„Eskalation“: Russland will 13 israelische Raketen über Syrien abgeschossen haben
Russland verteidigt seine Stellungen und beschießt israelische Raketen, die auf die Hisbollah gerichtet waren. Putin sieht sich an den Rand gedrängt.
Damaskus – „Dreh- und Angelpunkt russischen außenpolitischen Denkens sind die USA“, schrieb Stefan Meister. Wladimir Putin versuche, durch verstärkte Aktionen in Syrien die Aufmerksamkeit der USA zu wecken und die eigene Bedeutung für Washington zu erhöhen, um so bei möglichen Verhandlungen um die Ukraine einen besseren Deal zu bekommen, so der Analyst des Thinktanks Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik vor fast zehn Jahren. Wie der Ukraine-Krieg länger dauert als gedacht, schleppt sich auch der Bürgerkrieg in Syrien mäandernd dahin. Mit immer neuen Eskalationen – wie jetzt mit einem vermeintlich durch Russland vereitelten Raketenschlag Israels gegen militärische Ziele der Hisbollah auf syrischem Territorium.
Das Magazin Military Watch berichtet aktuell, russische Streitkräfte hätten 13 israelische Raketen über dem syrischen Luftraum abgeschossen, nachdem die israelische Luftwaffe möglicherweise versucht hätte, einen Angriff auf die Stadt Tartus im Westen Syriens an der Mittelmeerküste zu starten. Military Watch bezieht sich auf mehrere russische Quellen, wobei keine Bestätigung internationaler Quellen vorliegt. Der letzte israelische Luftschlag gegen Syrien datiert von Anfang September, wobei durch die Luftangriffe auf mehrere Militärstandorte in Zentralsyrien mindestens 18 Menschen getötet worden seien, wie die britische BBC berichtet hatte aufgrund einer Meldung des syrischen Gesundheitsministers.
Israels Krieg gegen die Hisbollah berührt Russlands ureigene militärische Interessen
Military Watch berichtet zwar von der bereits länger andauernden Zurückhaltung Russlands, die eigene Luftabwehr zugunsten von Syrien zu entblößen. Aber offenbar haben die jüngsten Raketenangriffe Russlands ureigene militärische Interessen bedroht: Der Angriff der israelischen Luftwaffe soll der Stadt Tartus im Westen Syriens an der Mittelmeerküste und dem Luftwaffenstützpunkt Hmeimim gegolten haben.
„Jedoch sollten wir nicht vergessen, dass die russische Führung vor allem das Interesse in der Region hat, autoritäre Regime zu unterstützten und die Rolle der USA zu schwächen.“
Im Jahr 2012 hatte Radio Free Europe/Radio Liberty berichtet: „Russlands größtes strategisches und geopolitisches Interesse in Syrien ist die Nutzung eines Tiefwasserhafens bei Tartus.“ Zweck sei der Ausbau der russischen Kapazitäten als Gegengewicht für die im Mittelmeer operierende 6. US-Flotte. „Diese Basis ist für uns lebenswichtig. Sie ist in Betrieb und wird auch weiterhin in Betrieb sein“, sagte Vizeadmiral Viktor Tschirkow, der damalige Oberbefehlshaber der russischen Marine gegenüber der russischen Nachrichtenagentur RIA-Novosti.
Im Gegenteil ist Russlands Außenposten seit Januar dieses Jahres gefestigter denn je: Russland und Syrien haben ein Abkommen über die Erweiterung des Territoriums der Logistikanlage der russischen Marine in Tartus unterzeichnet, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet hat. „Das aktuelle Abkommen bleibt 49 Jahre lang gültig und verlängert sich automatisch um jeweils 25 Jahre, wenn keine der beiden Parteien zwölf Monate im Voraus auf diplomatischem Weg schriftlich ihre Absicht mitteilt, das Abkommen zu kündigen“, besagt der Vertrag.
Putins Nähe zum Iran bringt Russland um seine Balance im Mittleren Osten
Obwohl Russland Truppen und Material aus Syrien abgezogen hat, um die eigene Präsenz in der Ukraine zu stärken, hege Russland kein Interesse an einem Rückzug aus Syrien, schreibt Nikita Smagin. Dem Analysten des US-amerikanischen Thinktank Carnegie-Stiftung zufolge wolle Russland zwar jegliche Einmischung in innenpolitische Angelegenheit Syriens vermeiden, allerdings gleichzeitig seine Stärke in der Region demonstrieren, ohne die dortigen Konflikte aufbrausen zu lassen. Smagin schreibt, dass Russland inzwischen zu sehr verstrickt ist in seinen Krieg mit der Ukraine, als dass sich Putin dort ausuferndes außenpolitisches Engagement erlauben könne.
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Die russische Präsenz hatte sich vornehmlich auf die syrische Provinz Latakia konzentriert, dort haben sich russische Einheiten aber weitgehend zurückgezogen, weil Russland seine erfahrenen Kräfte eher in der Ukraine benötigte. Wie Smagin berichtet, hat sich dieses militärische Vakuum durch pro-iranische Hisbollah-Kämpfer gefüllt. Israel führt bereits seit fast eineinhalb Jahrzehnten Luftangriffe gegen Ziele auf syrischem Territorium, um die Hisbollah von ihrem Nachschub an Waffen abzuschneiden.
Russland befindet sich mit seinem syrischen Kontingent und seiner allgemeinen Rolle in der Zwickmühle. Einerseits hatte Putin Israel und den Iran deren Konflikte immer wieder ohne eigenes Zutun austragen lassen. „Jetzt hat die engere Kooperation zwischen Moskau und Teheran als Notwendigkeit des Ukraine-Krieges Russlands Balance-Akt ernsthaft verkompliziert", schreibt Analyst Smagin. „Jedoch sollten wir nicht vergessen, dass die russische Führung vor allem das Interesse in der Region hat, autoritäre Regime zu unterstützten und die Rolle der USA zu schwächen“, ergänzt Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Einsatz der Luftabwehr gegen Israel könnte Spannungen erhöhen
Wie Military Watch berichtet, setze Russland auf dem Luftwaffenstützpunkt Hmeimim auf die Langstreckensysteme S-400 und S-300V4, die Mittelstreckensysteme BuK-M2 und das Kurzstreckensystem Pantsir-S sowie verschiedene Mittel zur Elektronischen Kriegführung. Während bei israelischen Angriffen mit Marschflugkörpern auf Syrien durchweg Unterschallraketen eingesetzt worden sein sollen, hätten die S-400 und S-300V4 bereits Ziele abfangen können, die mit Überschallgeschwindigkeit von achtfacher Schallgeschwindigkeit unterwegs gewesen waren, wie das Magazin schreibt. Military Watch berichtet, dass die Abwehr israelischer Raketen der erste kinetische Angriff russischer Luftabwehrwaffen gegenüber Israel gewesen sein könnte.
Damit würde auch die gegenseitige Duldung der Aktivitäten beider Länder möglicherweise zunehmend unter Spannung gesetzt werden, wie im November Milàn Czerny behauptet hatte. Argwöhnischer als jetzt seien sich beide Länder in ihrer Geschichte noch nie begegnet, und Moskau könnte seinen Status als neutraler Mediator im Mittleren Osten einbüßen sowie Israel in der Region ebenfalls gegen sich aufbringen, wenn das Putin-Regime näher an den Iran heranrücke, wie der Analyst für die Carnegie-Stiftung zusammenfasst – gerade war überdies bekannt worden, dass Russland aus dem Iran neue Raketen würde geliefert bekommen.
Raketen-Handel mit dem Iran drängt Russland im Mittleren Osten an den Rand
Das Magazin Forbes berichtete kürzlich, Russland habe gerade 200 ballistische Fateh-360-Raketen aus dem Iran erhalten. Das würde eine Eskalation des Krieges in der Ukraine bedeuten – „und könnte für Russland nach hinten losgehen“, wie Forbes schreibt. Die weitere Zurückhaltung des Westens beziehungsweise auch Deutschlands gegenüber Russland schiene dann vielleicht tatsächlich „absurd“, wie beispielsweise der deutsche CDU-Politiker Röttgen flapsig geurteilt hat. Laut Forbes räumte Antony Blinken ein, dass die Ankunft dieser Fateh-360 zumindest ein weiteres Gespräch über die Beschränkungen rechtfertige. Laut dem Nachrichtensender NBC sprach der US-Außenminister über die Lieferung der iranischen Raketen an die russischen Invasionstruppen jedenfalls von einer „dramatische Eskalation“.
Anders als die europäischen Länder hatte Israel seinen Kurs gegenüber Russland auch nach dessen Invasion der Ukraine wenig geändert und keine finanziellen Sanktionen gegen Russland erlassen. Genauso hatte Israel darauf verzichtet, den ukrainischen Ersuchen nach Waffenhilfe nachzugeben, schreibt Analyst Czerny. Im Gegenteil hätte Israel eigene Beschuldigungen gegenüber Russland für deren Angriffe vermieden und bilaterale Abkommen mit Russland geschlossen, beispielsweise in der Kultur; und Israel trieb ebenso weiter Handel mit Russland, womit sich Israel auch gegen seinen eigenen Verbündeten, die USA, stellte.
Dass die Not Russland in die Nähe des Iran treibt, macht Israel allerdings langfristig zum Feind von Putins Regime. Das allein, so Czerny, würde Russland verschmerzen können, „aber die Spannungen in dieser Beziehung unterstreichen die Tatsache, dass Moskau durch die Beschäftigung mit dem Ukraine-Krieg seine Neutralität aufgegeben und damit seinen Einfluss eingebüßt hat und in der Region an den Rand gedrängt wird“.