FOCUS online Earth: Herr Höhne, die geopolitische Lage hat sich verändert: Die USA ziehen sich zurück, China agiert zögerlicher – und Europa? Lange wirkte die EU selbst kraftlos. Wie stark ist Europa im globalen Klimaprozess derzeit wirklich?
Niklas Höhne: Europa ist geschwächt gestartet. Viele Beschlüsse kamen auf den allerletzten Drücker, und die neuen Klimaziele bleiben hinter den Erwartungen zurück. Das 2040-Ziel ist zu schwach, um Klimaneutralität bis 2050 realistisch zu erreichen.
Dazu kommt: Die Bandbreite bei den 2030-Zielen ist so groß, dass man sich praktisch am unteren Ende orientiert – also am wenigsten ambitionierten Pfad. Das ist ein Rückschritt. Weniger Klimaschutz in der EU ist das falsche Signal in einer Zeit, in der der Klimawandel immer spürbarer wird.
Welche Rolle spielt Deutschland dabei? Trägt Berlin zur Schwäche Europas bei – oder kann es sie ausgleichen?
Höhne: Deutschland bleibt ein zentraler Akteur in der europäischen Klimapolitik. Viele Staaten schauen genau darauf, ob und wie die deutsche Energiewende funktioniert. Das gilt als Gradmesser dafür, ob Klimaschutz und Wohlstand vereinbar sind. Aber: Deutschlands Einfluss hängt stark davon ab, ob es selbst liefert.
Und im Moment hapert es an der Umsetzung – vom schleppenden Ausbau der Erneuerbaren bis zu Unsicherheiten beim CO2-Preis. Wenn Deutschland intern zögert, bremst es automatisch auch den europäischen Kurs. Gleichzeitig hat Deutschland traditionell eine vermittelnde Rolle in der EU – es kann Brücken bauen, Allianzen schmieden, Kompromisse ermöglichen. Diese Führungsrolle wird gebraucht, gerade jetzt.
Zur Person
Prof. Dr. Niklas Höhne ist Mitbegründer des New-Climate-Institute und Professor für Klimaschutz an der Universität Wageningen. Er trägt seit 2003 zu Berichten des Weltklimarates (IPCC) bei.
Oft heißt es, Deutschland sei gar nicht der Bremsklotz, als das Land in der öffentlichen Debatte beim Klimaschutz dargestellt wird. Immer wieder wird betont, Berlin stehe fest hinter den EU-Klimazielen. Wie sehen Sie das?
Höhne: Ich glaube, dass im Umweltministerium viele engagierte Menschen sitzen, die wirklich Klimapolitik vorantreiben wollen. Aber in der Gesamtbilanz sehe ich nicht, wo Deutschland das tatsächlich getan hat. Im Gegenteil – es gibt mehrere Beispiele, in denen Deutschland eher gebremst hat.
Und zwar?
Höhne: Erstens: Im neuen EU-Klimaziel werden wieder CO2-Zertifikate von außerhalb der EU zugelassen. Diese Öffnung war überhaupt nur möglich, weil sie schon im deutschen Koalitionsvertrag verankert war. Ohne diesen Passus hätte es die Debatte gar nicht gegeben – und jetzt sind es statt der vorgesehenen drei sogar fünf Prozent. Das schwächt das Ziel.
Zweitens: Deutschland hat sich klar gegen das Verbrenner-Aus gestellt – und gegen beschlossene Strafen für Autokonzerne. Das geht direkt gegen bereits entschiedene Maßnahmen.
Drittens: Beim Emissionshandel hat die Bundesregierung auf „Behutsamkeit“ gedrängt. Der CO2-Preis sollte nicht zu schnell steigen – und das System wurde jetzt um ein Jahr verschoben. Auch das ist kein Zeichen von Führung.
Und viertens: Deutschland hätte sich bei den EU-Verhandlungen für eine schnellere Entscheidung zum Klimaziel einsetzen können. Stattdessen hat man zugelassen, dass das Thema bis zur letzten Minute vertagt wurde. Das sind vier Fälle, in denen Deutschland sein Gewicht genutzt hat, um die EU zu verlangsamen – und mir fällt kein einziges Beispiel ein, wo Deutschland versucht hätte, den Prozess zu beschleunigen.
In diesem Jahr kommen die Staaten bei der UN-Klimakonferenz in Belém zusammen, um über den weltweiten Kampf gegen die Klimakrise zu diskutieren.
FOCUS online Earth berichtet für Sie über die COP30: Alle wichtigen Entwicklungen, Hintergründe und aktuellen Updates können Sie hier im Ticker nachverfolgen.
„Noch genießen wir die Rolle des Klima-Vorreiters“
Gibt es auch positive Seiten? Mit welchem „Koffer“ an guten Nachrichten reist Europa – und Deutschland – zur COP30?
Höhne: Ja, absolut. Trotz der Rückschritte bleibt das Gesamtklimaschutzpaket der EU weltweit eines der stärksten. Kein anderes Land oder Staatenverbund vergleichbarer Größe hat ein so umfassendes Programm. Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet voran, die Emissionen sinken, und die EU wird ihr 2030-Ziel wahrscheinlich erreichen.
Darüber hinaus leistet Europa – und damit auch Deutschland – einen wichtigen Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit. Gerade jetzt, wo die USA sich teilweise zurückziehen, ist die EU ein entscheidender Partner für Klimafinanzierung und Kooperationen mit Schwellenländern. Das ist der Bereich, in dem Europa wirklich führt.
Natürlich müsste all das noch viel ambitionierter sein, aber man kann festhalten: Das Fundament stimmt. Nur bei den jüngsten politischen Entscheidungen – wie dem Aufweichen der Ziele – ist die Richtung falsch.
Während die USA aussteigen und teilweise blockieren, scheint China zumindest weiterzumachen. Wie bewerten Sie Pekings Rolle?
Höhne: China zeigt weiterhin Engagement. Präsident Xi Jinping hat persönlich neue Klimaziele verkündet und Klimaschutz im Fünfjahresplan verankert. Das Land hat ein starkes ökonomisches Interesse am Klimaschutz – schlicht, weil es Weltmarktführer bei zentralen Technologien ist. Natürlich wird sich zeigen müssen, wie eng China und die EU künftig kooperieren. Aber China setzt auf Kooperation, nicht auf Konfrontation.
Und wie blickt der Rest der Welt auf Europa? Ist die EU immer noch der Taktgeber in Sachen Klimaschutz?
Höhne: Grundsätzlich ja. Deutschland und die EU genießen nach wie vor das Image des Vorreiters. Viele Länder vertrauen darauf, dass Europa diese Rolle ausfüllt. Aber Vorreiter sein heißt, zuhause schneller voranzukommen, mehr zu investieren und internationale Kooperationen auszubauen. Genau da hapert es derzeit – vor allem angesichts der schwierigen Haushaltslage.
„Ohne klare Führung versandet die COP in Detailstreits“
Was erwarten Sie konkret von der EU auf der COP30?
Höhne: Europa muss als Katalysator wirken – also andere Länder zusammenbringen, Kompromisse ermöglichen, Fortschritte erzwingen. Die Verhandlungen sind kompliziert, weil sie Einstimmigkeit verlangen. Störende Staaten konnten früher oft von den USA gebremst werden. Diese Rolle muss jetzt Europa übernehmen. Ohne klare Führung droht die COP30 in Detailstreit zu versanden.
Welche Themen stehen dabei besonders im Fokus?
Höhne: Neben der Finanzierung und Anpassungsindikatoren geht es um Kohlenstoffmärkte nach Artikel 6. Aber wichtiger als einzelne Punkte ist das Gesamtbild: Die EU muss zeigen, dass multilaterale Zusammenarbeit funktioniert – dass Fortschritt möglich bleibt, auch wenn es zäh ist.
In Dubai sorgte der „Loss and Damage“-Fonds für Aufsehen. Wird es in Belém ähnlich große Momente geben?
Höhne: Wahrscheinlich nicht. Große Durchbrüche entstehen fast immer dann, wenn Fristen gesetzt sind – wie beim Finanzierungsziel im vergangenen Jahr. Eine solche Frist gibt es diesmal nicht. Der „Tropical Forest Fund“ könnte ein Schritt sein, aber kein Paukenschlag.
Und was wäre für Sie dennoch ein Erfolg?
Höhne: Wenn die internationale Gemeinschaft ein starkes Signal setzt: Multilateralismus funktioniert. Wir halten an gemeinsamen Regeln fest, wir wissen, dass wir zu langsam sind – und wir arbeiten jedes Jahr daran, besser zu werden. Das wäre das Mindeste.
Wenn zusätzlich Fortschritte bei der Finanzierung oder konkrete Projekte wie der Tropical Forest Fund beschlossen werden, wäre das ein wichtiges Zeichen der Handlungsfähigkeit.
Herr Höhne, vielen Dank für das Gespräch.