Nato-Bastionen wanken: Putin forciert eiskalt seine Besitzansprüche in der Arktis
Russland beansprucht auch die Arktis aus historischen Gründen. Putins U-Boote kreuzen immer offensiver auf, und der Westen muss um Positionen kämpfen.
Moskau – „Paradoxerweise gibt es in der Arktis keine offenen Territorialstreitigkeiten“, sagt Klaus Dodds. Allerdings warnt der in London lehrende Professor für Geopolitik gegenüber Newsweek davor, dass der Ukraine-Krieg auch ins Eis hineinstrahlt. Wladimir Putins Truppen bringen sich auch dort in Stellung; wie das Magazin schreibt, seien die internationalen Beziehungen der Global Player untereinander frostiger geworden seit Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg. Jetzt baut Russland im ewigen Eis offenbar seine Stellungen aus.
„Diese zirkumpolare Region bietet eine Vorschau darauf, wie drei Großmächte – China, Russland und die Vereinigten Staaten – ihre militärischen und wirtschaftlichen Muskeln spielen lassen, um strategische und ressourcenmäßige Vorteile zu erlangen“, erläutert Dodds weiter. Von „High Noon im hohen Norden“ hat der britische Economist bereits im Juni 2022 geschrieben, als der Ukraine-Krieg noch als ein fürchterliches, aber kurzes Intermezzo gegolten hat. „Wir sind wieder im Kalten-Krieg-Modus“, sagte Jens-Arne Hoilund damals gegenüber dem Blatt. Der Norweger ist dort stationiert als Grenzkommissar; allerdings scheint er den Fokus inzwischen auf andere Ziele als auf die Hilfe für verirrte Rentiere zu richten.
Warnung: Russland hätte gegenüber Nato-Staaten einen militärischen Vorsprung von zehn Jahren
Laut der Nachrichtenagentur Reuters vermuteten Arktis-Experten, in dieser Region hätte Russland gegenüber den Nato-Staaten einen militärischen Vorsprung von zehn Jahren, so Newsweek-Autorin Jasmine Laws. Nach Daten des Thinktanks International Institute for Strategic Studies (IISS) und Reuters sei die Zahl der russischen Stützpunkte innerhalb des Polarkreises etwa ein Drittel größer als die der NATO. „Im Moment ist das militärische Gleichgewicht in der Arktis stark auf der Seite Russlands“, sagt gegenüber Reuters Colin Wall. Russland habe massiv in Häfen, Infrastruktur und Schiffe investiert, um die nördliche Seeroute auszubauen und zu schützen. Darüber hinaus sei die Nordflotte modernisiert und zum fünften Militärbezirk des Landes gemacht worden, ergänzt der IISS-Analyst.
„In der Arktis wird etwas Schlimmes passieren.“
Über die genauen Kräfteverhältnisse zwischen den Supermächten herrschen verschiedene Zahlen und verschiedene Deutungen. In den letzten sechs Jahren habe Russland entlang seiner Nordgrenze mindestens 475 Militärstandorte errichtet, schreibt der Economist. Im engeren Arktis-Gebiet zählt der kanadische Thinktank Simons Foundation 32 durchgehend besetzte Militärbasen für Russland, 15 für Norwegen, zehn für die USA, acht für Kanada, drei für Dänemark und eine für Island. Insofern hätte die Nato-Partner nominell die Überhand; das widerlegt also die Behauptung des IISS – aber das Kräfteverhältnis hat mehrere Aspekte. Beispielsweise habe Russland von allen Anrainern die zahlenmäßig stärkste arktische Bevölkerung, möglicherweise inzwischen auch die höhere Truppenpräsenz; was aber auch noch Interpretationen zulässt.
Russlands Fähigkeit, einen schnellen konventionellen Bodenangriff auf seine westlichen Nachbarn in der Arktis erfolgreich durchzuführen, sei kurzfristig noch geringer als vor dem Krieg, bilanzieren Colin Wall und Njord Wegge. Ihnen zufolge zeigten auch die dort stationierten Truppen die gleiche geringe Moral wie ihre an der Front eingesetzten Kameraden. Allerdings sähe das Bild der Marine – vor allem der strategischen U-Boot-Flotte – sowie der strategischen Luftwaffe möglicherweise anders aus. Moskau präsentiere allein dadurch „weiterhin eine glaubwürdige Zweitschlagfähigkeit“ schreiben die Analysten des Thintanks Center for Strategic & International Studies (CSIS).
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Abschreckend: Russland setzt vor allem auf die Nordflotte
„Russland setzt vor allem auf die Nordflotte, die zur Abschreckung der Nato dient und im Ernstfall den Zugang zum Nordatlantik und zur nordeuropäischen Arktis sichern soll. Sie wird seit Jahren kontinuierlich ausgebaut. Dies stellt für die Nato laut ihrem strategischen Konzept von 2022 eine strategische Herausforderung dar“, schreibt Volker Rachold.
Zur Nordflotte sollen bald drei Luftwaffenstützpunkte auf der Kola-Halbinsel gehören. Neben den beiden bestehenden Severomorsk-1 und Severomorsk-3 bald auch Severomorsk-2, der einst aufgegeben worden war, aber seit letztem Jahr wieder aufgemöbelt werden sollte – wahrscheinlich im Zuge des Ukraine-Krieges beziehungsweise für eine mögliche Auseinandersetzung mit der Nato. Die Flugplätze sollen zwischen zehn und 30 Kilometer vom Hafen der Nordflotte entfernt liegen, wie der Experte des Deutschen Arktisbüros am Alfred-Wegener-Institut Ende 2022 festgehalten hat.
Darüberhinaus verfügt Russland über 57 Eisbrecher, die Nato-Staaten kommen auf 32; obwohl Eisbrecher in Konflikten keine Rolle spielen, halten sie jedoch die Versorgungslinien offen und bilden somit die Grundlage der Präsenz der Truppen. Auch im ewigen Eis werden die zwischenmenschlichen Beziehungen also deutlich frostiger, wie Sina Behrend klarstellt: Ende 2022 hätten die Vereinigten Staaten entschieden, vier Milliarden Dollar zu investieren, „um für weitere zwölf Jahre eine Luftwaffenbasis auf Grönland zu betreiben“, wie die Analystin für das deutsche Reservistenmagazin die reserve festhält.
Bedrohlich: Arktis neben Ukraine und Baltikum ein dritter Hotspot russischer Großmachtphantasien
Wie auch das Interesse Russlands an der Ukraine soll auch Russlands Griff nach der Arktis historische Wurzeln haben, schreiben Eugene Rumer, Richard Sokolsky und Paul Stronski. Die Analysten des Thinktanks Carnegie Endowment sehen diese Wurzeln im 16. Jahrhundert im Rahmen der Eroberung Sibiriens und der Erschließung von Ressourcen und Handelsrouten. Die Arktis bilde deshalb einen integralen Bestandteil der grundsätzlichen Konfrontation Russlands mit dem Westen und hier hauptsächlich mit Europa, schreiben die Analysten. Insofern ist die Arktis drauf und dran, neben der Ukraine und dem Baltikum ein dritter Hotspot russischer Großmachtphantasien zu werden. Wirtschaftsinteressen Russlands beziehungsweise die persönliche Gier russischer Eliten würden dabei die Gemengelage für die zunehmenden Spannungen ergeben, legen die Analysten nahe.
Das führte beispielsweise dazu, dass das Magazin des US Naval Institute (USNI) Ende vergangenen Jahres titelte: „USA und Verbündete ringen mit einem unberechenbaren Kreml“ – was möglicherweise durch die neue US-Regierung unter Donald Trump noch verstärkt werden wird. „Darüber hinaus bleibt der ‚hohe Norden‘ die erste Verteidigungslinie in unserer Fähigkeit, eine umfassende maritime Heimatverteidigung durchzuführen, die oberhalb des Polarkreises beginnt“, zitieren die USNI News Daryl Caudle. Auch unter den Demokraten sollten die USA bereits in der Arktis verteidigt werden – um eben einen möglichen „Zweitschlag“ Russlands zu unterbinden.
Geplant: Zur Arktis-Sicherung kämen Flugzeugträger-Kampfgruppen wie die USS Harry S. Truman in Betracht
Den Admiral und Befehlshaber der US-Flotte sorgen Russlands seit dem Ukraine-Krieg die verstärkten Aktivitäten der Nordflotte. Demgegenüber kritisiert Caudle die stagnierenden Such- und Rettungsmöglichkeiten der eigenen Marine, die das Aufspüren der U-Boot-Armada erschwert. „Dies ist ein Russland, das bereit ist, viel mehr Risiken einzugehen, das tatsächlich jeden Tag absichtlich Zivilisten in der Ukraine bombardiert. Und es ist dieselbe Regierung, die das tut und die U-Boote und Flugzeuge betreibt. Wir müssen also wachsam sein“, sagte ergänzend Charles Q. Brown während eines Treffens der arktischen Verteidigungsminister, wie die USNI News den Generalstabschef der Streitkräfte der Vereinigten Staaten wiedergeben.
Seit Russlands Überfall auf die Ukraine investiert jetzt aber auch die Nato wieder in Überwachungsflugzeuge gegen U-Boote; wie alle Nato-Anrainer finanziell nachlegen. Besonders die USA. Für Admiral Daryl Caudle bedeute dies, wie USNI News schreiben, dass die USA ihre Präsenz in der Region verstärken müsse. Ihm zufolge kämen Flugzeugträger-Kampfgruppen wie die USS Harry S. Truman in Betracht; außerdem patrouillierten auch US-U-Boote das Seegebiet. Obwohl gerade Donald Trump den Konflikt mit Dänemark zuspitzt, will Caudle, dass die USA ihre Partnerschaften mit Verbündeten wie Island ausbauten; davon verspreche er sich mehr Sicherheit und Leistungsfähigkeit in der Region, wie er sagte.
Auch die US-Küstenwache ist alarmiert – sie betreibt die Polareisbrecher Amerikas, deren Kommandant im Atlantik davor gewarnt hat, dass der Klimawandel zu abschmelzendem Eis führe, also zu mehr Wasser und mehr Schiffsverkehr, wie Vizeadmiral Nathan Moore sagte – möglicherweise also auch zu verstärkten Konfrontationen: „In der Arktis wird etwas Schlimmes passieren.“ (KaHin)