Putins Schweigen nach der Blamage – Experten erwarten späteren Vergeltungsschlag

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Wladimir Putin zeigt sich unbeeidruckt von der ukrainischen Kursk-Offensive. Verhandelt wird erst, wenn er das will. © IMAGO/ZUMA Press Wire/Artem Priakhin

Scharfe Worte oder Drohungen gegenüber der Ukraine sind von Wladimir Putin derzeit nicht zu hören: Der Kreml-Chef spielt bei der ukrainischen Offensive in der russischen Grenzregion Kursk auf Zeit. Experten rechnen später mit Putins „Rache“.

Kursk – Während die Offensive der ukrainischen Armee in der westrussischen Region Kursk weitergeht, ist ihr nun auch in Südrussland ein spektakulärer Schlag geglückt. In einem Hafen der südrussischen Region Krasnodar geriet offiziellen Angaben zufolge eine mit Treibstoffzisternen beladene Fähre durch ukrainischen Beschuss in Brand und sank. Insgesamt sollen laut der Kreisverwaltung 30 Zisternen an Bord der Eisenbahnfähre gewesen sein. Das passt ins Bild der vergangenen Wochen, in denen die Ukraine die Russen erstaunlich in Bedrängnis gebracht hat. Doch wie geht es weiter?

Keine scharfen Worte: Putins Schweigen zum ukrainischen Vormarsch

„Die Lage hat sich entwickelt“: So beschrieb Wladimir Putin bislang den überraschenden Vormarsch der ukrainischen Armee seit dem 6. August in der russischen Region Kursk, wo die Ukrainer nach eigenen Angaben inzwischen 92 Ortschaften und mehr als 1000 Quadratkilometer kontrollieren. „Das ist seine übliche Reaktion in solchen Situationen“, erklärt die russische Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulmann mit Blick auf die schlechten Nachrichten für den Kreml. „Er verschwindet, bis sich die Situation beruhigt hat, und tut dann so, als wäre alles normal.“

Seine bisher schärfste Reaktion auf den ukrainischen Angriff brachte Putin an unerwarteter Stelle vor – vor drei Müttern, die ihre Kinder 2004 bei einem islamistischen Anschlag auf eine Schule in Beslan im Nordkaukasus verloren haben. Bei einem Besuch anlässlich des Jahrestags verglich er die ukrainischen Truppen mit den islamistischen Angreifern und versprach, „diese Kriminellen zu besiegen“.

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Kursk-Offensive: Ukrainische Truppen rücken in der Grenzregion in Russland weiter vor (Archivbild) © Roman PILIPEY / AFP

Im Staatsfernsehen überwiegen derweil die Berichte über die humanitäre Situation in Kursk. Die Fernsehbilder zeigen Menschen, die aus ihren Häusern evakuiert werden, sowie die freiwilligen Helfer. Ärger über das schnelle Vorrücken der ukrainischen Truppen oder Kritik an der langsamen russischen Reaktion gebe es kaum, erklärt der Leiter des Forschungszentrums Carnegie Russland-Eurasien in Berlin, Alexander Gabuew.

Wahrnehmung des Kriegsverlaufs in der Bevölkerung

Nach 30 Monaten Krieg gegen die Ukraine hat sich die russische Bevölkerung nach Einschätzung von Experten an Berichte über Gewinne und Verluste ihrer Streitkräfte gewöhnt. Trotzdem sei der Angriff auf russisches Gebiet „schmerzhaft, wie man an den Reaktionen sehen kann“, betont Gabuew. Es gebe einen Unterschied „zwischen dem Verlust von russischem Gebiet und dem Verlust eroberter Gebiete“ in der Ukraine.

Landesweit werde sich die Einstellung zum Krieg aber nicht ändern, vermutet Gabuew. „Ich glaube nicht, dass diese Art von Niederlage für die russische Elite oder die Bevölkerung eine große Neuigkeit ist“, erklärt er. Der ukrainische Vormarsch werde „einfach nur als Teil des Krieges wahrgenommen“, urteilt auch Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja. „Es ist nicht auf landesweitem Niveau spürbar.“

Mögliche militärische Reaktion: Besatzung in Kursk könne „über Monate“ andauern

Die russische Armee hat auf ihrem eigenen Gebiet derzeit wenige militärische Möglichkeiten. „Putin wird die Region Kursk nicht so bombardieren, wie er Bachmut bombardiert hat“, erklärt Stanowaja mit Blick auf die Stadt im Osten der Ukraine, die russische Truppen im Frühjahr vergangenen Jahres nach langer Belagerung und heftigen Verlusten besetzt hatten. Die ukrainische Besatzung in Kursk könne deshalb „über Monate“ andauern.

Die Fachleute gehen davon aus, dass im Kreml derzeit die Möglichkeiten für einen Gegenangriff abgewogen werden. Bei einer solchen Entscheidung lasse sich der russische Präsident in der Regel Zeit. „Früher oder später werden wir erfahren, wie sich Putin rächen wird“, warnt Gabuew.

Verhandlungen unwahrscheinlich: Putin wird den Kampf nur zu seinen Bedingungen beenden

Mit der Offensive will die Ukraine nach den Worten ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ihre Position für mögliche Verhandlungen stärken. An der Einstellung im Kreml habe der Angriff aber wenig geändert, urteilt Stanowaja. Putin werde den Kampf „nur zu seinen Bedingungen“ einstellen.

In der russischen Bevölkerung gibt es derweil Anzeichen dafür, dass die Unterstützung für eine Verhandlungslösung gewachsen ist. Umfragen aus den vergangenen sechs Monaten zeigten „eine paradoxe Situation“, erklärt Schulmann. „Die Befragten sagen gleichzeitig: ‚Wir unterstützen alles, die militärische Sonderoperation war gerechtfertigt – aber sie muss beendet werden'.“(Mike Schier)

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