The Ambassador Is Missing: Der Satz wirkt wie aus einem Politthriller – und tatsächlich erinnert er an den Bestseller „The President Is Missing“ von James Patterson und Ex-US-Präsident Bill Clinton. Doch während dort Fiktion im Vordergrund steht, ist „The Ambassador Is Missing“ bittere Realität: In Deutschland gibt es aktuell keinen US-Botschafter.
Was wie ein Thrillertitel klingt, entpuppte sich zuletzt als überraschende Tatsache, die sogar in gut informierten Kreisen kaum jemand auf dem Radar hatte.
Wie ein Telefonat mit Hollywood das Thema ins Rollen brachte
Den Stein ins Rollen brachte ein Gespräch mit Ralf Moeller – Bodybuilding-Ikone, Hollywood-Schauspieler. Vielen ist er unvergessen als strenger, aber charismatischer Ausbilder im Oscar-prämierten Film Gladiator, wo er an der Seite von Russell Crowe glänzte. Ralf Moeller lebt seit Jahrzehnten in Los Angeles, engagiert sich aber auch als Markenbotschafter für das Handwerk in Deutschland und interessiert sich ebenso wie ich für transatlantische Themen.
Als Ralf mich fragte, ob ich denn wüsste, wer derzeit US-Botschafter in Berlin sei, musste ich passen. Die Recherche ergab: Es gibt tatsächlich keinen.
Deutschland, größte Volkswirtschaft der EU, steht ohne offiziellen diplomatischen Vertreter der USA da.
Amerika – mehr als Hollywood und Hamburger
Den meisten Deutschen ist das natürlich völlig egal. Für viele Deutsche sind die USA nach wie vor ein Land der Klischees: Fast Food, große Autos, Hamburger, Hollywood, New York mit den Wolkenkratzern und Serien, die dort spielen wie Sex and the City.
Und ein Präsident, den viele Deutsche ganz böse finden, wobei Deutschland mit der Kompetenz seiner Politiker ja auch nicht gerade wählerisch ist.
Dass ein Botschafter weit mehr tut, als gelegentlich zu politischen Gesprächen einbestellt zu werden, ist kaum bekannt. Dabei sind Botschafter in Wahrheit Schlüsselfiguren: Sie vermitteln, moderieren, schützen wirtschaftliche Interessen und sorgen dafür, dass politische Irritationen nicht zu echten Konflikten eskalieren.
Warum fehlt der Botschafter? Es gibt drei mögliche Gründe:
1. Politische Reibungen. Die jahrelangen Belehrungen deutscher Politiker gegenüber Washington, besonders in Richtung Donald Trump, haben Spuren hinterlassen. Während Frankreich oder Italien längst einen Botschafter begrüßen, scheint Berlin auf der Prioritätenliste der US-Regierung nicht ganz oben zu stehen. Das ist umso seltsamer, da ja Friedrich Merz auch außenpolitisch glänzen wollte.
Dass dem Kanzler das Fehlen des Botschafters anscheinend egal ist, wundert mich gerade bei Friedrich Merz, der ja nun als früherer Vorstand der Atlantikbrücke durchaus transatlantische Kompetenz vorzuweisen hat.
2. Deutsche Selbstzufriedenheit: Auf deutscher Seite wirkt das Thema erschreckend nebensächlich. Man richtet sich ein, wartet ab – fast schon bräsig. Dabei sollte gerade Deutschland wissen, wie wichtig stabile diplomatische Kanäle sind.
Scheinbar heißt Außenpolitik für Deutschland nur, dreistellige Millionensummen an irgendwelche dubiosen Empfänger im Ausland zu überweisen. Es hat wahrscheinlich einen Grund, dass die internationale Diplomatensprache Französisch und nicht Deutsch ist.
3. Sicherheits- und Wirtschaftsabhängigkeit: Deutschland profitiert immens vom amerikanischen Schutzschirm. In Ramstein sitzt die größte US-Militärbasis außerhalb der Vereinigten Staaten, dazu kommen stationierte Atomwaffen.
Dass keiner auf die Idee kommt, Deutschland anzugreifen, liegt sicherlich eher an dieser massiven Militärpräsenz der USA als an irgendwelchen „Mahnungen“ und „Warnungen“ von Bundespräsident Steinmeier. Die Asymmetrie ist klar: Deutschland benötigt Amerika stärker als umgekehrt.
Warum das riskant ist
Ohne Botschafter fehlen direkte, kontinuierliche Gesprächswege. Und so wie jede Story einen Helden braucht, braucht eine Botschaft einen Vertreter, der das andere Land personifiziert. Was geschieht sonst?
Wirtschaftliche Kooperationen erschweren sich, politische Signale verzerren sich, und im Ernstfall fehlen die berühmten "heißen Drähte", die Missverständnisse verhindern.
Für ein Exportland wie Deutschland und für die gesamte EU ist das ein unnötiges geopolitisches Risiko. Keinen Botschafter zu haben ist schlechter als einen zu haben.
Fazit: Wenn ein Botschafter fehlt, fehlt weit mehr als nur ein Name an der Tür einer Residenz. Es fehlt Glaubwürdigkeit – die Grundwährung jeder Diplomatie.
Die Engländer sagen: „You don’t believe the message if you don’t believe the messenger.“
Und genau das ist der Punkt. Ohne Botschafter gibt es keinen glaubwürdigen „Messenger“ mehr zwischen zwei Wirtschaftsmächten: der globalen Nummer 1 (den USA) und der europäischen Nummer 1 (noch jedenfalls; Deutschland).
Vielleicht hilft dieser Artikel dabei, den Verantwortlichen klarzumachen, dass es höchste Zeit wird, diese Lücke zu schließen. Bevor die Realität auf unangenehme Weise spannender als jeder Thriller wird.
Prof. Dr. Veit Etzold ist ein anerkannter Redner, CEO-Coach und Strategieberater mit über 20 Jahren Erfahrung in verschiedenen Branchen. Er lehrt Marketing und Neuromarketing an der Hochschule Aalen. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.