TÜV Süd fordert Betriebsarzt - doch die Firma hat nur zwei Mitarbeiter
Das hindert aber keine Behörde daran, ihr Nichtvorhandensein mit Strafe zu belegen. Ein Fahrer aus Finnland hat es gerade erlebt.
Haben Sie selbst ein Beispiel erlebt, bei dem die Bürokratie so zugeschlagen hat, dass Sie fassungslos waren? Und Sie möchten, dass davon auch andere erfahren? Dann schreiben Sie uns eine Mail an mein-bericht@focus.de.
Aus dem fernen Finnland in eine der 37 deutschen „Umweltzonen“ einzureisen, erfordert Umsicht und Vorsicht. Es ist nicht damit getan, dass Reisende zum Beispiel ein modernes Auto besitzen, das zuverlässig spritsparend über tausende Kilometer fährt, sondern es muss auch gesetzeskonform bestückt sein, will man etwa nach Berlin, Köln oder Leipzig.
Das betrifft die an den Windschutzscheiben des Landes allgegenwärtige Feinstaubplakette in der Ausführung „grün“. Im restlichen Europa unbekannt, sehen sich deutsche Ballungsräume mit ihren etwa 0,12 Prozent Anteil am Straßennetz als Speerspitze des Luftfortschritts - und den gibt es nicht umsonst.
Verwaltungsbürokratie hinter dem Mond
Zwar könnte man, anders gerechnet, von der Erde zum Mond und wieder zurückfahren und hätte noch nicht das Ausmaß deutscher Straßenverbindungen ausgeschöpft (so das Bundesverkehrsministerium), und womöglich keine Umweltzone gestreift, aber einzelne Erfahrungen sprechen doch dafür, dass die Verwaltungsbürokratie eher hinter dem Mond gelandet ist.
„Ich war mit meinem in Finnland registrierten Auto in Frankfurt/Main. Dort bekam ich eine Aufforderung für ein solches Abgaszeichen. In einer Tankstelle nachgefragt, wurde mir gesagt, dass ein ausländisches Fahrzeug das nicht braucht. Dennoch habe ich Google gefragt, wo ich die Plakette bekomme. Bin also zu einer TÜV-Stelle gefahren. Dort wurde mir gesagt: machen wir nicht, rufe doch den ADAC an”, so die ersten Erfahrungen von Sieghart Müller aus Finnland auf seinem Deutschland-Roadtrip.
„Toll, der deutsche Behördenkram”
Und weiter: „Natürlich wurde mir dort gesagt, dass die die Plakette nicht vergeben. Nach ca. 40 Kilometer Fahren habe ich das Gewünschte an einer anderen Stelle bekommen. Ich frage mich nur, ob der Polizist, von dem ich die Aufforderung bekommen hatte, noch nie so einen Volkswagen wie meinen gesehen hat, das gleiche Modell steht in jeder Straße mit der Nummer 4 an der Windschutzscheibe. Wie alle anderen Autos auch. Jetzt habe ich hier in Finnland die Plakette am Fenster kleben. Toll, der deutsche Behördenkram.”
Immerhin – mit der Plakette für ein paar Euro und reichlich Zeitaufwand ist er noch gut weggekommen. Denn wenn sie fehlt, sind 80 Euro fällig, und es gilt bei ausländischen Fahrzeugen folgendes: „Ab einer Geldbuße von 70 Euro oder mehr erfolgt gemäß der EU Richtlinie 2011/82 vom 25.10.2011 „zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte“ bei Nichtzahlung ein Vollstreckungsverfahren im Heimatland, das bis zur Haftstrafe betrieben wird.”
Vier Stufen der Auto-Reinheit
Wie man sieht, ist das alles nicht so einfach. Selbst wenn die kontrollierende Amtsperson in der Lage sein sollte, jene logisch-gedankliche Transferleistung zu vollbringen, von einem neueren VW auf alle anderen neueren VW zu schließen, hülfe dies rein gar nichts. Denn davon steht nichts in der 35. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchV).
Diese Vorschrift gilt seit 2007 und sieht vier Stufen der Auto-Reinheit vor: Ohne Plakette, das sind Rußschleudern jenseits von Gut und Böse, dann roter Aufkleber, damit darf man kaum noch etwas ebenso wie beim gelben, der noch vor einigen Jahren zum „Einfahren in die Umweltzone berechtigte”.
Freiheit zur Bewegung auf öffentlichen Wegen und Plätzen
Der grüne Feinstaubaufkleber erlaubt die Freiheit zur Bewegung auf öffentlichen Wegen und Plätzen, aber erfordert zuvor eine eindeutige Einstufung, zu finden im „Emissionsschlüssel im Fahrzeugschein im Feld „Schlüsselnummern zu 1" an der fünften und sechsten Stelle des sechsstelligen Codes.
Bei Fahrzeugdokumenten, die nach dem 1. Oktober 2005 ausgestellt wurden, finden Sie den Emissionsschlüssel im Feld 14.1 der Zulassungsbescheinigung Teil I. Es sind die letzten beiden Zahlen der Ziffernreihe”, hilft etwa die Webseite der Stadt Darmstadt weiter, falls Zweifel aufkommen sollten.
Wenn am Glas nichts klebt – 80 Euro
Widrigenfalls droht eben ein Bußgeld von jenen 80 Euro, und das muss auch der leichtsinnige Fahrer eines vollelektrisch angetriebenen Fahrzeugs berappen, so er nicht die Plakette „von innen an die vorgesehene Stelle der Windschutzscheibe” geklebt hat.
Dies erleichtert Amtspersonen im übrigen auch die Kontrolle, bei der ein Absuchen der mitunter recht großen Glasflächen unterbleiben kann und nur die untere linke Ecke zählt. Eine mühsame Suche nach dem Vorhandensein eines Auspuffs kann also ebenfalls unterbleiben: Wenn am Glas nichts klebt – 80 Euro. So mancher Widersinn besiedelt also das Bundesimmissionsschutzgesetz.
FDP wollte Regelung streichen
Schon vor Jahren forderte die damalige FDP-Fraktion im Bundestag, die Regelung einfach zu streichen. Begründung: Weit über 90 Prozent der zugelassenen Fahrzeuge erfüllten die Voraussetzungen für „grün”. Der Rest, so lässt sich angesichts der Höhe des fälligen Bußgeldes folgern, bevölkert allein Landstraßen und Autobahnen und ländliche Gegenden, wo Ruß, Stickoxid und anderes zuverlässig vom Winde verweht wird, ehe es Schaden anrichten kann. Die Bundesregierung lehnte aber diese simple Art des Bürokratieabbaus empört ab, und so ist auch nichts weiter passiert.
Einzelne Landesregierungen schüttelten den Kopf und behalfen sich mit Hilfskonstruktionen: „Es ist doch völlig widersinnig und ein bürokratischer Starrsinn der Bundesregierung, Fahrer von Autos mit E-Kennzeichen weiter mit der Umweltplakettenpflicht zu gängeln“, sagte etwa der bayerische Innenminister Joachim Herrmann schon 2023 der Deutschen Presseagentur.
E-Autos erfüllen Voraussetzungen für grüne Umweltplakette
Faktisch würden alle Fahrzeuge, die ein deutsches E-Kennzeichen haben, die Voraussetzungen für die grüne Umweltplakette erfüllen. Damit erhalten Autos mit E-Kennzeichen in Bayern keine Bußgeldbescheide mehr. Die Staatsregierung konnte sich allerdings auch nicht zu einer Forderung nach der simplen Abschaffung der überholten Regelung durchringen, sondern will sie nur für E-Autos außer Kraft setzen lassen – ein bisschen Bürokratie muss schon noch sein.
In Leipzig erregte vor Jahren ein Fall Aufsehen, in dem ein E-Auto-Fahrer sich gegen die 80 Euro Bußgeld wehrte und nur teilweise Erfolg hatte. Die Buße wurde nach langem Hin und Her auf 25 Euro reduziert. So einfach kommt man also nicht davon.
Ums Geld geht es auch
Auch nicht, wenn man parkt. Verschiedene Gerichte haben entschieden, dass beim ruhenden Verkehr (Parken) innerhalb einer Umweltzone kein Bußgeld erhoben werden darf, weil dort keine neuen Emissionen freigesetzt werden – was die Frage noch nicht klärt, wie denn der betreffende Pkw dorthin gekommen sein soll, der da in der Umweltzone parkt. Immerhin nicht auszuschließen, dass er geschoben wurde oder auf einem Transporter angeliefert – wer weiß das schon. Die Urteile hatten jedoch kaum Bestand.
Und um Geld geht es natürlich auch. Umweltplaketten sind nur an bestimmten Stellen erhältlich – dies sind die Kfz-Zulassungsbehörden (Bürgerbüros) sowie autorisierte Abgasuntersuchungsstellen und Prüforganisationen (z.B. TÜV, Dekra) – insofern wurde Sieghart Müller auch noch unberechtigterweise abgewimmelt beim TÜV. Ungefähr sechs Euro kostet die Plakette und hält lebenslänglich (oder zumindest so lange wie die Windschutzscheibe – bei Bruch gibt es ein neues “Bapperl” beim Autoglaser). Der Erlös bleibt beim Aussteller, also Werkstatt, Prüfstelle oder Kommune.
Verzicht auf sinnlose Vorschrift? Nein
Ein Verzicht auf die inzwischen weitgehend sinnlose und nach Studien (schon 2013 durch die Forschungsvereinigung EUGT am Beispiel München) auch nutzlose Vorschrift, was die tatsächliche Reduktion von Schadstoffen angeht, kommt allerdings nicht in Frage. Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums machte 2023 klar, dass die Umweltzonen „im Rahmen der Luftreinhalteplanung“ von Ländern und Städten eingerichtet wurden und nur aufgehoben werden könnten, wenn die Grenzwerte dauerhaft eingehalten würden.
Erst wenn sämtliche Umweltzonen entfallen, bestünde die rechtliche Grundlage, auch die Plakettenvorschriften aufzuheben. Da müssten sich also die Kommunen mit ihren 37 Umweltzonen verständigen, dass auch nach Abschaffung dieser Zonen keine Überschreitungen der Grenzwerte mehr zu erwarten seien – die Wahrscheinlichkeit hierfür scheint in etwa so groß wie die der Abschaffung der Schaumweinsteuer (zweckgebunden eingeführt zu Kaisers Zeiten).
"Deutsche Umwelthilfe” ist klagefreudig
Es gibt allerdings wohl noch weitere Bedenken, die in Politik und Verwaltung eine Aufhebung der überholten Vorschrift unattraktiv machen und nur Ärger verspräche. Und das sind klagefreudige Organisationen wie zum Beispiel die "Deutsche Umwelthilfe”, die immer wieder auf juristischen Feldzügen gegen Stadt und Land unterwegs ist.
Im Sommer 2024 analysierte der Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski in der „Welt” die klagewütige Truppe: Die DUH überziehe „Regierungen, Behörden und Unternehmen mit juristischen Feldzügen – zumeist erfolgreich. Der Verband nutzt Deutschlands Hang zur Überregulierung geschickt aus.“
Der Artikel schlüsselt auf, dass sich die Organisation auch in dubiose Widersprüche verwickelt, etwa bei der Frage, ob ein Gasantrieb für Autos nun umweltfreundlicher ist oder nicht – da gibt es beiderlei Aussagen. Solange deutsche Gerichte auch Klagen mit – für den juristischen Laien – geradezu abstrusen Forderungen stattgeben, wird es daher kaum eine Kommune wagen, ihre Umweltzone zu schleifen. Und so bleibt es bei Plaketten, Bußgeldern und dem realen Irrsinn.