"Frieden spielt keine Rolle": Politik-Experte über die brisanten Ukraine-Telefonate

FOCUS online: Herr Umbach, der Mitschnitt eines Telefonats zwischen dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und mehreren europäischen Regierungschefs sorgt für Wirbel. Bundeskanzler Merz sagte demnach, Selenskyj müsse "in den nächsten Tagen extrem vorsichtig" sein. "Sie spielen Spielchen, sowohl mit euch als auch mit uns". Gemeint sind die US-Unterhändler, denen Merz bei ihren Friedensbemühungen offenbar misstraut. "Wir dürfen die Ukraine und Wolodymyr nicht mit diesen Jungs alleinlassen", wird Finnlands Präsident zitiert. Ist dieses Misstrauen berechtigt?

Umbach: Ja, ich denke, dass das Misstrauen berechtigt ist. Steve Witkoff hat keine diplomatische Expertise oder diplomatische Erfahrung. Das sagt er sogar selbst. Witkoff kommt aus der Immobilienbranche, er verfolgt auch persönliche Geschäftsinteressen in Russland. Bei den ersten Treffen in Russland hatte er weder einen Übersetzer dabei, noch einen Stenografen. Er hat sich auf die russischen Übersetzer verlassen. Das ist sehr unüblich. Witkoff war zu den Friedensverhandlungen noch nie in der Ukraine. In Brüssel und Dubai war er dabei, aber nie in Kiew. Und auch Jared Kushner würde ich geschäftliche Verquickungen unterstellen. Der 28-Punkte-Plan ist eher eine Kapitulationsurkunde für die Akzeptanz eines russischen Diktatfriedens, US-Medien bezeichnen ihn auch als eher ein Art Businessplan.

Das ist ein hartes Urteil und klingt nach wenig Hoffnung für die Ukraine, die sich von den Verhandlungen ja auch viel verspricht.

Umbach: Der besagte 28-Punkte-Plan ist auf Witkoff zurückzuführen. Beim Durchlesen wundert es sehr, dass typische diplomatische Formulierungen fehlen. Der Plan beruht, wie wir inzwischen wissen, nämlich auf einem oder mehreren russischen Staatspapieren. Formulierungen in dem Plan sind einfach vom Russischen ins Englische übersetzt worden, ohne eine diplomatische Umformulierung. Witkoff hat es sich einfach gemacht. Der Friedensplan ist aus meiner Sicht weitgehend in Moskau entstanden und auch in Moskau geschrieben worden.

Geschäftsmänner mit russischen Beziehungen hin oder her. Witkoff und Kushner könnten sich ja trotzdem ernsthaft um Frieden bemühen. Warum misstrauen auch Sie den beiden?

Umbach: Weil es den beiden in erster Linie nur um geschäftliche, kommerzielle und persönliche Interessen in Russland geht. Eine gerechte Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa spielt für sie keine Rolle. Sie kommen nicht aus dem Regierungsbereich, haben keinen akademischen Hintergrund. Selbst einige republikanische Abgeordnete sind von dem 28-Punkte-Plan entsetzt. Es gibt Senatoren unter den Republikanern (zusammen mit demokratischen Senatoren), die ohnehin seit langem härtere Sanktionen gegen Russland einfordert haben als bisher geschehen.

Öffentlich haben die Europäer Trumps Friedensbemühungen immer gelobt. Intern hegen sie tiefes Misstrauen. Dass der Telefonmitschnitt jetzt öffentlich wird, dürfte auch Donald Trump mitbekommen haben. Wie wird der US-Präsident reagieren?

Umbach: Das ist unklar. Die Attacken richteten sich ja nicht so sehr gegen Trump selbst, sondern gegen die Unterhändler. Die Europäer setzen ja sowieso mehr auf Außenminister und den nationalen Sicherheitsberater Marco Rubio, der ihre Sorgen am besten versteht. Aber: Witkoff und Trump sind enge Freunde. Kushner ist Trumps Schwiegersohn. Es kann sein, dass Trump die Situation eskalieren lässt.

Wie könnte diese Eskalation eines Donald Trump aussehen?

Umbach: Er könnte aus den Friedensverhandlungen mit der Ukraine aussteigen und das Interesse verlieren. Er könnte nur noch mit Wladimir Putin alleine verhandeln, um die bilateralen Beziehungen mit Russland zu normalisieren, um Wirtschafts- sowie Geschäftskooperationen zu forcieren. Eine andere Möglichkeit der Eskalation wäre der faktische Ausstieg (nicht notwendigerweise auch der formelle) aus der Nato. Damit wären die Europäer alleine und hätten gegen Russland keine glaubwürdige atomare Abschreckung mehr. Frankreich und Großbritannien haben zwar auch Atomwaffen, doch Putin hat zehn Mal so viele. Putin hat bereits ein Ziel erreicht, welches auch die Sowjetunion stets hatte, aber nie erreicht hat: die transatlantischen und Nato-Beziehungen zu beschädigen. Die militärstrategische Rolle der USA in Europa ist heute mehr denn je von Trump in Frage gestellt. Das aber nützt nur Russland und vor allem China als den eigentlichen geopolitischen Gewinner.