Kehrtwende im Israel-Krieg: Harris könnte Netanjahu neuen Kurs aufzwingen
Kamala Harris gilt als mögliche Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten. Jetzt trifft sie auf Netanyahu – und muss Stellung zu Israel nehmen.
Washington, D.C. – Bis jetzt hatte sich Kamala Harris durch ihre Arbeit für US-Präsident Joe Biden definiert. Der hatte sich immer wieder zu seiner Rolle als pro-israelischer amerikanischer Präsident bekannt – auch wenn seine persönliche Beziehung zu Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu oft schwierig war.
Doch jetzt, nur wenige Tage, nachdem sie zur voraussichtlichen Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten geworden ist, muss Harris Stellung zu einem der brisantesten außenpolitischen Themen der US-Politik beziehen: Sie muss eine Haltung zu Israel und dem Krieg im Gazastreifen einnehmen.
Netanjahu erwähnt Harris kein einziges Mal bei seiner Rede vor dem Kongress
Der Start der Beziehungen von Harris und Netanjahu scheint jedenfalls eher holprig zu verlaufen. In seiner Rede vor dem US-Kongress am Mittwochnachmittag (24. Juli) erwähnte der israelische Premierminister die voraussichtliche Präsidentschaftskandidatin kein einziges Mal.

Allerdings übernahm Harris auch nicht den Vorsitz bei Netanyahus Rede vor dem Kongress. Stattdessen führte sie ihre geplante Reise zu der Veranstaltung einer Studentenverbindung in Indiana durch. Doch am Donnerstag (25. Juli) wird sie Netanjahu in ihrem Büro im Old Executive Office Building in Washington empfangen.
Netanjahu spricht vor US-Kongress nicht über Harris – wird sie Bidens Außenpolitik fortführen?
Sollte Harris nach der US-Wahl für die Demokraten ins Weiße Haus einziehen, gilt als wahrscheinlich, dass die Bidens außenpolitische Linie größtenteils fortführt. Doch seine starke Unterstützung für Israels Krieg im Gazastreifen hat eine Kluft zwischen Gemäßigten und Progressiven in seiner Partei verursacht.
Mit seinem Ausscheiden aus dem Amt bestünde für die Demokraten jetzt die Möglichkeit einer Kurskorrektur. Und auch wenn Harris bisher stets darauf bedacht war, Biden nicht zu widersprechen, hat sie die Haltung der US-Regierung zum Krieg in Gaza teils deutlich kritisiert. Mit Nachdruck und noch vor anderen Regierungsvertretern hatte sie sich oft für die Begrenzung der zivilen Opfer in der Enklave eingesetzt.
Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge wird erwartet, dass die ihre Botschaft für Netanjahu während des Treffens am Donnerstag sagen wird, dass es „an der Zeit ist, den Krieg auf eine Weise zu beenden, bei der Israel sicher ist, alle Geiseln freigelassen werden, das Leiden der palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen ein Ende hat und das palästinensische Volk sein Recht auf Würde, Freiheit und Selbstbestimmung genießen kann“. Das habe ein Berater der möglichen Präsidentschaftskandidatin gegenüber dem Wirtschaftsmagazin durchscheinen lassen.
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Harris wird von der jüdischen Gemeinschaft unterstützt – sie muss sich jetzt zum Krieg in Gaza positionieren
Ob es dazu allerdings wirklich kommen werde, sei fragwürdig. Wahrscheinlich werde Harris sich zunächst darauf konzentrieren, die Nominierung zu sichern. Eine direkte Konfrontation sei also nicht zu erwarten, so Analysten gegenüber der Zeitung. Eine solche berge schließlich die Gefahr, den Eindruck zu erwecken, sie sei in Bezug auf Israel schwach. Trotzdem sei zu erwarten, dass Harris’ Beziehung zu Netanjahu ganz anders sein werde als die von Biden. Zwar habe sich der US-Präsident oft mit Netanjahu gestritten, hab ein US-Beamter zu bedenken gegeben. Er habe aber auch über jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit ihm verfügt.
Noch weiß aber offenbar niemand genau, wie Harris’ Position tatsächlich aussieht. Dass sie Netanjahus Rede von dem Kongress nicht beigewohnt habe, lege gewisse Schlüsse nahe, schreibt das Nachrichtenportal Vox. Letztlich sei es aber nicht so einfach. Sie habe seit langem Verbindungen zur amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft und zu israelischen Interessengruppen, auch ihr Ehemann, Doug Emhoff, sei Jude. Zudem habe sie für ihre Präsidentschaftskandidatur die Unterstützung wichtiger jüdischer Interessengruppen gewonnen. Wiederholt habe sie Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ gegen die Hamas bekräftigt und betont, dass die Bedrohung Israels durch die Hamas „beseitigt“ werden müsse – eine weitgehende Übereinstimmung mit Bidens Position.
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Harris und Netanjahu treffen erstmals aufeinander – übernimmt sie Bidens Position zu Israel?
Gleichzeitig hatte sie in Bezug auf Israels Behandlung von Zivilisten in Gaza immer wieder einen schärferen Ton angeschlagen als der amtierende US-Präsident. In einer viel beachteten Rede im März war sie die erste Person in Bidens Regierung, die einen sofortigen Waffenstillstand forderte, wenn auch nur einen vorübergehenden. Sie forderte damals auch, dass die israelische Regierung mehr tun müsse, um den Zustrom von Hilfsgütern nach Gaza zu erhöhen, und nannte die Situation in Gaza eine „humanitäre Katastrophe“. Berichten zufolge war die Rede ursprünglich noch schärfer formuliert. Harris hatte Israel offenbar noch direkter für die Behinderung von Hilfslieferungen nach Gaza kritisieren wollen, die Aussagen dann aber abgeschwächt.
Auch mit den Protestierenden an US-Universitäten zeigte sie sich solidarisch. „Sie zeigen genau das, was die menschliche Emotion als Reaktion auf Gaza sein sollte“, so Harris gegenüber The Nation. „Es gibt Dinge, die einige der Demonstranten sagen, die ich absolut ablehne, also will ich ihre Argumente nicht pauschal gutheißen. Aber wir müssen uns damit auseinandersetzen. Ich verstehe die Emotionen dahinter“, so die mögliche demokratische Kandidatin weiter.
Noch habe man schlicht „nicht genügend Anhaltspunkte“, um sichere Aussagen über Harris‘ Position zum Krieg in Gaza zu treffen, so Richard Haass gegenüber CNN. „Jeder, der sagt, er könne antworten, ist nicht sehr hilfreich. Man kann eine Person nicht beurteilen, wenn sie Vizepräsident ist“, so der ehemalige US-Beamte, der unter George W. Bush im Außenministerium tätig war. (tpn)