Patientensicherheit in der ästhetischen Medizin: Gesetzeslücken und ihre Folgen

Schönheitseingriffe liegen im Trend. Laut der International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) und Statista wurden allein im Jahr 2024 über 460.000 ästhetisch-plastische Eingriffe in Deutschland durchgeführt – Tendenz weiter steigend. Dabei verzeichnete die Statistik der letzten Jahre besonders zwei Spitzenreiter:

  1. Botulinumtoxin-Injektionen („Botox“) mit rund 361.000 Behandlungen jährlich,
  2. Fettabsaugungen (Liposuktionen) mit über 111.000 Eingriffen pro Jahr.

Parallel dazu wächst die Zahl der ästhetisch tätigen Praxen rasant. Immer mehr Ärztinnen, Ärzte, Heilpraktiker:innen und kosmetische Studios bieten minimal-invasive oder operative Verfahren an – von Faltenunterspritzungen bis hin zu Lidstraffungen oder Fettabsaugungen.

Was viele Patient:innen jedoch nicht wissen: In Deutschland ist dieser Markt nur unzureichend gesetzlich reguliert. Das kann schwerwiegende Folgen haben – medizinisch, rechtlich und gesundheitlich.

Dr. Katharina Merker, Fachärztin für Chirurgie, vereint in ihrer Privatpraxis in Aschaffenburg medizinisches Know-how mit ästhetischem Feingefühl für natürliche und individuell stimmige Ergebnisse. Sie ist Teil unseres Experts Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.

Wer darf eigentlich „Schönheit“ operieren?

Ein weit verbreitetes Missverständnis lautet: Nur Fachärzt:innen für plastische Chirurgie dürfen ästhetische Eingriffe durchführen. Das ist falsch.

Denn: Es gibt kein Gesetz, das festlegt, dass bestimmte ästhetisch-chirurgische Behandlungen nur Ärzt:innen mit chirurgischer Facharztausbildung vorbehalten sind.

Beispiel: Eine Fettabsaugung darf nach aktueller Rechtslage theoretisch jeder approbierte Arzt oder jede Ärztin durchführen – unabhängig von Fachgebiet oder chirurgischer Erfahrung. Auch ein Arzt ohne Facharzttitel kann unmittelbar nach dem Studium eine Praxis eröffnen und ästhetische Eingriffe anbieten.

Das Heilpraktikergesetz (§ 1 HeilprG) verlangt lediglich eine allgemeine Erlaubnis zur „Ausübung der Heilkunde“ – nicht aber eine definierte chirurgische oder medizinische Zusatzqualifikation. Ebenso wenig legt das Heilmittelwerbegesetz (HWG) Qualifikationsstandards fest; es regelt nur, wie über Eingriffe geworben werden darf (z. B. kein Einsatz von Vorher-Nachher-Bildern bei nicht medizinisch notwendigen Operationen) (Urteil 31.07.2025 des Bundesgerichtshofs).

Diese fehlende gesetzliche Trennung zwischen kosmetischen und medizinischen Eingriffen führt dazu, dass Patient:innen häufig nicht erkennen können, welche Ausbildung oder Erfahrung die behandelnde Person tatsächlich besitzt.

Social Media als gefährlicher Verstärker

In den sozialen Netzwerken boomen Schönheitsvideos, Vorher-Nachher-Clips und „Beauty-Experten“ mit hunderttausenden Followern.

Für Patient:innen entsteht so oft der Eindruck, dass Popularität oder Reichweite gleichbedeutend mit Kompetenz sind. Tatsächlich sagt die Zahl der Follower jedoch nichts über die medizinische Qualifikation eines Behandlers aus.

Hinzu kommt: Viele dieser Inhalte blenden Risiken aus – allergische Reaktionen, Infektionen, Nervenschäden oder dauerhafte Asymmetrien werden selten gezeigt oder offen besprochen.

Gerade Ärzt:innen, die ohne klinische Erfahrung nach dem Studium direkt in die ästhetische Medizin einsteigen, stoßen in kritischen Situationen schnell an ihre Grenzen: Notfälle wie allergische Schocks, Wundinfektionen oder Hautnekrosen erfordern medizinische Routine, die häufig fehlt (1)

Gesundheitsrisiken und fehlende Meldepflichten

Wie viele Menschen in Deutschland jährlich durch ästhetische Eingriffe geschädigt werden, lässt sich schwer beziffern – es gibt keine zentrale Erfassung von Komplikationen oder Behandlungsfehlern im ästhetischen Bereich. Schätzungen aus ärztlichen Fachverbänden gehen jedoch von mehreren tausend Komplikationen jährlich aus, die oft in Kliniken nachbehandelt werden müssen.

Dabei reichen die Risiken von Infektionen, Narben und Hautunebenheiten bis hin zu schweren allergischen Reaktionen oder Gefäßverschlüssen nach Injektionen mit Füllmaterialien. In Einzelfällen kam es sogar zu Erblindungen durch unsachgemäße Hyaluron-Behandlungen.

Im Gegensatz zu medizinisch notwendigen Operationen unterliegen ästhetische Eingriffe keiner einheitlichen Qualitätskontrolle. Auch Mindestmengenregelungen – wie sie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für komplexe Krankenhausoperationen festgelegt hat – gelten nicht für ambulante kosmetische Behandlungen.

Was Patient:innen wissen sollten

Patientensicherheit beginnt vor dem Eingriff.

Ein seriöser Behandler wird stets eine ausführliche Anamnese, eine vollständige Aufklärung über alle Risiken und ausreichend Zeit für Fragen anbieten. Die Aufklärungspflicht ergibt sich aus dem Patientenrechtegesetz (§ 630e BGB)und gilt für jede ärztliche Behandlung – unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit.

Wer einen Eingriff plant, sollte unbedingt:

  1. Nach der Facharztausbildung und klinischen Erfahrung des Behandlers fragen.
  2. Sich über mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen informieren.
  3. Vorsicht walten lassen, wenn auf Social Media mit unrealistischen „Sofort-Ergebnissen“ oder „risikofreien“ Eingriffen geworben wird.
  4. Kein seriöser Arzt oder Heilpraktiker wird versuchen, Behandlungen aufzudrängen oder Nebenwirkungen zu verharmlosen.

Ein Facharzttitel allein ist zwar kein Garant für ein perfektes Ergebnis, aber in der Regel ein Qualitätsmerkmal für Ausbildung, Sicherheit und Notfallkompetenz.

Fazit – Gesetzliche Nachsteuerung dringend nötig

Deutschland gehört zu den Ländern mit der höchsten Dichte an ästhetischen Eingriffen weltweit – aber zu den schwächsten gesetzlichen Strukturen, wenn es um Qualifikationsnachweise, Sicherheitsstandards und Nachkontrollen geht.

Während im Ausland (z. B. in Großbritannien oder Frankreich) klare Regelungen bestehen, welche Fachrichtungen bestimmte Eingriffe durchführen dürfen, herrscht hierzulande ein Regelungsvakuum.

Dieses Vakuum nutzen einige Anbieter aus – zu Lasten der Patientensicherheit.

Solange der Gesetzgeber keine klaren Qualifikationsanforderungen für ästhetisch-plastische Eingriffe definiert, bleibt das Risiko bestehen, dass medizinisch unerfahrene Personen an gesunden Menschen invasive Behandlungen vornehmen.

Schönheit darf kein Risiko für die Gesundheit werden.

Aufklärung, Transparenz und gesetzliche Mindeststandards sind überfällig – zum Schutz derjenigen, die sich in die Hände eines Behandlers begeben und auf Kompetenz, nicht auf Klicks vertrauen.