Die wirklich letzte Generation: Ich bin kurz davor, mich auf die Straße zu kleben

„Ich verstehe nicht, wieso sich die Unternehmer nicht auf die Straße kleben.“ Diesen Satz habe ich neulich gesagt – halb im Scherz, halb im Ernst. Natürlich meine ich das nicht wörtlich.

Ich heiße diese Protestform nicht gut – und ich glaube auch nicht, dass Unternehmer mit Sekundenkleber auf Asphalt gehört werden. Aber als Metapher steht dieser Satz für etwas, das uns alle betrifft: die stille Verzweiflung, mit der eine ganze Generation von Unternehmern versucht, gehört zu werden – und immer öfter scheitert.

Während die Gesellschaft über Protestformen wie die der „Letzten Generation“ diskutiert, kämpfen unzählige Betriebe mit einer Realität, die kaum jemanden interessiert: Mitarbeitermangel, Nachfolgekrisen, steigende Kosten und immer mehr Bürokratie. Und das ganz ohne Schlagzeilen.

Ich frage mich: Was, wenn WIR die Letzte Generation sind?

Ich bin im Handwerk groß geworden. Meine Mutter gründete mit 23 unsere Kettelei – in einer Zeit, in der Frauen im Handwerk noch eine Ausnahme waren. Was sie motivierte, war der Stolz auf das, was man mit den eigenen Händen schaffen kann. Dieser Stolz hat mich geprägt. Heute führe ich unser Unternehmen weiter – mit derselben Leidenschaft. Aber auch mit wachsender Sorge.

Im vergangenen Jahr haben wir zum ersten Mal keinen Auszubildenden gefunden. Unsere Mitarbeiter sind erfahren, aber viele stehen kurz vor der Rente. Der Generationenwechsel wird zur Herausforderung, nicht nur bei uns.

Immer mehr Kunden sagen: „Ich höre bald auf – es lohnt sich nicht mehr.“ Das sagen Menschen, die 30 oder 40 Jahre lang Verantwortung getragen haben. Und jetzt loslassen, weil sich niemand mehr findet, der weitermacht.

Ich frage mich: Was, wenn WIR die Letzte Generation sind?
Nicht laut, nicht wütend, nicht radikal. Sondern die Letzte Generation, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bildet. Die ausbildet, Verantwortung übernimmt, Perspektiven schafft.

Was, wenn sich WIR – der Mittelstand – symbolisch auf die Straße kleben würden? Nicht um zu blockieren, sondern um sichtbar zu machen, was passiert, wenn wir verschwinden?

Über die Gastautorin:

Clara Hunnenberg (31 Jahre alt) führt in dritter Generation in Düsseldorf einen Handwerksbetrieb für Bodenbeläge, Kettelei und Parkett. Ihr Unternehmen ist seit über 70 Jahren ein Profi-Partner des Handwerks und steht für besten Service, großes Engagement und Nachhaltigkeit.

Es braucht einen Imagewechsel – und die richtigen Rahmenbedingungen

Der Mittelstand macht über 99 % aller Unternehmen in Deutschland aus. Er stellt über 55 % aller Arbeitsplätze, mehr als 80 % aller Ausbildungsplätze, rund 58 % der Wirtschaftsleistung.

Trotzdem fühlen sich laut Mittelstandsbarometer 2024 rund 77 % der Unternehmen von der Politik eher belastet als unterstützt. Im Handwerk fehlen laut ZDH 250.000 Fachkräfte – jedes Jahr bleiben über 60.000 Ausbildungsplätze unbesetzt.

Das Handwerk war einmal das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Heute wird es oft reduziert auf körperliche Belastung und „veraltete“ Berufsbilder. In Schulen wird das Handwerk kaum noch vorgestellt, der Mythos vom Laptop-Erfolg dominiert.

Dabei ist das Gegenteil wahr: Handwerk ist systemrelevant, zukunftsfähig und erfüllend. Wer ein Handwerk versteht, kann unabhängig sein, gründen, gestalten – genau das, was meine Mutter damals motiviert hat. Dafür braucht es einen Imagewechsel – und die richtigen Rahmenbedingungen.

Ohne Kurswechsel verlieren wir Know-how, Ausbildung, Selbstständigkeit und Sinn

Was wir brauchen: eine moderne Ausbildung, weniger Bürokratie, Digitalisierung mit Sinn, steuerliche Anreize für Gründer und echte Perspektiven für Nachfolger.
Deshalb fordern die Familienunternehmer in ihrem Papier zur Wirtschaftswende unter anderem:
„Deutschland muss wieder ein attraktiver Standort für Investoren und ausländische Fachkräfte werden. Soziale Marktwirtschaft funktioniert nur mit Freiheit, innerer und äußerer Sicherheit, und auch nur mit Vielfalt.“

Ein breites Bündnis von Verbänden warnt im aktuellen Verbändebrief: Ohne Kurswechsel wird der Mittelstand zu den Verlierern der Transformation. Und was dann? Dann verlieren wir mehr als Betriebe. Wir verlieren Know-how, Ausbildung, Selbstständigkeit und Sinn.

Wir brauchen keine Straßenblockaden. Aber wir brauchen Aufmerksamkeit

Deshalb sage ich ganz bewusst: Wir brauchen keine Straßenblockaden. Aber wir brauchen Aufmerksamkeit. Sichtbarkeit. Den Mut, unsere Stimme zu erheben. Nicht um zu stören – sondern um mitzugestalten.

Denn wenn niemand mehr den Betrieb übernimmt, ist das kein individuelles Scheitern –
es ist ein gesellschaftliches.

Was ich mir wünsche?
Dass junge Menschen wieder sagen:
„Ich werde Handwerker.“
„Ich übernehme den Betrieb.“
„Ich gründe mein Unternehmen.“
Nicht, weil sie müssen – sondern weil sie es wollen.

Aber dafür müssen wir das Unternehmertum wieder sichtbar machen – in der Politik, den Medien, den Schulen und in der Gesellschaft.

Denn wenn wir wirklich die Letzte Generation von Unternehmern sind – dann ist es höchste Zeit, dass man uns zuhört.