Früher war gewiss nicht alles besser, aber einiges entschleunigter. Zum Beispiel, wenn es darum ging, erstmals in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft berufen zu werden. Wobei wir beim "Früher" gar nicht von den 70er oder 80er Jahren anfangen müssen – es reicht, Joshua Kimmich (Baujahr 1995) zu lauschen.
"Vor so zehn Jahren, als ich dazugekommen bin, war es sehr, sehr untypisch, dass jemand mit vier oder fünf Bundesligaspielen sein Länderspieldebüt gibt", sagte der Bayern-Star, als er neulich gefragt wurde, ob sein 17-jähriger Kollege Lennart Karl nicht zum DFB-Team stoßen solle. Kimmich: "Heutzutage hat man das Gefühl, dass das ein bisschen schneller möglich ist."
El Malas Nominierung kommt zu früh, entspringt aber einer Sehnsucht
Karls Name stand nicht auf der Liste, die Bundestrainer Julian Nagelsmann am Donnerstag für die beiden letzten WM-Qualifikationsspiele gegen Luxemburg (14. November) und die Slowakei (17. November) präsentierte. Dafür jener von Rückkehrer Leroy Sané. Und jener des Kölners Said El Mala, 19 Jahre jung, neun Bundesligaspiele alt. Neun!
Nagelsmann begründete seine Nominierung damit, "unseren U21-Talenten immer mal wieder die Chance" einräumen zu wollen, ins A-Team hineinzuschnuppern. El Mala solle sich "mit all seiner Unbekümmertheit und Unbeschwertheit bei uns zeigen".
Für den Offensiv-Wirbler ist das Ganze ein Fußballtraum, der ihm natürlich zu gönnen ist. Zugleich darf bezweifelt werden, ob sagenhafte neun Bundesligaeinsätze (vier Tore, zwei Assists) bereits als Qualitätssiegel für die Nationalauswahl berechtigen sollten. Oder ob es nicht sinniger wäre, zunächst ein paar Monate in der Liga zu bestehen, sich an die Wettkampfhärte, die Abnutzungen und auch Rückschläge zu gewöhnen – und ihnen zu trotzen.
Im Frühjahr, spätestens mit Blick auf die WM, hätte El Mala noch immer zum Kader stoßen können, um sich dann, in Nagelsmanns Worten, "mit all seiner Unbekümmertheit und Unbeschwertheit" zu zeigen. Insofern ist diese Nominierung verfrüht, ohne Not – aber schlicht die Folge einer deutschen Sehnsucht.
Wir Deutschen wünschen uns, auch so viele tolle (Jugend-)Spieler wie die Spanier zu haben
Seit Jahren schauen wir ja ein bisschen neidisch auf die Spanier und deren scheinbar nie endendes Füllhorn an Wahnsinnsspielern, die gerade mal volljährig sind. Wenn überhaupt.
Lamine Yamal wurde schon mit 16 zum EM-Star, als 18-Jähriger hat er 116 Pflichtspiele für den FC Barcelona bestritten. Oberstes Niveau, logo. Spanien-Legende Xavi, selbst ein Genie am Ball, titulierte ihn als "Auserwählten".
Oder nehmen wir Gavi, der kurz nach seinem 17. Geburtstag in der Nationalelf debütierte und mittlerweile, mit 21, stolze 155 Mal das Barca-Trikot trug. Oder Pedri, der mit 18 erstmals für Spanien auflief; beim heute 22-Jährigen sind es inzwischen 38 Länderspiele. Vereinskamerad Pau Cubarsi ist mit 18 ebenfalls Nationalspieler, genau wie der 20-jährige Dean Huijsen, Stammkraft bei Real Madrid. Und so weiter.
Deutschland hat Figuren wie Jamal Musiala und Florian Wirtz, beide 22, beides große Namen. Die Koketterie dahinter: Diese Namen werden nur groß, wenn man früh anfängt, sie groß zu machen. Wie in Spanien.
DFB-Team scheiterte zuletzt regelmäßig an Spanien
Apropos groß: Wir Deutschen haben die unverschämt erfolgreichen Iberer zuletzt als eine Art großen Fußballbruder gesehen. Dummerweise war dieser Bruder recht egoistisch, er schnappte sich die EM-Titel 2008, 2012 und 2024 und wurde Weltmeister 2010. Bei den Turnieren 2008, 2010 und 2024 scheiterte Deutschland stets an Spanien, im Vorjahr übrigens nicht nur an der Hand von Marc Cucurella. Es gab strukturellere, übergreifendere Gründe.
Jedenfalls hatten die Spanier zumeist etwas, was wir Deutschen auch gerne hätten: Finesse, Eleganz, aufregende Jugendspieler. Und kaum läuft ein talentierter Knabe wie Said El Mala mal neun Bundesligaspiele unfallfrei geradeaus, ist er Nationalspieler.
Arg überspitzt formuliert, klar. Aber im Kern wahr.