Millionen-Drohnen-Coup: Ukraine lässt in Deutschland bauen – Expertin warnt

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Millionen-Drohnen-Coup: Ukraine lässt in Deutschland bauen – Expertin warnt

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Während die Bundeswehr noch testet, baut Deutschland für die Ukraine Drohnen, die sich an der Front bewährt haben. Ein großer Fehler?

Kiew – „Die Ukrainer haben den Drohnenkrieg revolutioniert, nun werden wir gemeinsam den industriellen Krieg revolutionieren“, sagt. Sven Kruck. Den Geschäftsführer von Quantum Systems zitiert aktuell die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform. Und schickt gestelzt hinterher: „Ukrainische und deutsche Drohnenhersteller gründen im Rahmen der neuen Initiative ,Build with Ukraine‘ ein gemeinsames Verteidigungsunternehmen namens Quantum Frontline Industries und ebnen damit den Weg für die erste industrielle Produktion ukrainischer Drohnen in Europa“. Heißt im Klartext: Ukraine lässt Zehntausende Drohnen für den Ukraine-Krieg in Deutschland bauen. Wladimir Putin kriegt also mächtig Zunder.

Niederländische Soldaten werden am Milrem  Robotics  THeMIs  UGV ausgebildet.
Ausgereift? Der wohl am weitesten entwickelte „Terminator“, der in für die Ukraine kämpft, scheint das Milrem Robotics THeMIs UGV zu sein; auch wenn verschiedene Quellen immer wieder von neuen Entwicklungsschritten sprechen. Am THeMIs UGV werden auch andere Nato-Soldaten ausgebildet, beispielsweise die Niederländer (Archivfoto). © IMAGO / Pond5 Images

„Produziert werden sollen die auf dem Schlachtfeld erprobte Logistikdrohne Linsa, die Aufklärungsdrohne Zoom und der ferngesteuerte Maschinengewehr- und Granatwerferturm Buria“, so das Nachrichtenportal t-online. Dieser ferngesteuerte Geschützturm für bodengestützte autonome Systeme wird von der Ukraine beispielsweise in die THeMIS-Drohne integriert. Offenbar ist das Teil einer Drohnen-Offensive zwischen Berlin und Kiew. Der Sender ntv berichtet beispielsweise von einem Zehn-Punkte-Plan. Die Financial Times anerkennt „die erste derartige Kooperation“ im Rahmen eines deutsch-ukrainischen Joint Ventures, um die ukrainische Drohnen-Schlagkraft zu erhöhen. Verwunderlich ist, dass die Ukraine Expertise aus Deutschland einkauft; aber möglicherweise holt sie sich auch lediglich Produktionskapazitäten.

Ukraine als Ideen-Geber: „Die gesamte Entwicklung in der Drohnenindustrie kommt direkt aus dem Donbass“

Dass die deutschen Start-ups auch Dependancen in der Ukraine ihrerseits Expertise suchen und um Marktanteile buhlen, ist indes bekannt „Die gesamte Entwicklung in der Drohnenindustrie kommt direkt aus dem Donbass, nicht aus dem Silicon Valley“, zitiert das Magazin Politico Matthias Lehna, den Direktor für Geschäftsentwicklung und Regierungsbeziehungen bei Quantum. Für Quantum, für das Münchner Start-up Helsing und Unternehmen ähnlichen Zuschnitts wäre das der Einstieg in das große Rüstungsgeschäft, in dem sie dann den big playern wie Rheinmetall ebenbürtig werden könnten – weil sich die Anforderungen an Rüstungsgüter gewandelt haben. Praktiker sprechen von den Drohnen mittlerweile als Ersatz für Artillerie.

„Die Annahme, der Krieg in der Ukraine habe die Überlegenheit kleiner und billiger Drohnen gegenüber größeren, komplexeren und teureren Systemen gezeigt, könnte eine gefährliche Fehleinschätzung sein.“

Wenn sich das verfestigt, würden Firmen wie Rheinmetall weniger Rohre produzieren müssen und weniger beziehungsweise andere Arten von Munition. Für diese riesigen Unternehmen wäre aber vielleicht die Umstellung schwieriger als für flexible Kleinunternehmen, die ihre eigentliche Wertschöpfung eher in der Software verorten. „Viele Start-ups im Verteidigungstechnologiebereich profitierten in den letzten Jahren von Verträgen mit der Ukraine und konnten ihre Geschäftstätigkeiten erfolgreich starten. Die Herausforderung werde jedoch darin bestehen, längere und größere Verträge abzuschließen“, schreibt Anne Sraders. Die Autorin des Start-up-Magazins Sifted sieht in den Einsätzen in der Ukraine das Bemühen, sich langfristig zu etablieren. Was Quantum jetzt offenbar gelungen zu sein scheint.

Wie die Kyiv Post berichtet, würden Konstruktionen der Ukraine mit der Erfahrung von Fronteinsätzen aufgrund deutscher Fertigungseffizienz in Massen produziert – „ein Modell, das die Partner als eine neue Form der grenzüberschreitenden Verteidigungskoproduktion bezeichneten“, so Post-Autorin Olena Hrazhdan. Das ist im Prinzip der umgekehrte Weg, den deutsche Unternehmen bisher beschritten haben – beispielsweise das Münchner Unternehmen Alpine Eagle. Die haben deutsches Know-how aus einem im Frieden befindlichen Land in den Krieg exportiert – den „Wächter“: Wie das Magazin Defense Express berichtet, sei das „Sentinel Airborne Counter-UAS System“, eine in Deutschland entwickelte Drohnenplattform zum Schutz von Konvois vor Unmanned Aerial Systems, also Angriffs- und FPV-Drohnen (First Person View).

Laut Kanzler Merz will Deutschland seine Rüstungskooperation mit der Ukraine noch umfassender ausbauen

Laut dem Magazin sei das System bereits in der Ukraine getestet worden. Getestet, aber eben nicht erprobt. Offenbar will sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) stärker in der Ukraine engagieren und sucht seine Nische, wie ntv ausführt: „Neben der Drohnenproduktion will Deutschland seine Rüstungskooperation mit der Ukraine noch umfassender ausbauen“, zitiert der Sender aus der Zehn-Punkte-Offensive. Allerdings fehlt in der Auflistung die „Rückwirkung“ beispielsweise auf die Bundeswehr. Kamikazedrohnen der deutschen Start-ups Stark und Helsing hatten in Tests der Bundeswehr und der britischen Armee Fahrkarten geschossen. Diese beiden Unternehmen hatten sich in Ausschreibungen für die Beschaffung der Bundeswehr empfohlen.

Jetzt wäre interessant zu wissen: Warum fördert die Bundesregierung politisch ein Joint Venture zwischen einem deutschen Produzenten und einem in der Ukraine als kriegstüchtig eingestuften Rüstungsgut, und testet parallel das Rüstungsgut von alternativen Anbietern, die letztlich selbst noch in der Erprobungsphase stecken? Ist die durch Deutschland produzierte Ukraine-Ware zwar gut genug für den dortigen Krieg gegen die russischen Invasionstruppen, aber eben doch nicht gut genug für einen künftigen Krieg der NATO oder der Bundeswehr gegen die vermutlich gleichen Aggressoren? Die Art der Zusammenarbeit zwischen Quantum und der Ukraine sei das, „was andere Drohnenunternehmen zu kopieren hoffen“, schreibt Politico.

Produktion außerhalb der Ukraine notwendig: „Für die russischen Raketen ist sie leider ein kleines Land“

Jeannette zu Fürstenberg erklärt, laut Sifted, den Erfolg von Helsing damit, dass das Münchner Unternehmen auf ein Marktsegment abziele, für das es für die Kunden noch keine praktikablen Lösungen gebe. Die Geschäftsführerin der globalen Venture-Capital-Gesellschaft General Catalyst zeigte sich gegenüber dem Magazin sicher ob des Erfolgs ähnlicher Geschäftsideen: „Man sieht, dass einige Unternehmen derzeit richtig durchstarten, was Umsatz und Dynamik angeht, weil sie ein System entwickelt haben, das von Nutzern in der Ukraine und der NATO sehr geschätzt wird“. Der Erfolg der deutschen und mancher anderen europäischen Software-Schmieden liegt darin, dass sie das Wissen zwischen ihren Heimatländern und der Ukraine hin- und herwandern lassen.

Anhand der Gefechtsbedingungen in der Ukraine wird getestet, was in europäischen Ländern ausgetüftelt worden ist. Beides lässt sich offenbar kaum anders miteinander vereinbaren. Der Leopard-Panzer hatte vor dem Ukraine-Krieg noch nie ein Gefecht außerhalb von Simulationen bestehen müssen; anders als beispielsweise der israelische Merkava-Panzer, der quasi im Krieg geboren und im Krieg erwachsen geworden ist. „Die Ukraine ist flächenmäßig das größte europäische Land, aber für die russischen Raketen ist sie leider ein kleines Land“, sagt Oleksandr Berezhny, wie Politico den Geschäftsführer von Quantum Systems Ukraine zitiert. Tatsächlich sind Drohnen jetzt der absolute Hype, und Unternehmen wie Quantum wittern das Geschäft ihres Lebens.

Die über die Jahre auf Pazifismus gestutzten europäischen Armeen versuchen in diesem Rennen Anschluss zu halten – und sind möglicherweise von vornherein chancenlos, wie Ulrike Franke prognostiziert: „Die Ukraine könnte jedoch auch nur ein Höhepunkt der Drohnenkriegsführung gewesen sein“, schreibt die Analystin des Thinktanks „European Council von Foreign Relations“ (ECFR). Franke reagiert verhalten auf die Projektion des Ukraine-Krieges auf einen künftigen Konflikt zwischen Russland und der NATO beziehungsweise zwischen den USA und China. Ihr ist die Gleichung zu einfach, die nächsten Kriege würden wieder von Drohnen bestimmt. Die Entwicklung der Raketentechnologie spricht dagegen, die Renaissance des Panzers ebenso.

Gerade im Vergleich mit der Panzerwaffe sei die Gefahr an den Drohnen die rasante technische Entwicklung, wie sie anmerkt. Ihr zufolge könnte die Konzentration auf Drohnen von heute den Blick auf die Waffen von morgen versperren, wie sie für das ECFR schreibt: „Das bedeutet, dass man bei der Übertragung von Szenarien aus der Ukraine vorsichtig sein muss. Die Annahme, der Krieg in der Ukraine habe die Überlegenheit kleiner und billiger Drohnen gegenüber größeren, komplexeren und teureren Systemen gezeigt, könnte eine gefährliche Fehleinschätzung sein.“ (Quellen: European Council von Foreign Relations, Ukrinform, Financial Times, t-online, ntv, Politico, Sifted, Kiyv Post, Defense Express) (hz)