalls viel Verständnis für Putin zeigte BSW-Gründerin Wagenknecht. „Wir haben nach wie vor eine große Kriegsgefahr in Deutschland, weil wir uns hier in einem wahnsinnigen Wettrüsten befinden“, meint sie. Also sind die Deutschen mit ihren Waffenlieferungen an Kiew schuld. 

Dass das BSW den aktuellen Umfragen zufolge nicht über fünf Prozent kommen wird, scheint Wagenknecht zuzusetzen. Ausgerechnet sie, der von den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern stets eine Bühne geboten wurde, beklagt nun die angeblich unfaire Behandlung durch die Medien.

Jan van Aken, Spitzenkandidat der Linken, war überraschend gelassen

Jan van Aken, der gern polternd auftretende Spitzenkandidat der Linken, war in der „Schlussrunde“ überraschend gelassen. Er nutzte natürlich jede Gelegenheit – ob bei der Pflegeversicherung oder beim Thema Krankenkassen – für sein Lieblingsprojekt zu werben: Die „Hochverdiener“, also die Erfolgreichen, ärmer zu machen. Umverteilung ist sein zentrales Thema.

Van Aken schien sehr sicher zu sein, dass die Linke – trotz der Konkurrenz durch Wagenknecht – wieder in den Bundestag einziehen wird. Warum sich also unnötig aufregen?

Schön, dass dieser Wahlkampf in zwei Tagen vorbei ist

Fazit der „Schlussrunde“: Wie schön, dass dieser Wahlkampf in zwei Tagen vorbei ist. ARD und ZDF rechneten offenbar selbst nicht mit einer guten Einschaltquote für ihre „Schlussrunde“.

Die ursprünglich zur besten Sendezeit geplante Runde verschoben die Programmmacher nach den Absagen von Scholz und Merz auf 22:00 Uhr. Sie erhofften sich vom „Bergdoktor“ (ZDF) und dem Krimi „Die Bestatterin (ARD) um 20:15 Uhr die besseren Quoten. Spannender und besser fürs Gemüt waren diese beiden Sendungen allemal.