„Zweite Meinung nicht bei uns“: Arztpraxis stößt Patienten vor den Kopf

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Die Diagnose eines Kollegen einzuordnen, ist mitunter eine undankbare Aufgabe für Ärzte. Besonders, wenn Patienten eine vorgefertigte Meinung mitbringen.

Kassel – Wer sich unwohl fühlt oder Schmerzen hat, sollte sich medizinischen Rat holen. Vor allem bei anhaltenden Symptomen ist es nicht ungewöhnlich, sich eine zweite Meinung einholen zu wollen. Nur die zweite Anlaufstelle möchte aber offenbar nicht jede Arztpraxis sein: Patienten, die bereits eine Diagnose zur Sprechstunde mitbringen, sind jedenfalls in einer Praxis ungern gesehen. Darüber informiert ein Zettel-Aushang, der auf der Social-Media-Plattform Reddit hochgeladen wurde.

„Zweite Meinung nicht bei uns“: Arztpraxis weist Patienten via Zettel ab

Zettel mit unmissverständlichen Botschaften finden sich mittlerweile viele im Alltag. Insbesondere Autofahrer hinterlassen einander gerne warme Worte auf Papier, meist um die Einpark-Künste des jeweils anderen zu kommentieren. Auch Supermarkt-Kunden drücken hin und wieder auf diese Art ihren Unmut aus, verärgerte Nachbarn im Mehrfamilienhaus sowieso.

Eine zweite Meinung lässt auch der Aushang einer Arztpraxis nicht zu – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn wer seine vorab im Internet recherchierte Selbstdiagnose vom Arzt oder von der Ärztin abgenickt bekommen möchte, möge gleich wieder auf dem Absatz kehrtmachen. So heißt es: „Patienten, die eine Diagnose bereits über Google bezogen haben, werden gebeten, eine zweite Meinung nicht bei uns, sondern Yahoo einzuholen“.

Von „Kollege“ Dr. Google scheint man in der Praxis also wenig zu halten; oder eben ähnlich viel, wie von Dr. Yahoo. Gemeint sind zwei der drei größten Online-Suchmaschinen in Deutschland. Konsequenterweise hätte das Fachpersonal allerdings auf den Anbieter Bing verwiesen – die hierzulande am zweithäufigsten genutzte Suchmaschine nach Google.

„Würde mir einen anderen Arzt suchen“: Arztpraxis-Zettel trifft auf Unmut

Bei den Reddit-Nutzern kommt der Aushang jedoch gar nicht gut an. „So ein Schild würde mich eher davon überzeugen, mir einen anderen Arzt zu suchen“, meint ein Nutzer. Es habe seiner Meinung nach „schon sehr den Beigeschmack“ von Bevormundung und Überheblichkeit.

Eine andere Person, die laut eigener Aussage im medizinischen Bereich arbeite, hält ebenfalls wenig von dem Zettel. „Wenn man reflektiert an die Sache rangeht, kann das schon ein guter Beginn sein, um sich zu informieren. Vielleicht auch, um unnötige Arztbesuche zu vermeiden“, schreibt sie. „Ich google meistens, damit ich eine ungefähre Ahnung hab, wie dringend es ist – vor allem bei meinen Hunden“, schreibt eine weitere Person. Doch auch im Nachgang können Ärzte noch Krankschreibungen ausstellen.

Arztpraxis schießt per Zettel-Aushang gegen Dr. Google – Das steckt dahinter

In welcher Arztpraxis der Zettel hängt, ist nicht bekannt. Ungewöhnlich ist dessen Inhalt unter Medizinern aber nicht. Experten raten in den meisten Fällen davon ab, Symptome im Internet zu recherchieren. Wie Ökotest berichtet, könne das die gesundheitliche Lage deutlich verschlechtern, statt zu verbessern.

Ein Arzt während einer Sprechstunde. (Symbolfoto/Fotomontage)
Eine zweite Meinung einholen? Nicht in dieser Praxis – zumindest nicht, wenn Symptome vorher gegoogelt wurden. (Symbolfoto) © Imago/Reddit

Demnach könnte das Googeln von Symptomen die Angst schüren, ernsthaft krank zu seinen, so Ökotest unter Berufung auf eine Studie der Universität Köln. Ganz getreu dem Motto „wer sucht, findet früher oder später auch“ nennen die Uni-Forscher das psychologische Phänomen „Cyber-Hypochrondrie“. Einen Arzttermin einfach nicht wahrzunehmen, ist aber keine gute Idee – die Praxen können hohe Ausfallgebühren verlangen.

Medizinerin ordnet ein: Wann ist es sinnvoll, Symptome zu googeln – und wann nicht

Bei einer Online-Recherche von Symptomen findet man allerdings wohl eher früher als später Antworten, was kritisch zu betrachten sei, wie Corinna Schaefer vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin gegenüber geo.de sagt. „Wer dazu neigt, alle möglichen Symptome bei sich wiederzufinden, dem tut es nicht gut, ungefiltert Suchergebnisse auf sich einprallen zu lassen“, so Schaefer.

Patienten fehlten oftmals die nötigen medizinischen Zusammenhänge. „Ein einzelnes Symptom kann auf die unterschiedlichsten Krankheiten hindeuten. Der Arzt weiß, für welche Krankheit er was abfragen muss“, erklärt die Medizinerin. „Manche Patienten kommen dann mit bestimmten Vorstellungen über ihre vermeintliche Krankheit und die richtige Therapie in die Praxis, die ihnen der Arzt nur schwer ausreden kann.“

Grundsätzlich falsch zu googeln sei es aber nicht. In Fällen von seltenen Krankheiten mitunter sogar ratsam. Patienten sollten ihre Quellen jedoch kritisch hinterfragen. Folgendes rät sie:

  • Sich stets fragen: Wer betreibt das Angebot und wie finanziert es sich? Sind Werbung und fachlicher Inhalt getrennt? Wird dramatisiert oder verharmlost?
  • Immer Infos von mehreren Quellen einholen. Stutzig werden, sollten die Seiten sich widersprechen.
  • Hinterfragen, wer und wie qualifiziert der Autor des Textes ist.
  • Überprüfen, von wann der Text. Informationen können schon noch wenigen Jahren veraltet sein.

Beispiele für vertrauenswürdige Seiten, die den Anforderungen des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin genügen, seien patienten-information.de der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung oder gesundheits-information.de.

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