So entsteht eine neue Kultur des Alterns

Langlebigkeit ist längst kein Randthema der Forschung mehr. Doch während Labore weltweit an Molekülen, Genen und Stoffwechselwegen arbeiten, bleibt die gesellschaftliche Wahrnehmung oft stehen: zwischen Dorian Gray, ewiger Jugend und Größenwahn. Genau hier setzt eine neue Initiative an – ALSAE, die Alliance for Longevity Science, Arts & Entertainment. Ihr Ziel: das Thema gesunde Langlebigkeit aus der Nische der Wissenschaft in die Mitte der Kultur zu holen.

Gegründet wurde ALSAE von der Künstlerin und langjährigen Longevity-Fürsprecherin Maria Entraigues Alan und ihrem Mann, dem Produzenten Gary J. Alan. Beide eint die Überzeugung, dass Wissenschaft allein nicht ausreicht, um den Wandel herbeizuführen, den Langlebigkeitsforschung braucht. „Die Wissenschaft bewegt sich“, sagt Maria, „aber das Problem ist die Wahrnehmung. Menschen wissen zu wenig – oder sie wissen das Falsche.“

Nils Behrens ist Chief Brand Officer bei Sunday Natural, Host des Podcasts "Healthwise" und Dozent an der Hochschule Fresenius. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Warum das Image der Langlebigkeit problematisch ist

Seit Jahrzehnten werden Forscherinnen und Forscher, die sich mit Lebensverlängerung beschäftigen, in Filmen und Romanen als moralisch fragwürdige Figuren inszeniert. Eine Analyse von 19 Filmen zwischen 1973 und 2011 zeigt: Die Suche nach einem längeren Leben wird dort fast immer als unnatürlich, egoistisch oder gar gottlos dargestellt. Wer länger leben will, gilt als jemand, der das Schicksal herausfordert – oder die Natur betrügt.

Diese kulturelle Verzerrung hat Folgen. Sie erschwert die öffentliche Akzeptanz und damit auch die Finanzierung von Forschung, die Millionen Menschen helfen könnte, gesünder alt zu werden. Das Ziel der Longevity-Wissenschaft ist schließlich nicht Unsterblichkeit, sondern mehr gesunde Lebensjahre – also Healthspan statt nur Lifespan.

Kunst als Katalysator für gesunde Langlebigkeit

Maria Entraigues Alan weiß aus eigener Erfahrung, wie stark Geschichten wirken können. „Kunst und Unterhaltung sind der direkteste Weg, Menschen emotional zu erreichen“, sagt sie. Darum setzt ALSAE dort an, wo kulturelle Narrative entstehen – bei Kreativen, Künstlern und Storytellern. Statt Kampagnen für das breite Publikum zu planen, will die Organisation hinter den Kulissen arbeiten: mit Filmschaffenden, Musikerinnen und Produzenten, die Millionen erreichen.

Das Netzwerk liest sich beeindruckend: Unter den ersten sogenannten Cultural Ambassadors finden sich Herbie Hancock, Edward James Olmos und Cheche Alara – Künstler mit weltweitem Einfluss. Auf wissenschaftlicher Seite unterstützen renommierte Forscher wie Dr. Eric Verdin vom Buck Institute for Research on Aging, Amit Sharma und Amutha Boominathan vom Lifespan Research Institute (LRI).

Die neue Allianz von Wissenschaft und Popkultur

ALSAE versteht sich als Brücke zwischen Labor und Leinwand. Gemeinsam mit dem Lifespan Research Institute und dessen Public Longevity Group (PLG) arbeitet die Organisation an einem neuen Kommunikationsmodell: einer „cultural intelligence system“, das mithilfe künstlicher Intelligenz öffentliche Stimmungen und Narrative in Echtzeit analysiert.

Die Idee dahinter: Wenn man versteht, wie Menschen über Langlebigkeit denken, kann man gezielt mit Geschichten, Serien oder Musikstücken darauf reagieren. Statt Angst vor dem Altern oder Zynismus über Anti-Aging-Mythen sollen Hoffnung, Prävention und Sinnlichkeit des langen Lebens im Vordergrund stehen.

„Wir wollen nicht mehr Leben für Milliardäre“, betont Gary J. Alan, „sondern mehr Gesundheit für alle. Wir müssen zeigen, dass Langlebigkeit eine humanistische Vision ist – nicht eine technologische Spielerei.“

Hollywood auf Forschungsreise

Noch in diesem Jahr plant ALSAE exklusive Salons und Treffen, bei denen Showrunner und Produzenten aus Hollywood führende Forschungseinrichtungen in Kalifornien besuchen. Sie sollen die Wissenschaft hinter Langlebigkeit erleben – und neue Perspektiven für ihre Arbeit finden.

„Wir laden zehn bis zwölf der kreativsten Köpfe aus der Unterhaltungsindustrie ein, einen Tag lang in die Welt der Longevity-Forschung einzutauchen“, erklärt Maria. „Sie sollen sehen, dass es hier nicht um Science-Fiction geht, sondern um die Zukunft unserer Gesundheit.“

Diese persönliche Erfahrung soll langfristig die Art verändern, wie Film, Musik und Serien über Alter, Jugend und Lebenszeit erzählen.

Ein kultureller Wendepunkt

ALSAE will mehr als Aufmerksamkeit – sie will einen Bewusstseinswandel. Denn wenn Langlebigkeit als kulturell erstrebenswertes Ziel verstanden wird, kann daraus eine gesellschaftliche Bewegung entstehen. Weg von der Vorstellung des ewigen Lebens als Anmaßung, hin zu einem neuen Bild: Langlebigkeit als Ausdruck von Verantwortung, Bildung und Mitgefühl.

Das langfristige Ziel: ein neues kulturelles Narrativ, in dem der Wunsch nach einem langen, gesunden Leben kein Tabu ist, sondern ein Zeichen von Weitsicht. Ein Narrativ, das Menschen inspiriert, Verantwortung für ihren Körper zu übernehmen – und Politik und Wirtschaft dazu bewegt, in präventive Gesundheit zu investieren.

Longevity braucht Geschichten, keine Helden

So verstanden, ist ALSAE kein PR-Projekt, sondern ein kulturelles Experiment. Es stellt sich die Frage: Wie erzählen wir Zukunft? Und wer entscheidet, was „natürliches Altern“ bedeutet? Wenn Kunst und Wissenschaft gemeinsam Antworten suchen, entsteht vielleicht genau das, was Langlebigkeit am meisten braucht – Bedeutung.

Denn Gesundheit ist nicht nur eine biologische, sondern auch eine kulturelle Leistung. Und wenn wir lernen, das Altern anders zu erzählen, lernen wir vielleicht auch, es besser zu leben.