Sanktionen und Ukraine-Krieg: Russland ist für China „zu einem Freiluft-Labor geworden“

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Die russische Wirtschaft kann mit dem Druck der Sanktionen offenbar gut umgehen – unter anderem, weil der Westen Denkfehler machte. Derweil nutzt China in Russland gewisse Chancen.

Hamburg/München – Seit dem Überfall auf die Ukraine hat sich auch einiges für Russlands Wirtschaft geändert. Noch dürfte sich Wladimir Putin aber nicht unter Druck gesetzt fühlen. Unter anderem, weil er noch immer auf die Unterstützung wichtiger Partner, zum Beispiel China, setzt. Doch will China das auch?

Oliver Kempkens war Ex-Manager bei der russischen Sberbank. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA gibt er Einblicke in das alltägliche Leben in Russland, warum die Sanktionen gegen Russlands Wirtschaft einen nachteiligen Nebeneffekt für den Westen haben könnten – und was dem Wirtschaftspartner China vorschwebt.

Folgen für Russlands Wirtschaft nach Ukraine-Krieg und Sanktionen – war Putin gut vorbereitet?

Russland führt seit nunmehr mehr als zwei Jahren Krieg gegen die Ukraine. Das ist ja auch für Putin sehr kostspielig. Wie geht es der russischen Wirtschaft damit?

Kostspielig ist es mit Sicherheit, auf der anderen Seite hatte die russische Wirtschaft am Anfang des Krieges ja schon Reserven angehäuft, die sie einsetzen konnte. Der Haushalt war immer sehr konservativ geplant. Der Kreml hatte nie „Sondervermögen“ aufgelegt und sich eigentlich nur in geringem Maße überschuldet. Zudem gab es Rücklagen. Jetzt hat man die Rücklagen zum Großteil aufgebraucht. Nun überlegt der Kreml, wie man neue Einnahmen schafft – etwa durch Steuerreformen und Sonderabgaben.

Putin will ja zugleich viel Geld ins Militär investieren – für das kommende Jahr sollen die Militärausgaben fast einem Drittel des Gesamthaushalts entsprechen. Kann er sich solche Investitionen überhaupt leisten?

Mit Sicherheit kann sich der russische Staat das derzeit noch leisten, aber nicht zehn bis 15 Jahre. Wenn man in die Rüstungsindustrie investiert, werden auch immer Güter produziert, die keine Nachhaltigkeit haben. Gegebenenfalls werden auch Investitionen in Anlagen und Anlagevermögen getätigt, die zukünftig nicht mehr so gebraucht werden. Langfristig wird es auf jeden Fall einen Effekt auf die russische Wirtschaft haben. So genau weiß aber keiner in Russland, wie viel der Kreml bislang in das Militär investiert hat, weil nicht alle Daten transparent sind.

Schränken die westlichen Sanktionen und der Krieg auch das Leben in Russland stark ein?

Es gibt natürlich Einschränkungen, die jeder normaler Russe spürt: seien es Reisebeschränkungen oder finanzielle Einschränkungen, weil man gar nicht mehr im Ausland mit der russischen Kreditkarte bezahlen kann. Der Servicemarkt ist umkämpfter und der grundsätzlich nicht sehr volatile Wohnungsmarkt ist erstarrt, die Mieten sind signifikant gestiegen. Zudem sind durch den hohen Leitzins auch die Zinsen für Eigentum gestiegen, wenngleich Löhne steigen und eine Amortisierung in Eigentum im Regelfall in fünf bis acht Jahren möglich war.

Aber: Der Alltag ist faktisch gleich geblieben. Da hat sich nicht wahnsinnig viel geändert. Von den Lebensmittelprodukten, die man in Russland bekommt, gibt es zum Beispiel keine Einschränkungen, die Autos sind chinesisch, aber auch dort gibt es Luxusmarken. Die, die das Geld haben, fahren weiter westliche Luxusautos. Einer der ersten Rolls-Royce Spectre wurde beispielsweise in Moskau angemeldet.

Inflation, Sanktionen, hohe Kriegskosten: Russlands Wirtschaft hält sich offenbar gut

Aber die Inflation treibt doch die Preise in die Höhe?

Auch gegen Preisanstiege versucht der Staat zu lenken. Es gibt immer wieder Rentenanpassungen und Einmalzahlungen für bestimmte Situationen und vergünstigte Kreditbedingungen für Familien. Das ist mechanistisch schon beeindruckend. Solange es für eine bestimmte Klasse ökonomisch läuft, in dem Fall die Mittelschicht und die Elite, spielt der Krieg auch nicht so eine Rolle für die Menschen und der Staat kann von der Kriegssituation ablenken.

Würden Sie sagen, der Westen hat die Wirkung der Sanktionen gegen die russische Wirtschaft unterschätzt?

Ja, ich glaube schon. Man hat vor allem ein Momentum unterschätzt. Gerade die Finanzsanktionen, insbesondere das Einfrieren der Gelder der russischen Zentralbank im Ausland, haben die Glaubwürdigkeit des Westens komplett untergraben.

Inwiefern?

Weil es üblich ist, dass man die Gelder der Zentralbanken auch woanders aufbewahrt. Durch das Einfrieren des russischen Staatsvermögens im Ausland hat es dazu geführt, dass die Länder, die an der Schwelle standen, denken, dass der Westen doch kein so ein verlässlicher Partner ist, und vor allem, das Rechtssystem politisiert ist. Es ist eine Situation geschaffen worden, in der sich viele Länder auch nicht gegen Russland positioniert haben, sondern zumindest neutral geblieben sind. Damit meine ich nicht nur China und Kasachstan.

Also schadet sich der Westen selbst mit den Sanktionen gegen Russland?

Ich bin mir nicht sicher, ob man gerade Länder, die man eigentlich auf seiner Seite haben möchte, zurückgewinnt, je mehr Sanktionen man erlässt. Gerade wenn man historisch und politisch diesen Ländern auch nicht stets uneingeschränkt zur Seite stand. Wenn man die Sanktionsspirale weiter dreht, dann wird sie irgendwann auch wieder zurückgedreht werden müssen. Das ist ein sehr schmaler Grat. Ich glaube, das ist für alle Beteiligten nicht einfach. Weder für die Ukrainer noch für Russland, für den Westen noch für die anderen Staaten, die teilweise auch ihre Märkte sichern wollen.

Müsste der Westen stattdessen noch mehr Druck auf Putins Verbündete machen?

Das wird ja immer wieder über Sekundärsanktionen versucht. Der Westen versucht, Handelsgesellschaften in den Vereinigten Arabischen Emirate, in Singapur, in Ägypten oder in der Türkei zu sanktionieren. Aber es sind natürlich auch Gesellschaften, die intransparent agieren. Die Sanktionen sind ja auch von der Systematik sehr hart, aber in der Umsetzung nicht immer konsequent. Man darf auch nicht vergessen, dass bestimmte Anrainerstaaten große Wirtschaftsbeziehungen mit der russischen Föderation hatten. Und sie sehen natürlich auch ihren eigenen Wohlstand gefährdet.

China hält bislang zu Putin – doch wie lange profitiert Russlands Wirtschaft davon?

Für Putin ist China einer der wenigen Verbündeten. Hat China wirklich Interesse daran, Russland wirtschaftlich zu helfen?

Ich denke, viele chinesische Firmen halten sich grundsätzlich an die Sanktionen. Mit Sicherheit ist Russland für China ein wenig zu einem Freiluft-Labor geworden. Es kann ganz viel ausprobiert werden. Der Automobilmarkt ist derzeit chinesisch dominiert, das ist für den Endkunden interessant. Wenn man sich auch Konsumgüter anschaut, gerade Elektro-Konsumgüter, Mobilfunktelefone, IT – vieles kommt aus China. Das ist natürlich für den chinesischen Markt schon spannend. Historisch sind es nicht die Partner, die man sich so vorstellen kann. Ich glaube, aus russischer Sicht würde man immer noch den Westen als geeigneteren Wirtschaftspartner sehen.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping
China ist einer von Putins verbliebenen Verbündeten. Auch wirtschaftlich wird Russland abhängiger vom Reich der Mitte. © Ministry of Foreign Affairs of R/imago

Dennoch ist Russland aufgrund der Sanktionen gezwungen, sich immer mehr China zuzuwenden, auch im Energiesektor. Zur Debatte steht ein Pipeline-Deal, aber die Gespräche geraten offenbar ins Stocken.

Da gibt es wenig Öffentliches. Ich gehe aber davon aus, dass man sich da nicht mit allem oder in allem einig ist. China will offenbar nicht die Preise zahlen, die der Westen gezahlt hat. Russland würde schon gerne mit einer großen Symbolik arbeiten. Wenn man jetzt die „Power-of-Siberia-2“ oder eine andere Pipeline schon in den Bau gesetzt hätte, wäre das auch ein gutes Signal nach innen. (Interview: Bona Hyun)

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