5000 Euro für Bürgergeldempfänger beim Autokauf vom Jobcenter – „Keine neue Regel“

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In Dortmund bekommen Bürgergeldempfänger Geld, um sich ein Auto zu kaufen. Was nach einem großen Aufreger klingt, ist Teil einer klaren Strategie der Jobcenter.

Dortmund/Berlin – Es ist ein Aufreger-Thema, das die Bild-Zeitung groß machte. Ein Dortmunder Jobcenter gibt Bürgergeldempfängerinnen- und Empfängern 5000 Euro, um sich damit ein Auto zu kaufen. Viele Menschen dürften beim Lesen der Geschichte ähnlich gedacht haben: „Was für eine Ungerechtigkeit.“ Doch der Fall ist komplizierter gelagert, ein schneller Aufschrei zu einfach. Der zweite Blick gibt dafür umso spannendere Einblicke in den Bürgergeld-Komplex.

5000 Euro für Autokauf von Bürgergeldempfängern – „Polemik in der Debatte“

„Ich ärgere mich über die Polemik in der Debatte“, klagt Jens Peick am Telefon über den Fall. Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete für die SPD hat den Bericht über das Jobcenter seiner Heimat mitbekommen und sich direkt mit dem zuständigen Geschäftsstellenleiter in Verbindung gesetzt. Er will Klarheit in die strittige Debatte bringen, in der das Dortmunder Jobcenter Arbeitssuchenden beim Autokauf mit bis zu 5000 Euro unterstützen soll, sofern sie dadurch einen Job bekommen.

Der Dortmunder SPD-Politiker Jens Peick ärgert sich über die „Polemik“ bei der Debatte um Zuschüsse für Bürgergeldempfänger.
Der Dortmunder SPD-Politiker Jens Peick ärgert sich über die „Polemik“ bei der Debatte um Zuschüsse für Bürgergeldempfänger. © IMAGO/Klaus Martin Höfer

„Die Jobcenter laufen ja nicht herum und geben allen 5000 Euro für ein Auto. Es geht dabei um absolute Einzelfälle, bei denen nachgewiesen werden muss, dass die Arbeitsaufnahme ohne ein Auto scheitern würde“, so Peick gegenüber der Frankfurter Rundschau. „Zum Beispiel bei Menschen im Schichtdienst bei Betrieben weiter draußen, die mit dem ÖPNV nicht angebunden sind. Außerdem muss vorher bereits ein Arbeitsangebot vorliegen“, stellt Peick klar.

Dortmunder SPD-Politiker will Klarheit in Bürgergeld-Aufreger bringen

Dass es solche Förderprogramme gibt, ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Auch nicht in Dortmund, wie Peick weiß. „Es handelt sich um keine neue Regel, die Option gab es schon immer. Nun wurde nur die Weisung und Obergrenze angepasst“, so der Dortmunder Sozialdemokrat. „Die 5000 Euro sind nur die Höchstsumme – und die Angestellten im Jobcenter achten auf die Notwendigkeit und auf das Gerechtigkeitsempfinden. Das Geld bekommt im Übrigen auch nicht direkt der Bürgergeldempfänger, sondern der Autohändler.”

5000 Euro beim Autokauf für Bürgergeldempfänger. Ein Aufregerthema, das jedoch tiefer ist, als es zunächst scheint. Es steht sinnbildlich für die Frage, was der Sozialstaat für Arbeitslose leisten will – und was nicht. © IMAGO/ Guido Schiefer/ Rene Traut

Dass der Fall grundsätzlich zum Aufreger wird, wundert Peick nicht, um das schlechte öffentliche Bild des Bürgergelds weiß der Arbeits- und Sozialpolitiker. „Beim Bürgergeld haben wir viele Menschen in der medialen Debatte verloren. Wenn ich den Menschen in Dortmund aber erkläre, dass es beim Bürgergeld darum geht, beim Jobverlust so zu fallen, dass man im nächsten Schritt eine neue, gut passende Stelle finden kann, verstehen das alle. Dass Arbeit sich im Verhältnis weiterhin lohnt, war nie anders“, so Peick.

CDU will Bürgergeld abschaffen – SPD an Grundidee festhalten

Anders dagegen blickt Marc Biadacz, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Arbeit und Soziales in der CDU-Bundestagsfraktion, auf den Komplex. Den Dortmunder Fall will er aus der Ferne nicht bewerten, wie er gegenüber der Frankfurter Rundschau sagt. „Grundsätzlich gilt aber: Leistungen im Sozialstaat müssen nachvollziehbar, verhältnismäßig und vermittelbar sein. Denn nur dann bleiben sie gesellschaftlich akzeptiert. Wenn Einzelfälle Zweifel an der Angemessenheit wecken, ist das ein Warnsignal – auch mit Blick auf mögliche Mitnahmeeffekte“, so der CDU-Politiker. „Der Sozialstaat darf nicht zum Spielball von Fehlanreizen werden. Pauschale Weisungen, die zu Missbrauch einladen, schaden letztlich auch denen, die wirklich auf Unterstützung angewiesen sind.“

CDU-Politiker Marc Biadacz ist kein Freund des Bürgergelds. Zwar will er an der Förderidee festhalten, jedoch in Form einer sogenannten neuen Grundsicherung.
CDU-Politiker Marc Biadacz ist kein Freund des Bürgergelds. Zwar will er an der Förderidee festhalten, jedoch in Form einer sogenannten neuen Grundsicherung. © IMAGO

Den Grundgedanken des Bürgergelds, Menschen langfristig in Arbeit zu bringen, unterstützen Biadacz und die Union. „Doch in der Praxis sehen wir: Der Aufwand wächst, die Wirkung bleibt oft aus. Deshalb brauchen wir eine klare Rückbesinnung auf das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit: Wer Unterstützung erhält, muss sich auch aktiv um Arbeit bemühen – und wer sich anstrengt, soll spürbar vorankommen“, so der CDU-Sozialpolitiker. Vermittlung in Arbeit müsse verbindlicher, zielgerichteter und schneller erfolgen. „Das Bürgergeld ist diesem Anspruch nicht gerecht geworden. Deshalb ist es umso wichtiger, die neue Grundsicherung einzuführen.“

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Wie geht es weiter mit dem Bürgergeld?

Eine Generalabrechnung des Bürgergelds als gescheitert, hält SPD-Mann Peick dagegen für falsch. „Wir wollen die Menschen fördern, um ihnen langfristig Jobs zu sichern. Dass das Bürgergeld schon totgesagt wurde, halte ich für total verfrüht. Denn die Fortbildungen und Vermittlungen brauchen eben Zeit. An vielen Stellen sieht man aber schon, dass es Früchte trägt, auch bei mir in Dortmund.”

Wie genau es in Sachen Bürgergeld oder dem Unions-Wunsch einer sogenannten neuen Grundsicherung als Nachfolgemodell weitergeht, ist derzeit noch offen. „Union und SPD eint der Wunsch, Menschen in Arbeit zu bringen. Die Frage ist nur, wie wir das hinbekommen“, so SPD-Abgeordneter Peick, der wie Biadacz im zuständigen Ausschuss für Arbeit und Soziales sitzt. „Ob die Priorität auf der langfristigen oder der eher schnellen Arbeitsvermittlung liegt, müssen wir nun mit der Union diskutieren. Sanktionen für Totalverweigerer etwa haben wir schon in der letzten Regierung eingeführt. Wir als SPD wollen das Förderversprechen beibehalten.”

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