Merz attackiert Putin: „Keinerlei Reichweitenbeschränkungen“ für West-Waffen
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Bundeskanzler Friedrich Merz sieht die Ukraine von Beschränkungen in der Nutzung westlicher Waffen befreit; von bereits gelieferten sowie künftigen.
Berlin – „Am 6. Januar ist Deutschland in den russisch-ukrainischen Krieg eingetreten, es ist ein Stellvertreterkrieg. Die Ukraine muss ihn gewinnen, oder (auch) Deutschland wird ihn verlieren“, hat Nikolaus Blome für den Spiegel geschrieben, als der Ukraine-Krieg fast ein Jahr alt war, und sich der damalige Bundestag unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entschlossen hatte, als schnelle Rüstungshilfe Marder-Schützenpanzer zu liefern – nach langem Zögern und unter der Prämisse, dass Deutschland keine Kriegspartei werden dürfe. Scholz‘ Vorsicht hat zum aktuellen Dahinsiechen des Krieges beigetragen. Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ist jetzt rhetorisch an der Front aufmarschiert, um Lösungen zu schaffen.
„Ein Land, das sich nur im eigenen Territorium einem Angreifer entgegenstellen kann, verteidigt sich nicht ausreichend“, zitiert ihn die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Merz sagte weiter, die Ukraine könne sich jetzt auch verteidigen, indem sie zum Beispiel militärische Stellungen in Russland angreife. Das habe sie bis vor einiger Zeit nicht gekonnt. „Das kann sie jetzt“, sagte er und legte nahe, dass die Ukraine mit den Waffen unter Zustimmung der westlichen Partner dorthin schießen könne, wo sie Wladimir Putin entscheidend treffe.
Merz: „Keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind
„Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind, weder von den Briten, noch von den Franzosen, noch von uns, von den Amerikanern auch nicht“, sagte der CDU-Politiker beim „WDR Europaforum 2025“ auf der Digitalkonferenz re:publica in Berlin. Wie ihn parallel die Agentur Agence France Press (AFP) zitiert, soll sich die härtere Gangart gegenüber Russland auch auf künftig zu liefernde Waffen beziehen: Es werde auch „keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen“ geben, die an die Ukraine geliefert werden, sagte er gegenüber dem WDR. „Wir werden alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Ukraine auch militärisch weiter zu unterstützen.“
„Wenn jemandes Handlungen unsere Souveränität und territoriale Integrität bedrohen, halten wir es für möglich, alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen. Aus irgendeinem Grund glaubt man im Westen, dass Russland es niemals einsetzen wird.“
Was allerdings die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ausschließt – zumindest vorerst. Jedenfalls waren diese Waffen während Merz‘ jüngstem Auftritt keine Silbe wert. Moskau hatte Deutschland immer gewarnt, dass die Lieferung dieser 500 Kilometer weit fliegenden Bomben als direkter Kriegseintritt Deutschlands gewertet und entsprechend beantwortet werden würde. Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Lieferung kategorisch ausgeschlossen, Merz die Lieferung befürwortet – sofern sie in Abstimmung mit den anderen Geberländern erfolge.
Vor rund einem Jahr hatte der vorherige US-Präsident Joe Biden ukrainische Kommandeure ermächtigt, „‚gegen russische Streitkräfte zurückzuschlagen, die sie angreifen oder einen Angriff vorbereiten‘“, wie die Washington Post berichtet hatte; das galt vornehmlich in und um Charkiw, nahe der Grenze im Nordosten der Ukraine. Das hieße, die Ukraine dürfe zurückschießen, wenn sie angegriffen würde oder Militäranlagen kurz hinter der Grenze auszuschalten gedenke, formulierte ergänzend die Kyiv Post.
Selenskyj: Den Westen ständig angefleht, ohne die Freigabe keine Chance zu haben
Ende Mai hatte der US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) noch moniert, Russland genieße durch die zurückhaltende Politik des Westens weiterhin einen gewissen Schutzraum, „in dem das russische Militär seine Streitkräfte abschirmen kann, bevor sie Charkiw nahe genug kommen oder in andere Teile der Ukraine eindringen“. Allerdings hielt Biden das Verbot der Nutzung von ATACMS-Raketen (Army Tactical Missile System) aufrecht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte den Westen ständig angefleht, ohne die Freigabe keine Chance zu haben, Russland zur Räson zu bringen.
Wladimir Putins Invasionsarmee hat sich darauf eingestellt, ihre Flugzeuge und Hubschrauber hinter die Grenze auf russisches Kernland zurückzuziehen, um sich gegen die beständig starke Luftabwehr der Ukraine in Deckung zu bringen. Daraus entwickelten sie die Gleitbomben-Taktik – normale, vertikal fallende Bomben wurden mit Antrieb, Leitwerk und Navigation ausgestattet, um quasi aus der Deckung heraus in ukrainisches Territorium einzudringen, ohne dass die Flugzeuge als Trägerplattformen in Gefahr gerieten abgeschossen zu werden. Nach endlosen Diskussionen hatte US-Präsident Biden seine vorsichtige Haltung gegenüber Putins Weltkriegs-Drohungen gelockert.

Biden: Einsatz von ATACMS wohl als Reaktion auf das Eingreifen nordkoreanischer Truppen erlaubt
Mitte November 2024 legte Biden nochmal nach und erlaubte den Einsatz von ATACMS, möglicherweise als Reaktion auf das Eingreifen nordkoreanischer Truppen zur Verteidigung von Kursk, wo ukrainische Truppen überraschend auf russisches Territorium eingedrungen waren. Die Einnahme von Kursk geschah mittels Militärfahrzeugen aus dem Westen – beispielsweise waren deutsche Marder-Schützenpanzer auf russischem Territorium dokumentiert worden, was ebenfalls kritisch beobachtet wurde. Die US-amerikanischen ATACMS blieben aber wieder auf die Region Kursk beschränkt.
Auch wenn der ukrainischen Artillerie und Luftwaffe weiterhin untersagt gewesen war, russische Einheiten und Stellungen oder Depots ohne direkten operativen Einfluss anzugreifen, galt Putins Profit an ukrainischem Territorium dadurch als geschmälert: Die Flächenreduzierung dieses Schutzraums bezifferte das ISW auf bis zu 16 Prozent, machte allerdings keine genauen Angaben zum Hintergrund der Prozentzahlen. Insofern dürften die Bezugsgrößen die Verwaltungsbezirke Belgorod, Kursk und Brjansk gewesen sein, allerdings fehlte eine definitive Angabe zur maximal angenommenen Größe des russischen Schutzraumes.
Merz: Gesprächsangebote an Russlands Präsidenten Wladimir Putin derzeit nicht der geeignete Weg
Durch die Ankündigung von Bundeskanzler Friedrich Merz könnten der Ukraine für Gegenoffensiven Tür und Tor geöffnet sein. Möglicherweise stünden damit auch den F-16-Kampfjets Einsätze hinter der russischen Grenze durch Nato-Zustimmung offen. Oder der direkte Beschuss durch Artillerie – wobei die kürzeste Entfernung zwischen der ukrainischen Grenze und Moskau rund 500 Kilometer beträgt. Aber die russische militärische Infrastruktur wäre plötzlich in größerer Gefahr und möglicherweise geriete auch Putins Regime ins Wanken.
Er sei zu der Einschätzung gelangt, dass Gesprächsangebote an Russlands Präsidenten Wladimir Putin derzeit nicht der geeignete Weg zur Beilegung des Konflikts sind, ergänzte Bundeskanzler Merz, wie ihn AFP zitiert: „Offensichtlich versteht Putin Gesprächsangebote als Schwäche“, warnte er. Putin hatte bereits Mitte 2024 gedroht, auf Raketenschläge ins russische Kernland geharnischt antworten zu wollen.
„Wenn sie es für möglich halten, solche Waffen in Kampfgebiete zu liefern, um damit Angriffe auf unser Territorium zu starten und uns Probleme zu bereiten, warum haben wir dann nicht das Recht, Waffen desselben Typs in bestimmte Regionen der Welt zu liefern, wo sie für Angriffe auf sensible Einrichtungen der Länder eingesetzt werden können, die Russland angreifen?“, fragte er am Rande des jährlichen Internationalen Wirtschaftsforums in St. Petersburg, wie ihn die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) wiedergibt. Auch hatte Russland seine Atomwaffen-Doktrin aufgrund der Lieferung der F-16-Kampfjets aus Nato-Ländern geändert.
Putin: Wir halten es für „möglich, alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen“
Demnach sehe Russland einen Atomschlag gerechtfertigt, auch gegen Ukraine-Unterstützer, die Atomwaffen besäßen. „Nukleares Mobbing“ hat das Heather Williams vom Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) genannt. Nach dieser Interpretation hätte Friedrich Merz zu einem Schritt über eine rote Linie Russlands angesetzt – außer Frage steht, dass das die nächst höhere Eskalationsstufe bedeuten muss, will sich Russland nicht völlig unglaubwürdig machen gegenüber der Weltgemeinschaft. Außer Frage steht auch, dass sich keine vernünftige Alternative zu diesem Schritt aufdrängt. Zur Lieferung von Taurus-Raketen durch Deutschland ist der Schritt kleiner geworden.
Klar ist auch die Antwort darauf, die Wladimir Putin während des Wirtschaftsforums gegeben haben soll, wie ihn AP zitiert: „‚Sehen Sie sich an, was dort steht‘, sagte er über die russische Atomdoktrin. ‚Wenn jemandes Handlungen unsere Souveränität und territoriale Integrität bedrohen, halten wir es für möglich, alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen. Aus irgendeinem Grund glaubt man im Westen, dass Russland es niemals einsetzen wird.‘“