Gene sind kein Schicksal
Wir kommen mit einem festen genetischen Code zur Welt – doch wie dieser genutzt wird, hängt maßgeblich von unserem Verhalten ab. Die Epigenetik zeigt, dass nur rund 20 Prozent unserer Krankheitsrisiken auf unveränderliche Gene zurückgehen.
Die restlichen 80 Prozent werden durch unser sogenanntes Epigenom beeinflusst – eine biochemische Schicht, die bestimmt, welche Gene an- oder abgeschaltet werden. Ernährung, Bewegung, Schlaf und sogar Stress wirken auf dieses Epigenom ein und verändern damit die Aktivität unserer Gene. Das bedeutet: Wir können durch bewusste Lebensführung unseren Körper buchstäblich umprogrammieren.
Prof. Dr. Klaus Günther, Lebensmittelwissenschaftler und Biochemiker, forscht und lehrt an der Universität Bonn zu Mikronährstoffen und innovativer Ernährungsforschung und ist international als Honorarprofessor und Gutachter tätig. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Wie Verhalten Gene lenkt
Alles, was wir tun, hinterlässt molekulare Spuren. Wenn wir uns ausgewogen ernähren, uns bewegen oder regelmäßig schlafen, aktivieren wir Signalwege in unseren Zellen, die bestimmte Gene stimulieren oder dämpfen. Viele Nahrungsbestandteile – etwa ungesättigte Fettsäuren oder bioaktive pflanzliche Stoffe – beeinflussen direkt sogenannte Chromatinmodifikatoren.
Diese Enzyme verändern die Struktur der DNA-Verpackung und damit, ob Gene zugänglich oder blockiert sind. So kann gesunde Ernährung entzündungshemmende Gene aktivieren, während Bewegungsmangel und Stress den gegenteiligen Effekt haben.
Manche Chromatinmodifikatoren benötigen Eisen, damit sie funktionieren. Eisenmangel kann deshalb zu einem „blockierten“ Epigenom führen, weil Methylgruppen nicht mehr entfernt werden – Gene bleiben stillgelegt, die eigentlich aktiv sein sollten (z. B. in Stoffwechsel- und Immunzellen).
Das Gedächtnis der Zellen
Epigenetik ist nicht nur dynamisch, sie hat auch ein Gedächtnis. Jede Zelle merkt sich, welchen Belastungen sie ausgesetzt war – ob Übergewicht, Stress oder eine ausgewogene Lebensweise. Diese molekularen Erinnerungen bleiben teilweise über Jahre bestehen.
Forschungen zeigen, dass sogar Kinder epigenetisch geprägt werden können, noch bevor sie geboren sind: Eine schlechte Ernährung der Mutter verändert die Genaktivität des Fötus und erhöht später das Risiko für Stoffwechselerkrankungen. Umgekehrt können positive Umwelteinflüsse die Schutzmechanismen der Zellen stärken.
Reversible Prozesse – Hoffnung durch Veränderung
Das Faszinierende an der Epigenetik: Viele ihrer Prozesse sind umkehrbar. Wer sich über Jahre ungesund ernährt und zu wenig bewegt, kann die epigenetische Fehlprogrammierung seiner Stoffwechselorgane durch bewusste Veränderungen rückgängig machen – solange keine bleibenden Schäden entstanden sind.
Schon sechs Monate regelmäßiger Bewegung können messbare Veränderungen im gesamten Epigenom auslösen und die Regulation tausender Gene beeinflussen. Damit liefert die Epigenetik eine wissenschaftliche Erklärung für das alte Prinzip: „Du bist, was du isst – und wie du lebst.“
Verhalten, das Generationen prägt
Epigenetische Veränderungen betreffen nicht nur uns selbst. Manche von ihnen können an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Das bedeutet: Der Lebensstil von Eltern kann die Gesundheit ihrer Kinder und Enkel beeinflussen.
Bevölkerungsstudien zeigen, dass Hungersnöte, Überernährung oder Bewegungsmangel in einer Generation epigenetische Spuren hinterlassen, die sich später in erhöhtem Risiko für Übergewicht, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen äußern können.
Eigenverantwortung im Molekülformat
Epigenetik macht deutlich, dass unsere Gesundheit kein Zufall ist. Gene geben den Rahmen vor – aber wie dieser genutzt wird, entscheiden wir jeden Tag aufs Neue. Wer sich regelmäßig bewegt, ausreichend schläft, sich ausgewogen ernährt und Stress reduziert, aktiviert Schutzprogramme in den Zellen. Damit übernehmen wir Verantwortung bis in die molekulare Ebene hinein.
Die Forschung zeigt also: Verhalten und Umwelt sind keine Randfaktoren, sondern die eigentlichen Regisseure unserer Gene. Und das Beste daran – wir können das Drehbuch selbst mitgestalten.
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Bildquelle: Klaus Günther
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