Wie deutsche Unternehmen jetzt mit Defcon 2 den Kriegsfall vorbereiten

Lange war es ein Thema für Vorstandssitzungen, das nicht nach außen dringen sollte. Jetzt jedoch gehen Unternehmer, Manager und Berater damit in die Offensive – nicht zuletzt, weil sie für sich einen Vorteil im Wettbewerb erkennen: Die deutsche Wirtschaft rüstet sich für einen Krieg. Sie schaltet um vom Friedensmodus in einen Zustand permanenter Bereitschaft

Defcon 2 heißt so ein Zustand beim US-Militär und bedeutet höchste Alarmbereitschaft. Dabei geht es längst nicht mehr nur um den Rüstungssektor, sondern um Vorbereitungen, die alle treffen, falls Lieferketten angegriffen werden, Personalmangel im Betrieb ausbricht, weil Soldaten ins Feld müssen, und die Produktion einbricht, weil die Infrastruktur beschädigt ist. Viele Zivilunternehmen schaffen sich inzwischen Produktions- und Lieferpuffer, um im Krisenfall weiterlaufen zu können.  

Vorbereitungen für den Ernstfall 

Sie alle arbeiten an dem, was bei der Bundeswehr „Kaltstartakte“ heißt. Seit dem 1. August 2024 ist die Regelung „ARD-2641/1a“ bei der Bundeswehr in Kraft, die den Titel „Kaltstartakte“ trägt. Es handelt sich um eine Handreichung zur Unterstützung und Sensibilisierung militärischen und zivilen Bundeswehrangehörigen zum Thema „Herstellung der persönlichen Einsatzbereitschaft“ - und genau das wollen auch die Unternehmen jetzt erreichen.  

Die einen rüsten dazu um: von zivilen Produkten auf solche, die sich militärisch nutzen lassen und im Kriegsfall gefragt sein dürften. Paradebeispiel: Das Münchner Startup Circus, bislang bekannt für autonome Küchenroboter in Kantinen, kündigt eine militärische Version seines Systems an. 

Circus-Chef Nikolas Bullwinkel sagt: „Wir automatisieren nicht nur die Verpflegung der Truppen – wir definieren neu, wie kritische Missionen versorgt, unterstützt und aufrechterhalten werden.“ Mit dem „CA-M“, einer KI gesteuerte Roboterküche, die in einem Container eingebaut ist, sollen Einsätze unter Extrembedingungen möglich sein. Circus will nicht nur den Supermarkt beliefern, sondern die Logistik in Kriegs- und Krisengebieten bereitstellen. Dieses Beispiel zeigt: Die Grenze zwischen ziviler Produktion und Kriegswirtschaft verwischt. 

Roboterküche des Startups Circus Group
Das Münchner Startup Circus kündigt eine militärische Version seiner KI gesteuerte Roboterküche an. Mit ihr soll die Versorgung von deutschen Soldaten im Feld gesichert sein. Circus Group

Notfallpläne in Arbeit

Auch die Zunft der Berater stellt sich darauf ein: Henrik Ahlers, Chef des Beraterhauses EY in Deutschland, kündigte in dieser Woche an, den Verteidigungsbereich im Haus deutlich zu stärken. Ihm geht es genau darum: Notfallpläne erarbeiten, die Produktion absichern, Investoren, Unternehmen und Städte- und Ländervertreter an einen Tisch zu bringen, um gewappnet zu sein, falls es zu einem Kriegsausbruch kommt. „Die sicherheitspolitische Lage erfordert eine Stärkung der Verteidigungsfähigkeit. Vor allem neue Technologien aus den Bereichen KI und Cybersecurity haben eine hohe Relevanz“, stellt Ahlers fest. 

Die Umstellung geht mit politischer Begleitung einher: Die Europäische Kommission fordert in der Strategie zur „Europäischen industriellen Verteidigung“ eine stärker auf militärische Bedürfnisse ausgerichtete Industrietechnikbasis, kürzere und abgesicherte Lieferketten sowie eine „Kultur der Bereitschaft“. 

Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagt: „Die Gefahr eines Krieges mag nicht unmittelbar bevorstehen, aber sie ist nicht unmöglich. Wir müssen mehr europäische Produkte kaufen. Denn das bedeutet eine Stärkung der europäischen technologischen und industriellen Verteidigungsbasis.“ Die Botschaft ist klar: Nicht nur Panzer und Raketen zählen – sondern jede Maschine, jeder Roboter, jeder Software-Baustein, der im Krisenfall einsatzfähig ist. 

Firmen planen voraus

Mittelständische Unternehmen und Konzerne arbeiten deswegen ebenfalls an ihrer Kaltstartakte: 

  • Die Traditionsfirma Schöffel aus Schwabmünchen, bislang Inbegriff alpiner Freizeitkultur, näht an Uniformen für Sicherheitskräfte. Das Behörden- und Einsatzgeschäft soll in wenigen Jahren so wichtig werden wie der Sportbereich. Vorstandschef Jakob Schöffel nennt das „eine strategische Erweiterung unseres Kerns“. Die Firma musste erst lernen, wie Ausschreibungen der Bundeswehr funktionieren – und sich dann neu aufstellen: dauerhafte Materialverfügbarkeit, geprüfte Sicherheitsstandards, schnell skalierbare Produktion.
  • Kärcher Futuretech, Tochter des Reinigungsgeräte-Herstellers aus Winnenden, liefert inzwischen komplette Feldlager-Systeme, Trinkwasseraufbereitung und ABC-Dekontaminationsgeräte an die Bundeswehr. 400 Feldküchen sind bereits bei der Truppe, dazu Nachbeschaffungen für Dekontaminationsmodule – das ist keine Nebenlinie, das ist Serienproduktion. Der Mittelständler hat seine Lieferkette dafür abgesichert: Ersatzteillager im Inland, parallele Zulieferer, Standardisierung der Komponenten. Wenn andere Branchen stocken, kann Kärcher sofort liefern. Eine gelebte Kaltstartakte.
  • Noch sichtbarer verschiebt sich der Wartungsriese Lufthansa Technik. Das Unternehmen, das jahrzehntelang nur Ziviljets überholte, rüstet heute die Regierungsmaschinen der Flugbereitschaft der Bundeswehr aus, installiert Selbstschutz-Systeme, Avionik, Kommunikationsmodule. Das Know-how aus der zivilen Luftfahrt fließt direkt in sicherheitsrelevante Projekte. Für die Hamburger ist das kein Bruch, sondern eine Erweiterung – „Defense Solutions“ heißt der Geschäftsbereich, und der wächst.
  • Und selbst die Bahn fährt mit. DB Cargo, sonst zuständig für Autos und Container, stellt mittlerweile Flachwagen und ganze Trassen für NATO-Verlegeübungen bereit. Verträge mit der Bundeswehr sichern, dass im Krisenfall Hunderte Waggons und Lokführer innerhalb von Stunden verfügbar sind. Der zivile Schienengüterverkehr wird damit Teil der militärischen Logistikplanung – inklusive Krisenfahrplänen, Reservezügen, Vorrangtrassen. Das ist Kriegswirtschaft auf Gleisen, unauffällig, aber systemrelevant. 

Wenn die Front ruft

Klar wird: Die Firmen arbeiten an Aktionsplänen für den Moment, wenn normale Abläufe zusammenbrechen. Der Begriff „Krieg“ taucht zwar nicht überall offiziell auf, aber die Logik ist erkennbar: Wenn die normale Welt stillsteht, darf die Produktion nicht auch stehen bleiben. Bei Siemens etwa geht es unter dem harmlosen Marketingtitel „Industrie der Zukunft“ auch um die Vorbereitung eines Notfalls. Personal muss gesichert werden: Wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur Reserve oder gar an die Front gehen, muss der Betrieb dennoch laufen. Unternehmen schaffen interne Reserve-Teams, setzen auf Digitalisierung und Automatisierung, damit auch bei Ausfall von Kräften die Maschine läuft. Umschulungen von Rückkehrern, Fokus auf Teilzeitkräfte gehören zur Kaltstartakte. 

Alle sind betroffen

Die Folge: Wenn Wirtschaft nicht nur auf Absatz schaut, sondern auch auf „Wenn alles anders ist“, dann verändert sich das Geschäftsmodell: Von global günstig und just-in-time hin zu regional gesichert und mobil einsetzbar. Die Zeitenwende ist da, und sie betrifft nicht nur die Waffenindustrie, sondern ganz normale Fabriken wie die von Schöffel, Kärcher und Co. Eine ganze Wirtschaftslandschaft rüstet um und folgt damit dem, was die Zuständigen vorgeben. Verteidigungsminister Boris Pistorius formuliert es so: „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein… Wir müssen durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein.“ Und Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, sagt: „Wir wollen gewinnen, weil wir gewinnen müssen.“ Er betont dabei, dass diese Haltung „Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“ mit einschließt.  

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit "Business Punk".