"Uns sieht keiner": In der Kanzler-U-Bahn entlädt sich Frust wegen Rentenstreit

Im U-Bahn-Tunnel tief unter dem Berliner Regierungsviertel verkehrt die berühmte "Kanzlerlinie“ U 5. Während oben die Bundesregierung ums Überleben kämpft, steigt bei den Menschen hier unten der Frust. 

Von ausländischen Touristen abgesehen, betrifft das Rentenpaket wohl jeden, der hier am späten Nachmittag unterwegs ist. Viele sind auf dem Weg nach Hause: Handwerker, Studenten, Lobbyisten und – na klar – Rentner. FOCUS online hat sich bei ihnen umgehört. 

Maurer: "Ich kann jetzt schon kaum kriechen und dann bald bis 70 arbeiten?“  

Ein Mann mit blauer Arbeitshose lehnt erschöpft mit dem Kopf an der U-Bahn-Scheibe: "Ich bin Maurer und man kann jetzt schon kaum noch kriechen“, sagt er. "Und dann muss ich wohl bald bis 70 arbeiten“, befürchtet er. Bei den Pausengesprächen auf der Baustelle sei die Rente ein Dauerthema. 

Er ist jetzt 57, weiß aber, dass er noch mindestens zehn Jahre ranklotzen muss. Was aber weiß er über die Rentenpläne der Regierung? "Ich weiß nichts dazu, aber sicher werden wir alle noch länger arbeiten müssen. Aber bei der körperlich harten Arbeit ist das wirklich nicht drin.“ 

"Die Leute verdienen zu wenig, um privat vorzusorgen“ 

Eine ältere Dame im hellblauen Mantel lässt sich etwas unwillig auf das Thema ein. "Dieses ständige Hickhack kann man doch nicht mehr hören. Man hat doch auf Besserung gehofft und nix passiert”, sagt sie, offenbar mit dem Blick auf die Merz-Regierung nach der zerstrittenen Ampel-Regierung.  

Mit ihren fast 80 Jahren wird sie die geplante Reform nicht berühren. Umso mehr sorgt sie sich um die jungen Leute. "Die Jungen verdienen zu wenig, so dass sie nicht nebenbei noch privat vorsorgen können, zumindest die, die nicht mit ‘nem goldenen Löffel geboren sind.“ 

Wer aber profitiert von dem Polit-Theater? Die Dame grinst und sagt: "Wer profitiert? Das ist doch klar. Aber das lasse ich mal lieber so im Raum stehen.“ Sie mag das Kürzel AfD offenbar nicht in den Mund nehmen. 

Wie denken junge Leute über die Rentenrevolte der "Jungen Gruppe“ oben im Bundestag? Der Kameramann Nicholas Wymer und seine Kollegin Julia Pollich arbeiten in der Medienbranche. Beide sind noch sehr jung. "Ich habe das natürlich gehört, aber  zu wenig Ahnung, um das einzuschätzen“, sagt Wymer. 

Kameramann Nicholas Wymer und Redakteurin Julia Pollich
Nicholas Wymer und Julia Pollich wissen, wie schwierig private Vorsorge ist. Sascha Adamek

"Irgendwann wird das Thema für alle wichtig, man macht sich schon Gedanken.“ Er zahle als Angestellter in die Rentenkasse. Aber private Vorsorge? "Für viele wird es schwer. Vor allem für junge Leute, deren Eltern kein Eigentum haben, bei denen die Eltern nix angespart haben.” 

Merz sitzt lässig im Sessel und gibt Rententipps 

Julia Pollich berichtet, dass es ihr Vater war, der ihr einen Spar-Tipp gab und nicht etwa Bundeskanzler Merz. Denn der hatte vor einigen Monaten auf seinem Instagram-Kanal eine Kurz-Ansage zur Frage der sicheren Rente gepostet. Eine in Stil und Inhalt durchaus innovative Form der Regierungskommunikation. 

"Sollte ich mir jetzt schon Sorgen um die Rente machen?“, fragte  ein User im Instagram-Chat den Bundeskanzler.  

Der Kanzler präsentiert sich in dem Video lässig sitzend mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem weißen Sessel im Kanzleramt, während er ein Tablet in Händen hält. Seine Antwort gefiel immerhin 18.505 Menschen – also für ein 80-Millionen-Volk ein eher mittelmäßig erfolgreiches Projekt der Regierungskommunikation.  

 "Meine Antwort ist ‚Nein‘, vorausgesetzt, - ich darf ‚Du‘ sagen -, wenn es ein Jüngerer ist – du tust in jungen Jahren genug für deine Altersversorgung und verlass dich nicht nur auf die gesetzliche Rentenversicherung.“ Wollte der Kanzler uns Bürger damit mental auf die anstehende große Rentenreform vorbereiten? 

Friedrich Merz‘ praktischer Ratschlag: "Ein ganz klein bisschen zu sparen im Monat. 10 Euro, 20 Euro, 50 Euro und das über eine lange Zeit, einfach festlegen, sichert ein sicheres Alterseinkommen und damit kann man gar nicht früh genug anfangen.“ 

"Letztlich leidet die junge Generation“, sagt der Rentner 

Ein paar Meter tiefer in der "Kanzler-U-Bahn“ können Marion und Peter Müller nur den Kopf über die Ansage des Kanzlers schütteln. Die beiden sind längst in Rente, sorgen sich aber um die Enkel: "Letztlich leidet die junge Generation unter dem Rentenpakt.“ 

 Peter Müller war Jahrzehnte als Außendienstler unterwegs und hat einen Vorschlag: "Zuerst mal müssten die Abgeordneten im Bundestag auch in die Rentenkasse einzahlen“, sagt Müller. "Man spricht immer nur von Büro-Jobs“, klagt seine Frau, die in einer Küche gearbeitet hat. "Unsere Jobs sieht kaum einer – und da bleibt wenig übrig für private Vorsorge.“ 

Marion und Peter Müller
Die Rentner Marion und Peter Müller machen sich Sorgen um die Rente ihrer Enkel Sascha Adamek

Über die Schule ihrer Enkel haben die beiden Erstaunliches zu erzählen: Die seien 13 und 14: "Im Gymnasium unterhalten die sich mit dem Lehrer über das Rentenvorhaben.“ Verstanden, worum es bei dem Rentenkrach oben im Bundestag geht, hat das Rentnerpärchen Müller allerdings nicht und so geht es offenbar einigen Menschen in Deutschland. 

Unter den Menschen, die FOCUS online in der "Kanzler-U-Bahn“ befragte, waren überhaupt nur zwei, die den Knackpunkt in der Debatte benennen konnten: Ein Bundesbeamter sagt, dass es um das "demografische Problem bei der umlagefinanzierten Rente“ gehe und ob nach 2031 noch ein Rentenniveau von 48 Prozent gelte. 

"Es wird eine Quadratur des Kreises, eine Reform zu machen, ohne große Wählergruppen wie die Älteren zu verprellen und gleichzeitig was für die Jüngeren zu machen“, sagt der Mann. 

Lobbyist: "Nicht so eskalieren, dass es zum Showdown kommt!“ 

Voll im Thema ist auch ein sportlicher Mann mit modischer Brille, der sich als "Lobbyist“ vorstellt: „Das wird der nächste politische Unfall, den wir von dieser Regierung erleben. Dass die Regierung mehrfach solche politischen Unfälle hinlegt, macht es nicht einfacher.“ 

Er versteht nicht, dass man nicht bei wichtigen Themen mit den Bundestagsfraktionen spricht, bevor man etwas in der Regierung beschließt.  

Auf die Frage, ob die politische Kommunikation der Merz-Regierung in seinen Augen gut laufe, sagt er: "Offensichtlich nicht. Das haben wir bei der Richterwahl gesehen, immer wieder diese Unfälle, das darf nicht so eskalieren. Es darf nicht zu solchen Showdowns kommen.” 

Und weiter merkt der Mann an: "Dieser Streit trägt auch dazu bei, dass das bisschen Aufbruchstimmung, das am Anfang da war, verflogen ist.“ Dabei sei ihm bewusst: "Klar ist, dass wir eine große Rentenreform brauchen.“  

Zwei Damen mittleren Alters unterhalten sich angeregt in der U-Bahn. Offenbar Kolleginnen auf dem Heimweg. Auf das Rententhema angesprochen, winkt die eine ab: "Gar nix denke ich. Ich schalte da ab. Ich höre generell nicht mehr so gern Nachrichten, weil sie so schlecht sind, und das ist zu belastend.“ 

Aber haben die beiden verstanden, worüber gestritten wird? "Nicht wirklich. Es gibt ja ein Anrecht auf die Rente. Ich habe nur gehört, dass es um die Deckelung der Rente geht.“ Am Ende verraten die Frauen ein Geheimnis: "Sie werden lachen, wenn wir sagen, wo wir arbeiten: bei der Deutschen Rentenversicherung.“ 

Eine Rentnerin sagt düster, wer von dem "Hickhack“ profitiert 

Auch andere Kanzler sind schon durch schwere Wasser gefahren – Gerhard Schröder mit der Hartz-Agenda und Helmut Schmidt mit dem Nato-Raketenbeschluss. Sie haben dem Volk dabei stets ins Gesicht gesagt, was sie beabsichtigen. 

Von Kanzler Gerhard Schröder ist der Spruch überliefert, zum erfolgreichen Regieren brauche es "Bild, Bams und Glotze“. Helmut Schmidt hat mal gesagt: "Wer nicht redet, wird nicht gehört.“ Will heißen: Bei tiefgreifenden Reformen empfiehlt es sich, das zugewandte Gespräch mit den Bürgern zu suchen. 

Die Themen in der “Kanzler-U-Bahn" sind die der künftigen Rentenkommission 

Fazit: Merz‘ Auftritte bei Instagram sind da ein Ansatz zugewandter Regierungskommunikation, aber dringend ausbaufähig. Die Menschen interessiert, ob das Renteneintrittsalter nach oben gesetzt wird – auch für körperlich schwer arbeitende Maurer.  

Und sie interessiert, was es mit der privaten Vorsorge auf sich hat. Denn bei vielen Menschen ist das Geld knapp. Es sind die Themen, die in den kommenden Monaten die Rentenkommission behandeln wird.  

Klar ist auch: Kommunikation ist für erfolgreiches Regieren in der Demokratie alles. Bei der Rentenreform bleibt vor allem der Krach darum im Kopf der Wähler hängen. Wie die Rentnerin in der "Kanzler-U-Bahn“ treffend und düster sagt: Alle wissen, wer davon profitiert.