„Wir bluten aus“: Brody in der Ukraine wünscht sich mehr Anteilnahme aus der Partnerstadt Wolfratshausen

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Führten in Wolfratshausens Partnerstadt ein intensives Gespräch: Helfer und Journalist Arnold Zimprich (li.) aus Königsdorf und Brodys Bürgermeister Anatolij Belej. © Tanja Lühr

Arnold Zimprich aus Königsdorf reist in die Ukraine, um Hilfe zu leisten. Trotz der Gefahr vor Ort ist er entschlossen, den Menschen in Not zu helfen. Seine Reisen offenbaren die harte Realität des Krieges.

Brody/Wolfratshausen – Obwohl Wolfratshausens Partnerstadt Brody im vermeintlich ruhigeren Westen der Ukraine liegt, leidet sie unter dem seit drei Jahren währenden russischen Angriffskrieg. Der Königsdorfer Arnold Zimprich war Anfang Januar in Brody und sprach dort mit Bürgermeister Anatolij Belej über die aktuelle Lage. Die Botschaft, die Zimprich mit nach Hause bringt: Belej würde sich über mehr Anteilnahme und Interesse seitens seines Wolfratshauser Amtskollegen und der Vereine in der Flößerstadt freuen.

Arnold Zimprich aus Königsdorf reiste in Wolfratshausens Partnerstadt Brody

Der Journalist Zimprich war bereits im August auf eigene Faust nach Lwiw (Lemberg) in der Ukraine gereist, um dort gemeinsam mit einheimischen Frauen und anderen Freiwilligen aus aller Welt Tarnnetze für die Männer an der Front zu weben. Er erinnert sich gut an ein Abschiedswort von damals: „Wir bluten aus“, sagte eine Ukrainerin angesichts der immer mehr werdenden Gefallenen. Laut Zimprich gibt es kein Dorf, in dem nicht mit Blumen, Kerzen und Stofftieren geschmückte Schautafeln mit den Fotos der toten Soldaten stehen.

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Brody nahm rund 3000 Binnenflüchtlinge auf

Anfang Januar fuhr der 46-Jährige erneut für zehn Tage in das Kriegsland. Wie berichtet hatte er mithilfe von Spendengeldern 50 Taschenöfen für Fallschirmjäger im Donbass-Gebiet gekauft, die er überreichte. Außerdem half er am Hauptbahnhof von Lwiw, Binnenflüchtlinge mit Essen und dem Nötigsten zu versorgen. An einem Tag empfing ihn schließlich Anatolij Belej im Rathaus von Brody. Vom Bürgermeister erfuhr der Königsdorfer, dass es wegen des Kriegs allerorten an Geld fehle. Bei Großprojekten wie der Trinkwasserversorgung sei die Stadt Brody mit ihren rund 23 000 Einwohnern auf sich alleine gestellt. Auch die Unterbringung der zahlreichen Binnenflüchtlinge müsse die Kommune selbst stemmen. 3000 würden derzeit in Brody leben, die meisten von ihnen seien privat untergebracht.

Gedenken: Auf dem Marktplatz von Brody zeigen Schautafeln die Gefallenen. Rund 200 Soldaten aus der Stadt sind bislang gestorben.
Gedenken: Auf dem Marktplatz von Brody zeigen Schautafeln die Gefallenen. Rund 200 Soldaten aus der Stadt sind bislang gestorben. © Tanja Lühr

Bislang keine Todesopfer durch Luftangriffe in Brody

In den Westen des Landes – Brody liegt nahe der polnischen Grenze – sind die Russen zwar noch nicht vorgedrungen. In Sicherheit wiegen können sich die Bevölkerung und die Geflüchteten dort aber nicht. Ein Militärflugplatz befindet sich rund fünf Kilometer Luftlinie vom Stadtzentrum entfernt. Sechs Angriffe habe es seit Beginn des Kriegs gegeben, berichtete Belej dem Königsdorfer, ein Angriff mit einer Ch-101 – das ist ein Marschflugkörper mit Tarnkappentechnik. „Ich danke Gott, dass wir hier in Brody bisher keine Todesopfer durch Luftangriffe zu beklagen hatten“, sagte der Rathauschef.

Die Trump-Regierung verursacht im Moment Stress und Missverständnisse. Es herrscht Unsicherheit über das Wie und Warum. Es wird ein Spiel über unsere Köpfe hinweg gespielt, ohne uns. 

Belej wünscht sich mehr Wolfratshauser Anteilnahme

Dafür gebe es mehr als 200 getötete Soldaten aus der Stadt, mehr als 70 Männer würden vermisst. „Ich sah Belej an, wie sehr ihn das schmerzt“, berichtet Zimprich. Der Rathauschef habe sich gewünscht, dass es vonseiten der Partnerstadt Wolfratshausen mehr Kooperationen gebe. Brody verfüge über ein lebendiges Vereinsleben, zum Beispiel einen sehr erfolgreichen Karateverein, Musikvereine, Tanzgruppen sowie Fußballclubs. An- und Verknüpfungspunkte gäbe es viele. „Wir würden uns freuen, wenn ab und zu mal jemand anklopft“, habe Belej gesagt.

Ausdrücklich gelobt worden sei die Osteuropahilfe aus dem Landkreis unter der Leitung von Maria Reitinger, die regelmäßig Sach- und Geldspenden bringt. Andrij Gromjak arbeitet vor Ort mit der Organisation zusammen. Der studierte Jurist und Busunternehmer lagert in einer Werkstatt, in der früher die Busse gewartet wurden, humanitäre Hilfsmittel. Windeln für die Kinder der Binnenflüchtlinge, Schlafsäcke, Isolationsbekleidung und Rollatoren für Kriegsversehrte, die aus dem Donbass geflüchtet sind, würden aktuell in erster Linie benötigt, so Zimprich. Zudem brauche die Armee dringend Fahrzeuge, da täglich etliche an der Front zerstört würden.

Zu helfen ist dem 46-Jährigen wichtig

Der Königsdorfer will Anfang März mit einem von Spenden gekauften Allradwagen, bepackt mit Hilfsgütern, nach Brody fahren. Warum der dreifache Familienvater sich so engagiert? Seine Eltern seien selbst von den Russen aus dem Sudetenland vertrieben worden, antwortet er. Gleich nach Kriegsausbruch sagte er sich: „Da muss man doch etwas tun“. Zuerst beteiligte er sich an Hilfslieferungen und nahm eine ukrainische Familie bei sich zu Hause auf. Jetzt engagiert er sich so oft wie möglich direkt vor Ort.

Trotz all des Leids habe er schöne Erlebnisse gehabt. Als er in Brody in einem kleinen Restaurant für umgerechnet drei Euro zu Mittag gegessen habe, sei er mit einer Frau am Nebentisch ins Gespräch gekommen. Sie habe wissen wollen, was er als Deutscher in der Ukraine mache. Als Zimprich ihr von seinen diversen Hilfsaktionen berichtet habe, habe die Frau zu weinen angefangen. Dann habe sie ihm von ihrem Mann und ihrem Sohn an der Front erzählt.

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„Es wird ein Spiel über unsere Köpfe hinweg gespielt“

Zimprich befragte Andrij Gromjak diese Woche per E-Mail ganz aktuell zur Stimmung drei Jahre nach Kriegsausbruch. Der Ukrainer schrieb: „Die Menschen sind müde, sie warten auf ein Wunder. Die Trump-Regierung verursacht im Moment Stress und Missverständnisse. Es herrscht Unsicherheit über das Wie und Warum. Es wird ein Spiel über unsere Köpfe hinweg gespielt, ohne uns.“ Gromjaks Zukunftswunsch: „Ich möchte in einer freien und friedlichen Ukraine leben. Stabilität, Entwicklung, Sicherheit, ein Leben ohne Terror. Wir wollen nicht Menschen dritter Klasse sein und wir wollen, dass unsere Kinder ohne Krieg leben.“ Von Tanja Lühr

Info: Alle Details über Arnold Zimprichs Spendenaktion findet sich auf der Internetseite www.gofundme.com/f/pickups-fur-die-ukraine.

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