Deutschland steht klimapolitisch an einem Scheideweg. Während weltweit die Folgen der Erderhitzung immer deutlicher zutage treten, schwächt die Bundesregierung zu Hause ihre eigenen Klimaziele ab.
Entscheidungen wie die Aufweichung des Verbrenner-Ausstiegs, Kürzungen bei der Solarförderung oder verwässerte Klimavorgaben wie zuletzt in Bayern senden das falsche Signal – nach innen wie nach außen. Statt den Wandel zu beschleunigen, wird er ausgebremst. Und das in einer Zeit, in der eigentlich Tempo, Verlässlichkeit und Klarheit gefragt wären.
Deutschland am klimapolitischen Scheideweg
Der Kanzler betont zwar in seinen Reden die Bedeutung von Innovation und Technologie, doch die politische Realität bleibt widersprüchlich. Klimaschutz wird oft nachrangig behandelt, während kurzfristige industriepolitische oder parteitaktische Erwägungen dominieren. Dabei zeigen gerade viele Unternehmen, dass sie längst weiter sind als die Politik.
Die deutsche Industrie hat erkannt, dass nachhaltige Produktion, Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Energie nicht Risiko, sondern Zukunftschance bedeuten. Doch statt sie zu unterstützen, geraten diese Vorreiter zunehmend unter Druck – durch regulatorische Unsicherheit, gekürzte Förderprogramme und ein politisches Klima, das zukunftsorientiertes Handeln erschwert.
Zum 30. Mal findet die UN-Klimakonferenz statt. In diesem Jahr kommen die Staaten in Belém, Brasilien, direkt am Amazonas zusammen, um über den weltweiten Kampf gegen die Klimakrise zu diskutieren.
FOCUS online Earth berichtet für Sie über die COP30: Alle wichtigen Entwicklungen, Hintergründe und aktuellen Updates können Sie hier im Ticker nachverfolgen.
Abschwächung der Klimaziele: Wenn Politik auf der Bremse steht
Auf europäischer Ebene das gleiche Bild: Das neue Ziel, die Emissionen bis 2040 um 90 Prozent zu senken, ist ein Fortschritt – aber kein Durchbruch. Zu viele Schlupflöcher, zu wenig Verbindlichkeit. Europa beweist Kompromissfähigkeit, aber nicht die Entschlossenheit, die notwendig wäre, um glaubhaft Führungsverantwortung zu übernehmen.
Dabei wäre das Potenzial enorm: Deutschland könnte mit seiner technologischen Stärke und industriellen Basis zum Motor einer nachhaltigen Transformation werden – wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Stattdessen wird wertvolle Zeit verspielt. Der Ausbau der Erneuerbaren stockt, der Wärmesektor bleibt reformbedürftig, und die fossile Infrastruktur wird weiter gestützt. Wer Klimaschutz verschiebt, verschärft nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Risiken.
Verpasste Chancen bei der Energiewende
Die Welt erwartet von Deutschland mehr als diplomatische Bekenntnisse. Sie erwartet Handlungsfähigkeit und Verlässlichkeit. Klimaschutz ist kein Randthema, sondern die Grundlage künftiger Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Stabilität und internationaler Glaubwürdigkeit. Halbherzige Kompromisse und nationale Rückschritte gefährden genau das.
Es ist höchste Zeit, dass Deutschland seinen Führungsanspruch im Klimaschutz wieder ernst nimmt. Das bedeutet, klare Prioritäten zu setzen, mutige Entscheidungen zu treffen und jene Industrien zu stärken, die vorangehen wollen. Nur wer jetzt konsequent handelt, kann Wohlstand, Klimaschutz und Gerechtigkeit vereinen – und zeigen, dass Zukunftsfähigkeit kein Zufall, sondern Ergebnis entschlossener Politik ist.
Claudia Kemfert ist Professorin für Energieökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und der Leuphana-Universität in Lüneburg. Zudem ist sie Co-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen. Sie ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.