Mindestlohn-Streit bei Union und SPD – Grünen mischen sich mit Reformvorschlag ein
Die SPD will 15 Euro Mindestlohn bis 2026. Der Koalitionsvertrag lässt es zu, doch die Umsetzung ist umstritten. Nun melden sich die Grünen.
Berlin – Formell existiert die Regierung aus CDU/CSU und SPD nicht einmal. Dennoch streiten die Parteien bereits über die künftige Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Im Zentrum steht die Forderung der SPD nach 15 Euro pro Stunde und die Frage, ob sich das mit der Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission vereinbaren lässt. Einem Grünen-Politiker geht das alles zu langsam – er schlägt Reformen vor.
Es geht um die Frage, nicht unbedingt um die Frage, ob der Mindestlohn von 15 Euro erreicht wird – aber das „wann?“ ist unklar. Im Koalitionsvertrag steht, dass 15 Euro die Stunde im Jahr 2026 erreichbar seien und in abhängig zu den Tarifentwicklungen erreicht werden sollten, allerdings sind die Auslegungen der Regierungspartner unterschiedlich. CDU-Chef Friedrich Merz sagte der Bild am Sonntag, möglicherweise werde der Betrag erst 2027 erreicht. Er gehe davon aus, dass die Mindestlohnkommission sich darum kümmere. In einem SPD-Papier heißt es dagegen: „Der Mindestlohn wird bis 2026 auf 15 Euro steigen.“ Auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken betonte: „Wir sorgen für höhere Einkommen“.

„Wischiwaschi“ im Koalitionsvertrag gibt Verantwortung ab: Was ist die Mindestlohnkommission?
„Die Formulierung im Koalitionsvertrag ist Wischiwaschi. Das ist keine klare Aussage, sondern nur ein politischer Formelkompromiss“, schätzte der Arbeitsmarktexperte Claus Schnabel von der Universität Erlangen-Nürnberg die Situation gegenüber t-online ein. Der Ball liegt wohl tatsächlich erstmal bei der Mindestlohnkommission.
Die Kommission besteht aus einer Vorsitzenden, sechs stimmberechtigten Mitgliedern aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden sowie zwei beratenden Wissenschaftlern. 2023 kam es erstmals zu einem Beschluss ohne Einvernehmen – die Arbeitnehmervertreter kritisierten die Erhöhung als zu niedrig. Nach einer Nullrunde 2023 folgte in den beiden vergangenen Jahren je eine Erhöhung um 41 Cent, sodass der Mindestlohn nun bei 12,82 Euro steht. Die Kommission soll laut Geschäftsordnung künftig „im Regelfall“ einstimmige Beschlüsse anstreben.
Kommissionsvorsitzende Christiane Schönefeld erklärte, die Mitglieder unterlägen „keinen Weisungen“. Die Kommission orientiere sich „unter anderem nachlaufend an der Tarifentwicklung sowie am Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten“.
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Rund sechs Millionen Betroffene: Deutschland hängt beim Mindestlohn hinterher
DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell erklärte, die Voraussetzungen für 15 Euro seien „rechnerisch im kommenden Jahr gegeben“. Zur gleichen Einschätzung kam auch die Hans-Böckler-Stiftung: Die EU fordert, dass nationale Mindestlöhne mindestens 60 Prozent des Medianlohns erreichen. Gleiches steht auch in dem Koalitionsvertrag. Deswegen müsste der deutsche Mindestlohn 2026 bei rund 15 Euro liegen, 2027 sogar bei bis zu 15,48 Euro. Die OECD kommt sogar schon für 2025 auf einen Zielwert von 15,12 Euro. Ausgehend vom aktuellen Medianlohn wäre der Zielwert schon jetzt bei etwa 14,80 Euro, wie eigene Rechnungen ergaben haben. Körzell betonte: „Entsprechend groß ist nun der Nachholbedarf.“
Der gesetzliche Mindestlohn wurde 2015 auf Initiative der SPD eingeführt – als Antwort auf Dumpinglöhne. Damals lag er bei 8,50 Euro. Die Höhe wird alle zwei Jahre von einer unabhängigen Kommission festgelegt. Zuletzt stieg der Mindestlohn Anfang 2024 auf 12,41 Euro, ab 2025 sind es 12,82 Euro. Rund sechs Millionen Beschäftigte in Deutschland arbeiten laut DGB für Mindestlohn. Die Kommission kann bei „besonderen ökonomischen Umständen“ von ihren Kriterien abweichen.
Grünen-Politiker sieht Reformbedarf: Vertrauen „massiv erschüttert“
Nun mischten sich auch die Grünen in die Debatte ein. „Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können“, sagte der Fraktionsvize der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, dem Spiegel. Er machte der SPD Vorwürfe, dass dies nicht ausreichend im Koalitionsvertrag verankert sei: „Um das für möglichst viele zu erreichen, braucht es eine Änderung des Mindestlohngesetzes. Leider hat die SPD eine gesetzliche Regelung aufgegeben, die Union hat sich beim Thema Mindestlohn in den Verhandlungen komplett durchgesetzt“.
Der Koalitionsvertrag sei daher lediglich „Willensbekundung und Prosa für die SPD-Seele, keinerlei Veränderung der Realität“, so Audretsch weiter. Man müsse die EU-Mindestlohnrichtlinie ernstzunehmend umsetzen. Der Fraktionsvize forderte auch eine grundsätzliche Überarbeitung bisheriger Regelungen, durch die schneller auf wirtschaftliche Ereignisse reagiert werden soll. Der vergangene Zeitraum sei „viel zu lang, insbesondere in Zeiten hoher Unsicherheiten über Preissteigerungsraten und Lohnabschlüsse“, meint Audretsch.
Auch die internen Abläufe der Mindestlohnkommission müssten überarbeitet werden, so der Grüne. Das Vertrauen sei bei der Entscheidung 2023 „massiv erschüttert“ worden, weil die Arbeitgeber den Arbeitnehmern „einen Lohn diktiert“ hätten. Man müsse daher festschreiben, „dass weder die Arbeitgeber- noch die Arbeitnehmerseite einseitig ihre Forderung mithilfe des Vorsitzes durchsetzen darf“.
Kontroverse Mindestlohnerhöhung: Wie schnell kann der Lohn steigen?
Angesichts der schwachen Konjunktur – zwei Rezessionsjahre, kaum Wachstum – warnen Wirtschaftsverbände vor einem zu starken Anstieg. ifo-Präsident Clemens Fuest sagte bereits im Februar: „Der Mindestlohn kann nicht deutlich stärker steigen als Tariflöhne.“ Laut Wirtschaftsverbänden sei der Mindestlohn seit 2022 bereits um über 30 Prozent gestiegen. „Viele Arbeitgeber, insbesondere im Mittelstand, können das finanziell bereits heute nicht mehr stemmen.“
Der Mindestlohnexperte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung betonte hingegen laut t-online, wie wichtig ein großer Sprung beim Mindestlohn sei: „Würde man den Mindestlohn Jahr für Jahr mit der Tarifentwicklung fortschreiben, würde sich an der Lohnungleichheit nichts ändern“, erklärt Weber. Zuletzt habe es eine zu große Ungleichheit bei den Gehältern gegeben. Zu schnell solle es aber auch nicht gehen: „Es ist nicht auszuschließen, dass man bei einer sofortigen Anhebung auf 15 Euro in den roten Bereich von Jobverlusten kommt.“ Auch Weber verwies auf die Mindestlohnkommission. (lismah/dpa)