Immer mehr Landkreise und Kommunen klagen über massive Geldnöte und drängen auf Hilfe der Bundesregierung. Mit drastischen Beispielen rechnen sie vor, wie dicht sie am finanziellen Abgrund stehen, hauptsächlich durch die extrem gestiegenen Sozialausgaben.
Deutsche Milliarden in alle Welt, Kommunen in arger Finanznot
Geradezu explodiert sind die Kosten etwa im Bereich Hilfe zur Pflege. Die wird gezahlt, wenn sich Pflegebedürftige oder deren Angehörige die Pflegekosten nicht leisten können. Weitere Posten, die als vom Bund übertragene Pflichtaufgaben übernommen werden müssen: Wohn- und Bürgergeld, Kinder- und Jugendhilfe, Leistungen für Asylbewerber und Eingliederungshilfe für behinderte Menschen.
Jetzt schlägt Ulli Schäfer (CDU), Landrat im thüringischen Greiz, Alarm – und nennt erschreckende Zahlen zur Finanzlage. Demnach muss der Landkreis Greiz mit 143 Millionen Euro im Jahr mittlerweile „zwei Drittel seines Verwaltungshaushaltes für Sozialausgaben aufwenden“. Schäfer: „Für die sogenannten freiwilligen Aufgaben – zum Beispiel Kultur-, Sport- und Wirtschaftsförderung – verbleiben nur noch 1,7 Prozent.“
Der Landrat zu FOCUS online: „Doch genau das sind Leistungen, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Städten und Dörfern wichtig sind.“
Brandbrief an Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD)
In einem Brandbrief an Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) beklagt der Politiker gemeinsam mit dem Thüringer Gemeinde- und Städtebund, die explodierenden Sozialausgaben drohten „die kommunale Selbstverwaltung zu erdrücken“. Die Kosten seien „eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland“. Wenn die Menschen in ihrem Lebensalltag feststellen müssen, dass kein Geld mehr da ist für elementare Dinge, würden die Zweifel an einem „funktionierenden Staatswesen“ wachsen.
Um Vizekanzler Klingbeil, der gerade in Asien unterwegs ist, die harte Realität in der ostdeutschen Provinz nahezubringen, listet Schäfer exemplarisch Fälle auf, die zeigen, wie stark die finanzielle Belastung für seinen Landkreis gestiegen ist:
- Für eine 24-Stunden-Assistenzbetreuung einer Person muss der Landkreis jährlich 252.000 Euro zahlen – dem steht eine Beteiligung der Pflegekasse in Höhe von 14.400 Euro gegenüber.
- Die Schulbegleitung für ein Kind mit besonderer Betreuung kostet jährlich rund 60.000 Euro.
- Die Kostensteigerung bei den Pflegeheimen beläuft sich auf durchschnittlich 48 Prozent in den letzten fünf Jahren.
- Über ein Viertel der pflegebedürftigen Menschen sind auf Unterstützung durch das Sozialamt angewiesen.
- In der Jugendhilfe muss der Landkreis für einen stark auffälligen Jugendlichen jährlich etwa 270.000 Euro aufbringen.
Die Liste ließe sich problemlos verlängern. Doch auch mit den wenigen genannten Beispielen wird klar: Den Landkreisen und Kommunen steht das Wasser bis zum Hals.
Landrat fordert, vom Bund geforderte Leistungen "zu reduzieren"
Deshalb fordern Landrat Schäfer und die Thüringer Bürgermeister von der Bundesregierung „eine auskömmliche Finanzierung der Pflichtaufgaben“. Klingbeil müsse „umgehend einen grundsätzlichen Reformprozess einleiten, der mehr Eigenverantwortung für die Finanzierung der Sozialausgaben auf Bundesebene vorsieht und die strukturelle und finanzielle Entlastung der Kommunen zum Ziel hat“.
Es sei dringend erforderlich, so die ostdeutschen Politiker, die auf Bundesebene bestehenden Leistungen „kritisch zu hinterfragen, auf ihre soziale Notwendigkeit zu überprüfen und gezielt zu reduzieren“.
Der Landkreis Greiz und viele Kommunen in Thüringen stehen mit ihren Sorgen nicht allein da. Auch im vergleichsweise reichen Bayern beklagen Städte und Gemeinden gewaltige Finanzlöcher. „Viele Kommunen stehen wirklich vor der Pleite“, sagte jüngst der Präsident des bayerischen Landkreistags, Thomas Karmasin (CSU). „Im vergangenen Jahr mussten die bayerischen Kommunen ein Defizit von fünf Milliarden Euro verzeichnen. Bei der Summe waren wir nun schon nach dem ersten Halbjahr“, warnte er.
"Wer bestellt hat, ohne zu bezahlen, muss dies nachholen"
Ende Oktober hatten die Rathauschefs der Landeshauptstädte aller 13 deutschen Flächenländer wegen der kommunalen Finanzmisere einen Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und die Ministerpräsidenten geschrieben. Die Schere zwischen kommunalen Einnahmen und Ausgaben öffne sich immer weiter, heißt es in dem Schreiben.
„Die kommunale Finanzausstattung weist grundlegende Strukturprobleme auf: Aufgaben werden übertragen, ohne dass ein angemessener finanzieller Ausgleich erfolgt“, bemängeln die Rathauschefs in ihrem Brandbrief. „Dies führt zu immer größeren Belastungen der kommunalen Haushalte.“ Haupttreiber seien steigende Sozialausgaben.
„Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, in jedem Gesetzentwurf, der künftige Belastungen für kommunale Ressourcen nach sich zieht, von vornherein eine vollständige und angemessene Kompensation vorzusehen“, lautet die Hauptforderung. Außerdem wird eine Wiedergutmachung für frühere Beschlüsse verlangt. „Wer bestellt hat, ohne zu bezahlen, muss dies nachholen.“