Willkommen bei den linken Gesinnungstests! Wetten, dass Sie wie ich verdächtig sind?

Finden Sie auch, der Staat sollte sich besser aus der Wirtschaft raushalten? Dass Reiche nicht zwingend mehr Steuern zahlen sollten, weil sie das sowieso schon tun? Klingt für Sie das Gendersternchen in „Bürger*innen“ eher nach orthografischem Unsinn als nach echter Gleichberechtigung? Und befürworten Sie eine Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland?

Laut einer aktuellen "Zeit"-Umfrage stehen Sie dann ziemlich weit rechts. Vielleicht sogar rechter als die AfD. 

So ging es jedenfalls mir, als ich die dreizehn Testfragen beantwortete. Ein erstaunliches Ergebnis für jemanden, der ein Tempolimit gar nicht so unsympathisch findet (Raser kann ich nicht leiden) und die Europäische Einigung eher mag als ihr misstraut.

Platte Fragen, schräge Ergebnisse: Die Tücken politischer Umfragen

Platte Fragen, schräge Ergebnisse. Zum Glück war ich vorgewarnt. Mir hatten schon mehrere Bekannte ihr ebenfalls befremdliches Ergebnis der Umfrage geschildert. Mit ihrer eigentlichen politischen Verortung hatte das nicht viel gemein. Offenbar reichte es aus, einige Fragen anders zu interpretieren, als sie intendiert waren. Schon fand man sich aus der vermeintlich goldenen Mitte heraus nach stramm rechts katapultiert.

Wie so oft hängt alles von der genauen Definition ab: Zielt die Frage nach weniger Zuwanderung auf die heiß diskutierte illegale Migration ab (wie von mir angenommen) oder auch auf die legale? Und worauf bezieht sich die Frage zur Gleichstellung der Frau – auf unbeliebte Quotenregelungen oder auf mehr Kita-Plätze? Auch beim Tempolimit macht es einen Unterschied, ob ein Verbot bei 200 km/h oder bei 130 km/h greift. Doch wer differenzieren möchte, hat das Nachsehen, denn die Umfrage lässt dies nicht zu.

Die "Mitte-Studie" – politisch vorgefärbter Gesinnungstest

Es wurde in den letzten Tagen noch ein weiterer, weitaus umfassenderer Gesinnungstest veröffentlicht: die "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung, also der SPD-nahen politischen Stiftung. Alle zwei Jahre prüft die Studie auf repräsentative Art und Weise, wie rechtsextrem, menschenfeindlich und demokratiegefährdend die Deutschen in ihren Köpfen sind. Etwa 2000 Teilnehmer in ganz Deutschland wurden dafür per Telefon und Handy befragt.

Die Studie stellt einerseits sehr sinnvolle Fragen. Zum Beispiel, ob man der Aussage zustimmen würde, dass es wertvolles und unwertes Leben gebe. Ob man glaube, dass die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen seien. Wer hier inhaltlich mitgeht, sollte sich ernsthaft Gedanken um seine Demokratiefestigkeit machen. Immerhin: Nur 3,3 Prozent teilen ein klar rechtsextremes Weltbild. Das waren vor zwei Jahren schon mal deutlich mehr.

Genau deshalb richten die Wissenschaftler ihre Aufmerksamkeit nun auf eine andere Problemgruppe: den "Graubereich". Laut Studie sind es nämlich über 20 Prozent, die offen für "antidemokratische Orientierungen" sind. Diese Offenheit komme zustande, wenn man rechtsextremen Aussagen weder zustimme noch sie deutlich ablehne.

Über die Kolumnistin 

Julia Ruhs ist Journalistin, vor allem beim Bayerischen Rundfunk. Sie ist Teil jener Generation, die vor Klimaaktivisten, Gender-Bewegten und Zeitgeist-Anhängern scheinbar nur so strotzt. Sie will denjenigen eine Stimme geben, die sich darin nicht wiederfinden und sich oft allein fühlen mit ihrer Meinung. Wenn alle das gleiche zu denken scheinen, verspürt sie Unwohlsein.

Sind Sie Teil einer Problemgruppe?

Ironischerweise ist es gar nicht mal so unwahrscheinlich, Teil dieser Problemgruppe zu werden. Beispiel gefällig? Da wäre zum einen der Satz: "Der Rechtsextremismus wird in den Medien hochgekocht." Sie stimmen zu, weil Sie dabei vielleicht an die betrunkenen Sylter Partygäste denken, deren fragwürdige Gesangseinlage vergangenes Jahr tagelang durch die gesamte mediale Öffentlichkeit gepeitscht wurde? Dann herzlichen Glückwunsch: In diesem Fall verharmlosen Sie den Rechtsextremismus und teilen diese Einschätzung mit weiteren 22 Prozent der Befragten.

Oder wie stehen Sie zu folgender These? "Im nationalen Interesse können wir nicht allen die gleichen Rechte gewähren?" Wenn Sie dabei ans Wahlrecht denken, das nun einmal an die deutsche Staatsbürgerschaft gebunden ist, rettet Sie das leider nicht. Auch nicht der Hinweis, dass Asylbewerber kein Bürgergeld bekommen. Ihre Haltung gilt trotzdem als problematisch. So wie die von 34 Prozent der Bevölkerung.

So schnell ist man gruppenbezogen menschenfeindlich

Noch verblüffender wird es in einer anderen Kategorie: Finden Sie es in manchen Fällen durchaus albern, wenn ein Mann lieber eine Frau sein will oder eine Frau lieber ein Mann? Denken Sie außerdem, Frauen sollten sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen? Dann sind Sie zwar in meinen Augen etwas altbacken. Für die "Mitte-Studie“ rangieren Sie damit aber schon dicht im Geflecht der "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit".

Leistungsdruck und Disziplin machen rechts, sagt die Studie

Das Wunderlichste kommt aber zum Schluss. Was sagen Sie: Finden Sie, dass die Schule den Kindern Disziplin und Gehorsam beibringen sollte? Wenn ja, Vorsicht. Zwar sehen das mehr als 40 Prozent der Befragten genauso. Aber die Studie meint: Wer durch seine Eltern leistungsorientiert erzogen wurde, verfüge überdurchschnittlich oft über ein rechtsextremes Weltbild und neige doppelt so häufig dazu, den Rechtsextremismus zu verharmlosen. Leistungsdruck würde helfen, ein rechtsextremes Weltbild zu normalisieren, liest man da.

Wie man es vermeiden kann, seine Kinder zu vermeintlichen Rechtsextremen heranzuziehen? Auch da hat die Studie einen Tipp: Eltern sollten über mögliche Folgen einer leistungsorientierten Erziehung aufgeklärt werden. Na dann. Ich frage mich ja, was die Studienautoren wohl zur aktuell diskutierten Wehrpflicht sagen würden – praktisch dem Inbegriff von Disziplin und Gehorsam. Nach deren Logik müsste die junge Generation bald im Rekordtempo noch weiter nach rechts kippen.

Studien sagen viel über ihre Macher

Überraschend ist das alles natürlich nicht. Eine Studie aus dem Umfeld der SPD wird nicht plötzlich deren Grundüberzeugungen in den Wind schlagen. Entsprechend heißt es an mancher Stelle der Publikation auch recht unverblümt, FDP-Wähler hätten „kalte“ Vorstellungen der Klimagerechtigkeit und „marktförmiges“ Denken sei ein Problem.

Schauen Sie also besser immer genau hin, wer hinter einer Studie steckt. Wenn Sie eines Tages von einer eher bürgerlich angehauchten Institution als Extremist entlarvt werden, dann sollten Sie sich allerdings wirklich Gedanken machen. Bis dahin gilt: Ruhe bewahren. Nicht jede Studie ist ein Spiegel der Gesellschaft. Oft genug ist sie vor allem der Spiegel ihres Auftraggebers.