Orbáns „Troll-Diplomatie“: Experten sehen Zeichen der Schwäche – aber keines für Order von Putin
Ungarn nutzt seine Ratspräsidentschaft fürs „Trollen“ der EU. Warum? Experten sehen Orbán in Schwierigkeiten – aber nicht als Marionette von Putin und Xi.
„Warum?“, lautet eine simple Frage in Zusammenhang mit Viktor Orbán. Warum ärgert Ungarns Ministerpräsident die EU mit Vetos gegen Ukraine-Hilfspakete, mit unabgesprochenen Reisen zu Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump? Mehr noch als das Querschießen in der Asyl-Politik oder der hartnäckige ungarische Durst nach russischem Öl geben diese diplomatischen Stunts Rätsel auf.
„Warum“ also? Die ungarische Oppositionspolitikerin Klára Dobrev vermutete im Gespräch mit IPPEN.MEDIA zuletzt Orbáns Lust auf Bauchpinselei aus autoritären Staaten hinter den Ränken. Doch belastbare Antworten sind rar. „Wir Analysten tun uns auch schwer, darauf eindeutige Antworten zu geben“, sagte der ungarische Politologe und Ökonom Péter Krekó am Montag (26. August) in einer Expertenrunde des Thinktanks Center for European Policy Analysis (CEPA). Das Ergebnis sei teils kontraproduktiv für Ungarns und Orbáns Position. Eines sahen die Ungarn- und Osteuropa-Spezialisten aber nicht: Direkte Order aus Russland und China.

Orbáns Kurs „dient Russland und China“ – folgt aber einer eigenen Logik: Warum Ungarn die EU trollt
- Orbáns Eigennutz: „Orbán unterstützt vor allem das Überleben seines eigenen Regimes“, urteilte Politikwissenschaftler Támas Matura von der Corvinus-Universität Budapest in dem Panel. Die mit chinesischen Mitteln co-finanzierte Zuglinie Budapest-Belgrad etwa helfe auch Anhängern und Vertrauten der Regierung. Chinas investiert kräftig in Ungarn, beispielsweise in E-Auto-Batteriefabriken. „Was Orban tut, dient üblicherweise Russland und China - aber es dient auch seinen Interessen“, sagte Berufskollege Krekó.
- Orbáns Wette auf China und Russland: „Natürlich nutzt Russland die klassischen ‚money traps‘, aber das ist nicht alles“, erklärte Krekó zudem: „Orbán denkt, dass Nato und EU Projekte der Vergangenheit sind.“ Ungarns Ministerpräsident glaube an ein Erstarken Russlands und Chinas. „Länder mit ähnlichen Regierungen verfolgen ähnliche Ziele“, nannte Matura eine weitere simple Erklärung für den Schulterschluss.
- EU als gefühlter Gegenspieler: „Orbán sieht die EU als Gefahr“, ergänzte Krekó später. Auch nach fünf bis zehn Jahren Kampagnenarbeit seien europäische Institutionen in Ungarn populärer als Orbáns Regierung – und die EU stehe den von ihr vertretenen Werten diametral gegenüber. Chaos in der EU könne teils durchaus in Orbáns Sinne sein, sagte auch Matura.
- Streit um EU-Gelder: Ungarns Kurs habe bereits „ungewollte und ungewünschte“ Effekte gehabt, sagte Matura: das Einfrieren von Milliardengeldern für Budapest. Orbáns Regierung gehe seines Wissens davon aus, dass die Mittel für Ungarn verloren sind. Damit sei aber auch eine der letzten „Fesseln“ gefallen. „Lasst uns nach Moskau gehen, lasst uns nach Peking gehen“, laute nun die Devise.
- Orbáns Großmannsdenken: Ungarn EU-Ratspräsidentschaft biete Gelegenheiten, erläuterte Krekó. Zumindest eine davon habe Orbán genutzt – die für mehr Sichtbarkeit auf der weltpolitischen Bühne. Er stelle sich selbst „als Anführer auf Weltniveau dar“, etwa bei den Terminen mit Putin, Xi und Trump.
Es gebe „keine Anzeichen, dass Orbáns Handeln direkt auf Anweisung seiner autoritären Freunde passiert“, unterstrich indes auch die lettische Ex-Innenministerin Marija Golubeva in der CEPA-Expertenrunde.
Orbán unter Druck: Worauf Ungarn pokert – und warum es (wieder) schiefgehen könnte
Als Erfolgsrezept betrachteten die Experten Orbáns Kurs allerdings nicht. „Ich denke, er untergräbt vor allem seine Position in der EU“, sagte Krekó über Ungarns „Troll-Diplomatie“ und den jüngsten Eklat um Orbáns „Friedensmission“. Gescheitert sei Orbán auch schon im EU-Parlament: Eigentlich habe seine Fidesz zu Giorgia Melonis EKR-Fraktion gestrebt – doch Meloni habe eine Absage erteilt. „Niemand will einen Troublemaker in seiner Gruppe, sagte Krekó. Nun stecke Orbán mit den einflusslosen „Patrioten“ fest. „Orbán hat seine Diplomatie überreizt“. Dass Gelder tatsächlich eingefroren würden, sei vor fünf Jahren noch als völlig unmöglich erachtet worden: „Die Luft um Ungarn gefriert“, urteilte der Experte.
Meine news
„Wenn man ihn einer Gewinnerposition ist, muss man nicht auf Troll-Diplomatie zurückgreifen.“
Es gebe auch Anzeichen für einen gewissen Realitätsverlust in EU-Angelegenheiten: Orbán habe etwa Ursula von der Leyen als „Schreckbild“ auserkoren – obwohl zu erwarten gewesen sei, dass die Deutsche wieder Kommissionspräsidentin wird. Der ungarische Experte sah aber schon Orbáns nächsten Schachzug heraufdämmern: Eine Sperrminorität im Europäischen Rat – also im Kreis der Rats- und Regierungschefs – sei das Ziel. Sollten die FPÖ in Österreich und Populist Andrej Babis in Tschechien reüssieren, könne das Orbáns Ausgangslage verbessern.
Golubeva zeigte sich skeptischer: Aktuell sei das Orbán-Lager in der Minderheit. „Im Moment geht er sehr große Risiken ein. Sein Großmannsdenken lässt ihn das offenbar übersehen.“ Sie gab aber einen Rat an die EU-Mitglieder: Sie würden davon profitieren, vom Einstimmigkeitsprinzip zu lassen, gerade mit Blick auf Orbán und ähnlich gelagerte Fälle. Ob sich diese Einsicht durchsetze, werde sich aber erst in den kommenden Jahren zeigen. (fn)