Klingbeil und die Länder zoffen: Diese drei Entlastungen stehen für Sie auf der Kippe

Das Interview von Lars Klingbeil in der "Bild" zeigt, wie unsicher einige Entlastungen sind, die viele Bürger fest einplanen. Komme die Union der Regierung nicht entgegen, sagte der Vizekanzler, Finanzminister und SPD-Vorsitzende, müssten Millionen Menschen in Deutschland auf Steuersenkungen verzichten. "Ich glaube nicht, dass sie das riskieren wollen."

Scheitern könnten Entlastungen, die die Regierung versprochen hatte. Für die Menschen in Deutschland hätte das drei Folgen:

1. Teureres Essen im Restaurant: etwa 120 Euro im Jahr

Das steht auf der Kippe: Die Bundesregierung will die Mehrwertsteuer in der Gastronomie von 19 auf sieben Prozent senken.

Das stört die Bundesländer:

  • Bund, Länder und Kommunen teilen sich die Einnahmen der Mehrwertsteuer.
  • Die Verteilung wird jährlich neu berechnet. Die Länder bekommen meist etwas mehr als die Hälfte, der Bund etwas weniger, die Kommunen rund drei bis vier Prozent.
  • Senkt der Bund die Mehrwertsteuer in der Gastronomie, bekommen die Länder weniger Geld.
  • Die Länder verlangen eine Gegenleistung: Der Bund könnte ihnen Geld zuschießen oder sie an anderer Stelle entlasten.
  • Diese Forderung können sie im Bundesrat durchsetzen. Dort sitzen die Länderregierungen und dieser muss dem Gesetz zustimmen. Der Bundesrat warnte deswegen am Freitag, das Gesetze belaste die Länder stark.
  • Klingbeil kontert nun: "Jetzt müssen die Länder wie verabredet dieses Paket mittragen. Es geht um Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger." 

Das kostet es jeden Einzelnen: 

Wie viel eine niedrigere Mehrwertsteuer jedem Einzelnen sparen könnte, hängt davon ab, wie oft er oder sie im Restaurant isst. Als Richtwert:

  • Laut Statistischem Bundesamt geben Haushalte durchschnittlich 2000 Euro im Jahr für Restaurantbesuche aus.
  • Sinkt die Mehrwertsteuer in der Gastronomie auf sieben Prozent, spart jeder Haushalt im Durchschnitt rund 120 Euro im Jahr.

Wichtige Einschränkung: Restaurants, Cafés und Bars müssen die niedrigere Mehrwertsteuer nicht an ihre Kunden weitergeben. Weil die Branche ohnehin kriselt, vermuten viele Experten, dass die Geschäfte das Geld lieber behalten. Dann läge der Unterschied für Kunden eher darin, dass weniger Gastronomen ihre Betriebe aufgeben.

2. Mehr Steuern für Pendler: bis zu 300 Euro

Das steht auf der Kippe: Die Regierung will die Pendlerpauschale von 38 Cent künftig bereits ab dem ersten Kilometer anwenden. Bislang beträgt sie für die ersten 20 Kilometer 30 Cent und erst ab dem 21. Kilometer 38 Cent.

Das stört die Bundesländer:

  • Die Pendlerpauschale senkt die Einkommensteuer: je höher die Pauschale, umso niedriger die Steuer. Die Änderung erhöht die Pauschale und senkt so die Einkommensteuer.
  • Wieder teilen sich Bund, Länder und Kommunen die Einnahmen der Steuer: Bund 42,5 Prozent, Länder 42,5 Prozent, Gemeinden 15 Prozent.
  • Wieder entgehen den Ländern durch die Änderung Einnahmen. Wieder verlangen diese eine Gegenleistung. Gleiches Dilemma wie bei der Mehrwertsteuer.

Das kostet es jeden Einzelnen:

Wie viel die Änderung jedem Einzelnen spart, hängt davon ab, wie weit Angestellte zur Arbeit pendeln und wie hoch der persönliche Steuersatz ist. Zur Orientierung: Alleinstehende, die mindestens 20 Kilometer zur Arbeit pendeln, sparen durch die Änderung bei 220 Arbeitstagen:

  • 25 Prozent Grenzsteuersatz (ca. 20.000 Euro zu versteuerndes Einkommen): 88 Euro jährlich.
  • 35 Prozent Grenzsteuersatz (ca. 50.000 Euro zu versteuerndes Einkommen): 123 Euro jährlich.
  • 42 Prozent Grenzsteuersatz (ab ca. 70.000 Euro zu versteuerndes Einkommen): 148 Euro jährlich.

Pendeln beide Eltern, spart ein Haushalt also knapp 300 Euro im Jahr. Scheitert die Änderung, fällt diese Ersparnis weg.

3. Mehr Steuern für Ehrenamtler: bis zu 126 Euro

Das steht auf der Kippe: Die Bundesregierung will den Steuer-Freibetrag für Übungsleiter von 3000 auf 3300 Euro anheben und für sonstige ehrenamtlich Tätige von 840 auf 960 Euro.

Das stört die Bundesländer: Wieder senkt der höhere Freibetrag die Einkommensteuer und damit die Einnahmen der Länder.

Das kostet es jeden Einzelnen: Je nach Grenzsteuersatz sparen Steuerpflichtige mit der höheren Übungsleiterpauschale bis zu 126 Euro im Jahr und mit der höheren Ehrenamtspauschale bis zu 50 Euro im Jahr.

Insgesamt rund 500 Euro je Haushalt

Fällt die Reform also aus, kostet dies Haushalte im Durchschnitt direkt rund 500 Euro jährlich. Die genauen Kosten hängen von den Lebensumständen ab: Pendelentfernung, Ehrenamt, Restaurantbesuche. 

Es wird auch Gewinner geben: etwa Senioren

Wähler sollten bei der jetzigen Debatte nicht vergessen: Fallen die Entlastungen aus, hat nicht jeder Mensch in Deutschland deswegen weniger Geld. Einigen bleibt mehr. Um die Entlastungen zu finanzieren müssten Bund oder Länder an anderer Stelle Geld einsparen. Sie können Leistungen kürzen oder Projekte streichen.

Wer selten essen geht und nah an der Arbeit wohnt, spart durch Entlastungen bei Pendlerpauschale und Mehrwertsteuer womöglich weniger, als ihn die Einsparungen zu ihrer Finanzierung kosten. 

Senioren, die viel selbst kochen, dürften zu den größten Gewinnern gehören, falls die Reform scheitert. Gestresste Angestellte, die auf dem Weg nach hause schnell außerhalb essen, zu den größten Verlieren.  

Spahn kontert Klingbeil - Ausgang offen

Noch ist unsicher, ob das Gesetz kommt oder scheitert. 

  • Für das Gesetz spricht, dass der Bund nach jüngsten Schätzungen bis 2029 rund 100 Milliarden Euro Steuern mehr einnehmen könnte als bislang geplant. Dieses Geld muss er verplanen.
  • Gegen das Gesetz spricht, dass das Geld noch knapp ist und die Mehreinnahmen unsicher bleiben, bis sie einmal da sind.

Der Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn sagte bei RTL und ntv, Klingbeil solle Mehrheiten über Gespräche beschaffen, nicht über die Presse. Klingt also, als läge beiden Koalitionspartnern am Gelingen der Reform.