Brustkrebs-Patientin Kristin: "Hätte ich auf meine Ärztin gehört, wäre ich tot"

FOCUS online: Frau Arp, Sie haben 2021 die Diagnose Brustkrebs erhalten. Wie haben Sie den Tumor entdeckt und wie alt waren Sie damals?

Arp: Ich war 42 und hatte selbst etwas getastet. Eigentlich auf der linken Seite, doch der Tumor saß dann rechts. Ich ging zu meiner Gynäkologin, die erst eher zurückhaltend war. Beim Rausgehen sagte sie dann aber: „Ja, da ist etwas.“ Daraufhin bin ich fast kollabiert und fragte sie, was jetzt passiert, wann wir uns wiedersehen.

Sechs Monate, hieß es. Wie haben Sie reagiert?

Arp: Mir war sofort klar, dass ich so lange nicht warten würde und überwies mich selbst in die Mammadiagnostik. Die Radiologin dort hat mir dann das Leben gerettet. Sie sagte: „Das könnte tatsächlich etwas sein. Bitte in drei Monaten wiederkommen.“ Als wir uns zum zweiten Mal sahen, war der Tumor schon einen Zentimeter groß.

Und wie aggressiv?

Arp: Unglaublich aggressiv und schnell wachsend. Drei Wochen nach der Diagnose, direkt vor dem Beginn der Chemo, habe ich deshalb auf eigene Initiative noch einmal einen Ultraschall machen lassen. Ich dachte: Wenn er so schnell wächst, passiert vielleicht gerade noch mehr.

Und?

Arp: Der Tumor hatte sich in drei Wochen auf zwei Zentimeter verdoppelt. Ab dieser Größe steigt das Risiko für Metastasen deutlich. Da wusste ich: Es geht hier jetzt um alles.

Dr. Kristin Arp ist Zahnärztin und erkrankte 2021 an bösartigem Brustkrebs. Seither setzt sie sich für mehr Aufklärung,Vorsorge und Frauengesundheit ein, unter anderem als Speakerin und auf Instagram. Ihrem Account „doktorarp“ folgen mehr als 70.000 Menschen. Arp lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Trotzdem war der Tumor bis zuletzt nur auf dem Ultraschall sichtbar, richtig?

Arp: Genau. Der Tumor war nie tastbar, weil er gut versteckt in einem Milchkanal saß.

Hätten Sie auf Ihre Gynäkologin gehört, hätte das fatale Konsequenzen bedeuten können.

Arp: Dann wäre ich heute tot. Ein halbes Jahr später hätte ich keine Chance mehr gehabt. Selbst wenn ich nur einen Monat länger gewartet hätte, hätte das vermutlich metastasierten Krebs bedeutet.

Gab es bei Ihnen Risikofaktoren?

Arp: Nein. Ich lebe gesund, rauche nicht, trinke wenig und selten Alkohol. In meiner Familie gab es nie Krebs. Mein Stammbaum reicht bis 1460 zurück, alle sind steinalt geworden.

Inzwischen trifft Brustkrebs etwa jede achte Frau, das Risiko steigt mit dem Alter. 

Arp: Und genau deshalb ist meine Geschichte kein Einzelfall und Früherkennung so, so wichtig. Als ich in die Chemo-Station kam und dort all die jungen Frauen sah, war ich geschockt. Zuerst dachte ich, das sei Zufall, aber in den 20 Wochen meiner Chemo wiederholte sich Woche für Woche dasselbe Bild: junge Frauen, die angeblich viel zu jung für Brustkrebs waren und gerade erst ihre Diagnose bekommen hatten. Als Ärztin hat mich das noch einmal mehr erschüttert. Ich habe einfach gesehen, wie jung sie waren, und das hat mir wirklich Angst gemacht.

Seitdem engagieren Sie sich für mehr Vorsorge und klären über Brustkrebs auf. Dabei war Vorsorge für Sie privat schon vorher ein Thema. Warum eigentlich?

Arp: Als Zahnärztin weiß ich, wie wichtig regelmäßige Kontrollen sind. Ich sehe täglich, wie Menschen Dinge aufschieben, bis es weh tut, und dann ist es oft einfach schon zu spät. Das wollte ich für mich nie riskieren, außerdem bin ich grundsätzlich Perfektionistin. Deshalb bin ich schon mit Mitte 30 regelmäßig als Selbstzahlerin zum Ultraschall gegangen. Die Erfahrungen auf der Chemo-Station haben mir dann noch einmal klar gemacht, wie wichtig Vorsorge ist.

Die Krankenkassen empfehlen einen Brustultraschall als Ergänzung zur Mammographie erst ab 50 alle zwei Jahre.

Arp: Ja. Das Problem ist, dass diese Empfehlungen auf statistischen Wahrscheinlichkeiten beruhen und Einzelfälle außen vor lassen. Hätte ich mich nur daran gehalten, wäre mein Tumor nie mehr rechtzeitig entdeckt worden. Fast alle Frauen, die ich während meiner Chemo kennengelernt habe, haben ihren Tumor selbst getastet. Fast alle wurden von ihren Gynäkologen zunächst als „zu jung für Krebs“ abgetan.

Werfen Sie das den Kassen vor? Sind ihre Empfehlungen zu lax?

Arp: Mir ist klar, dass sie Kosten-Nutzen-Abwägungen machen müssen. Aber das Recht, den eigenen Körper ernst zu nehmen und nachzuhaken, darf niemandem abgesprochen werden. Wer eine Auffälligkeit bemerkt, darf nicht abgewimmelt werden egal wie alt man ist.

Auf die Diagnose folgte eine Chemo, die Sie als „brutal“ beschreiben. Was war am schlimmsten?

Arp: Die Eispacks, die man währenddessen stundenlang auf den Händen und Füßen haben muss. Die Kälte schützt die Nerven vor den Chemo-Medikamenten. Man kann sich das in etwa so vorstellen, als säße man stundenlang im Schnee, ohne sich zu bewegen. Ich konnte weder lesen noch Musik hören, da habe ich die Frauen interviewt und erfahren, wie sie erkrankten. Die Chemo war nicht nur körperlich, sondern auch mental extrem anstrengend.

Dennoch haben Sie weiter als Zahnärztin gearbeitet. Wie ging das?

Arp: Ich hatte eine Praxis zu führen, Mitarbeitende, Patientinnen und Patienten, und habe in den ganzen 20 Wochen tatsächlich nur einen Tag gefehlt. Ich habe versucht, mir die Normalität zu erhalten. Das hat mir mental sehr geholfen. Gleichzeitig habe ich aber auch während der Chemo Umfragen unter den anderen Patientinnen gestartet: Alter, Tumorerkennung, Risikofaktoren. Es ging mir nicht nur um mich, sondern auch um Erkenntnisse. Ich konnte nicht nur rumsitzen und nichts tun.

Inzwischen sind Sie wieder gesund, halten Vorträge in Unternehmen und auf Veranstaltungen und klären auf Social Media auf. Was wünschen Sie sich, dass Menschen nach diesem Interview sofort tun?

Arp: Ab sofort einmal im Monat die Brust abtasten. Am besten an einem festen Tag, den man sich leicht merken kann, zum Beispiel den ersten Montag im Monat. Zwei Minuten, von der Achsel bis zum Schlüsselbein, im Spiegel auf Veränderungen achten. Und ich empfehle zusätzlich alle sechs Monate zum Ultraschall zu gehen. Das darf man sich ruhig zutrauen und einfordern.

Viele Ärztinnen und Ärzte halten das für übertrieben.

Arp: Mag sein. Aber Sie kennen Ihren Körper am besten! Lassen Sie sich nicht abwimmeln, verlassen Sie sich nicht nur auf Leitlinien und haben Sie vor allem keine Angst, nachzufragen. Ich wünsche mir, dass Frauen darin bestärkt werden und Ärztinnen und Ärzte sie ernst nehmen. Dass Vorsorge normal wird. Dass niemand belächelt wird, wenn er sagt: „Ich gehe lieber einmal mehr zum Ultraschall.“

Seit der Diagnose sind vier Jahre vergangen. Würden Sie sagen, Sie haben die Krankheit überstanden?

Arp: Medizinisch ja. Aber sie ist noch immer Teil meines Alltags. Bei jedem Ziehen in der Brust denke ich daran, gehe regelmäßig zur Kontrolle. Und ich spreche viel darüber, weil ich glaube, dass Schweigen gefährlicher ist als Angst. Ich sehe, wie viele Frauen kaum etwas wissen. Wie oft mir Patientinnen sagen: „Ultraschall mache ich erst ab 50, das ist ja so vorgeschrieben.“ Und ich denke mir: Nein! Brustkrebs kennt keine Altersgrenze. Was mir dabei wichtig ist: Es geht nicht darum, panisch zu werden oder zum Hypochonder zu mutieren, sondern um Aufmerksamkeit und Wissen über den eigenen Körper und darum, die Signale ernst zu nehmen.