„Rentenhammer“, „Kostenlawine“, eine „unverantwortliche Belastung der jungen Generation": Es ist schweres Geschütz, das gegen das zwischen SPD und Union vereinbarte Rentenpaket aufgefahren wird. Man könnte denken, die Koalition plant, Deutschland in ein Schlaraffenland für Senioren zu verwandeln, bezahlt von den ausgebeuteten Jungen, die jetzt aus purer Notwehr den Aufstand proben.
Sahra Wagenknecht: Durchschnittliche Rente liegt bei 1600 Euro
Der Konflikt hat das Potenzial, die inkompetente Merz-Regierung nach weniger als einem Jahr zu zerlegen. Das allerdings ist auch das einzig Gute an ihm. Ist das Rentenpaket ein politischer Fehler, der dringend korrigiert werden sollte? Ja. Aber aus völlig anderen Gründen als den aktuell vorgebrachten.
Millionen alten Menschen muss die Debatte wie Hohn erscheinen. Von den Rentnern, die 45 Jahre gearbeitet haben, bekommt derzeit jeder Fünfte weniger als 1200 Euro im Monat. Die durchschnittliche Rente für alle, die 45 oder mehr Jahre eingezahlt haben, liegt bei 1604 Euro netto. Auch unter Einbeziehung aller Einkommen haben 40 Prozent der deutschen Rentner weniger als 1250 Euro im Portemonnaie.
"Rentenkürzungen haben mit demografischem Wandel wenig zu tun"
Rund ein Viertel derer, die regelmäßig zu den Tafeln gehen, hat das Rentenalter überschritten. Nicht nur Gruppen junger Männer, die sich in fremden Sprachen unterhalten, sondern auch alte Menschen, die Flaschen sammeln, gehören heute zum Stadtbild in Deutschland. Das war nicht immer so, sondern ist das Ergebnis politischer Entscheidungen, die die Kaufkraft der gesetzlichen Rente durch „Nachhaltigkeits“- und Dämpfungsfaktoren gezielt abgesenkt haben.
Diese Rentenkürzungen haben mit dem demografischen Wandel wenig zu tun. Obwohl es heute rund eine Million Rentner mehr gibt als vor 20 Jahren, ist der Anteil der Rentenausgaben an der deutschen Wirtschaftsleistung nicht gestiegen, sondern gesunken: von 10,5 Prozent auf 9,4 Prozent. Auch der Steuerzuschuss zur Rentenversicherung, der immer als ultimativer Beweis völlig aus dem Ruder gelaufener Kosten herhalten muss, ist gemessen an der Wirtschaftskraft geschrumpft: von 3,4 Prozent auf 2,7 Prozent.
Wäre er konstant geblieben, hätte die Rentenversicherung allein aus dieser Quelle 30 Milliarden Euro mehr. Ebenso gesunken sind die Rentenbeiträge, die vor 20 Jahren bei 19,5 Prozent lagen und heute 18,6 Prozent betragen. Und ganz nebenbei zahlen die Rentner von ihren oft mageren Bezügen heute viel höhere Steuern und Abgaben.
"Skandalträchtiges Vorhaben der Koalition"
Kehrseite dieser Veränderungen ist eine um 70 Prozent gestiegene Altersarmut und ein im internationalen Vergleich besonders schlechtes Versorgungsniveau. Relativ zum letzten Nettoeinkommen liegen die deutschen Renten rund zehn Prozentpunkte unter dem EU-Schnitt.
Braucht es also eine große Rentenreform in Deutschland? Unbedingt! Plant die schwarz-rote Koalition Veränderungen, die Millionen aktuelle und zukünftige Rentner vor der Entwürdigung bewahren könnten, sich im Ruhestand massiv einschränken zu müssen? Eher im Gegenteil. Die einzige Verbesserung im Rentenpaket ist die Mütterrente, durch die älteren Müttern ein Jahr Kindererziehungszeit zusätzlich angerechnet werden soll.
Ansonsten besteht das skandalträchtige Vorhaben der Koalition darin, das gegenwärtige miserable Rentenniveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2031 fortzuschreiben und es danach weiter abzusenken. Die Junge Union fordert, dass es dann noch schneller sinken soll als im Gesetz vorgesehen. Es geht also bei dem Streit gar nicht um die heutigen, sondern um die künftigen Renten.
"Abgehobene JU-Abgeordnete"
Und klar ist: je schlechter sich das Rentenniveau in den 2030er Jahren entwickelt, desto niedriger sind die Renten dann auch Mitte des Jahrhunderts. Weshalb die junge Generation ein Interesse daran haben sollte, im Alter noch deutlich ärmer zu sein als die heutigen Rentner, können einem wohl nur abgehobene JU-Abgeordnete erklären, die selbst weder in die Rentenversicherung einzahlen noch von ihr im Alter abhängig sein werden, weil Politiker über ein eigenes Versorgungsnetzwerk verfügen, das nach kurzer Zeit Altersbezüge sichert, von denen normale Beitragszahler nur träumen können.
Und natürlich gibt es die einschlägigen Lobbys aus der Finanzwirtschaft, die sich schon mit den Riesterrenten eine goldene Nase verdient haben und gern weitere solche Produkte an den Mann beziehungsweise die Frau bringen möchten.
Wie eine echte Rentenreform aussehen könnte, zeigt Österreich, wo ein langjährig versicherter Rentner etwa 800 Euro im Monat mehr zur Verfügung hat. Österreich hat sinnvolle Reformen durchgeführt, als in Deutschland die Rentenkürzungen und die teuren Subventionen für private Rentenprodukte begannen. In Österreich zahlen heute alle in die Rentenversicherung ein, auch Beamte, Selbstständige und Politiker. Ja, auch die Beiträge sind etwas höher, für einen Arbeitnehmer mit 4000 Euro Bruttogehalt sind das Mehrkosten von 38 Euro im Monat. Ein privater Rentenfonds, bei dem man mit 38 Euro Einzahlung eine zusätzliche Rente von 800 Euro in heutiger Kaufkraft erhält, muss allerdings erst noch gefunden werden.
Sicher, Österreich hat auch eine etwas andere Demografie als Deutschland. Aber um das zu ändern, könnte man mal versuchen, Deutschland in ein kinderfreundlicheres Land zu verwandeln, statt der jungen Generation jede Absicherung im Alter zu nehmen und das noch als Großtat in ihrem Interesse zu verkaufen.
Sahra Wagenknecht ist ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken und Gründer der Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht"