Da hat die ARD einen Erfolg. Und dann schaut keiner. Weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen es fast vergisst, ihn auch der Öffentlichkeit zu zeigen. Beim Mitteldeutschen Rundfunk hat eine Handvoll Menschen die Sache mit dem Bildungsauftrag ernstgenommen. Das ist schön. Die MDR-Serie "Auf Fritzis Spuren – Wie war das so in der DDR?" hat aber kaum jemand wahrgenommen.
Das ist blöd. Bis sie diese Woche in New York den International Emmy gewann. Das ist der wichtigste Fernsehpreis der Welt für Produktionen außerhalb der USA. Und den gab es zum ersten Mal für eine deutsche Jugendserie. Das macht Hoffnung.
Mit dem Trabi fahren wir in die DDR-Geschichte
"Wir gehen zurück in die Vergangenheit, das sind Geschichten für die Ewigkeit", verkündet der Sechsteiler. Es treffen sich Anna, nach der Wende geboren im alten Ost-Berlin, und Julian aus Stuttgart. "Da war ja eine Mauer zwischen uns! Wenn das noch so wäre, hätten wir zwei uns nie kennengelernt", stellt Anna den Bezug zur Gegenwart für ein junges Publikum in wenigen Sekunden her.
Begleitet von einigen Zeichentrick-Figuren machen sich die beiden auf den Weg zurück in die Vergangenheit. Im Westen fahren sie mit dem Fiat Cinquecento los, um auf der anderen Seite der Mauer mit einem Trabi anzukommen. Wir sehen: Der Staub des Geschichtsbuches hat in dieser Form der Geschichtsbildung keine Chance.
DDR-Besuch: "Die erschießen dich!"
Wie viel sich in unserem heute oft so verbitterten Gesamtdeutschland verändert hat? Mir fällt dazu immer eine Szene aus der Zeit der Grenzöffnung ein. Da war ich Wessie zum allerersten Mal unterwegs in Richtung DDR – an dem Tag, als das erstmals möglich war.
Genau auf dem Todesstreifen zwischen den beiden deutschen Ländern halte ich das Auto an, um ein Foto zu machen. Da schreit hinter mir jemand aus dem Auto heraus: "Bist Du wahnsinnig? Die erschießen dich!" Ich habe überlebt. Wir haben uns weiterentwickelt. Wie wild und wie aufregend dieses Zusammenwachsen war, bringt die Jugendserie ganz unaufgeregt mit animierten Bildern nahe.
"Schießbefehl oder Freiheit?"
"Auf einen Trabi hast du in der DDR mindestens zehn Jahre lang gewartet", erfahren die Zuschauer. So also funktioniert Planwirtschaft hinter dem "antifaschistischen Schutzwall". "Seid bereit!", beginnt der Schulunterricht. "Immer bereit!", antworten die Schüler. So funktioniert militärische Früherziehung. Sie führen die Hand zum Gruß an den Kopf.
So funktioniert Klassenkampf-Bildung unter dem Porträt von Erich Honecker. Und dann treffen sich Menschen in der Nikolaikirche in Leipzig. So beginnt Hoffnung. Wie sie endet? "Schießbefehl oder Freiheit", stellt die sechste Folge die Frage.
"Dass man ein System stürzen kann: Das prägt!"
Eine damals 19-Jährige berichtet von den Montagsdemos: 70.000 Menschen auf der Straße. "Und wir haben geschrien: Wir sind das Volk! Und: Wir sind – ein! - Volk", erinnert sie sich, "das war Gänsehaut-Zeit!"
Plötzlich ist sie auf, die Grenze. "Es gab noch einen Schießbefehl", sagt ein weiterer Zeitzeuge, "und es gab genug Beispiele in der Geschichte, wo es blutig ausgegangen ist. Das hätte zu dem Zeitpunkt noch passieren können."
Eine weitere Zeitzeugin hat gelernt: "Das prägt einen natürlich fürs Leben, wenn man einmal erlebt, was Menschen erreichen können – mit friedlichem, gemeinsamem Handeln. Dass man ein System zum Stürzen bringen kann, zusammen."
Wieder Gänsehaut-Zeit. Aber der unangenehmen Art
Und heute? Wieder erleben wir eine Gänsehaut-Zeit. Die aber gehört für viele eher zur unangenehmen Art. "Ich kriege ganz viel Hoffnung für meine Zukunft", zieht die 19 Jahre junge Heldin Anna ihre Bilanz. Sie sagt das als echte Figur. Und sie hat dabei echte Tränen in den Augen.
Wir sehen: Diese Geschichte ist gar nicht lange her. Und die des Dritten Reichs übrigens gar nicht so viel länger. Dass Geschichte lebendig bleibt und wir uns an ein großes deutsches Gefühl wieder einmal erinnern: Das ist ein Verdienst dieser Reihe im deutschen Fernsehen.
Die ARD hat mit 25 Millionen Nutzern ihrer Mediathek pro Monat gerade eine Rekordreichweite erzielt: ein Plus von 25 Prozent. Für den Sechsteiler "Auf Fritzis Spuren – Wie war das so in der DDR?" lohnt sich ein Besuch. Nicht nur für Kinder und Jugendliche.