Tesla-Fahrer werden ihn hassen - Elektro-SUV aus der Türkei im ersten Test

Als der erste Togg 2022 auf der CES in Las Vegas gezeigt wurde, war schon das ein Statement: Ein Auto, das ist heute kein reines Fortbewegungsmittel mehr, es ist ein "Smart Device". Genau so begrüßt einen das in der Türkei produzierte Elektro-SUV auch, nachdem man seinen sechsstelligen Code in die virtuelle Tastatur getippt hat: "Willkommen in ihrem Smart Device". Bis 2030 will das Togg-Konsortium eine Million Fahrzeuge gebaut haben. Als "Erdogans Tiguan" oder "türkischer Tesla" wurde das SUV gern bezeichnet. Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus. Der T10X hat weder mit einem Tiguan noch mit einem Tesla viel zu tun. FOCUS online hat das SUV in der Praxis getestet.

Karosserie und Innenraum

Die Optik des 4,6 Meter langen SUV ist eher unspektakulär, aber gefällig. Die Front wirkt mit den breiten Lamellen des "Kühlergrills" ziemlich wuchtig, während das Heck mit den schmalen Rückleuchten die Schokoladenseite des Designs ist. Auffällig ist die hohe Hüftlinie des Wagens, so dass die Fensterflächen relativ klein ausfallen. Das elegant-einfache Togg-Logo symbolisiert zwei Pfeile beziehungsweise Hände, die sich treffen und damit die Verbindung zwischen westlicher und östlicher Kultur darstellen sollen.

Das Platzangebot ist gut, unterstützt durch die kurzen Überhänge und den langen Radstand des SUV. Man sitzt auch auf der Rückbank des mit weißen Kunstleder-Sesseln bestückten Wagens bequem und der Kofferraum mit seiner elektrischen Heckklappe fasst 441 bis maximal 1515 Liter. So weit, so normal für ein Mittelklasse-SUV. Einen Frunk (Front-Kofferraum) hat der Wagen nicht, dafür aber ein großes Fach unter dem Laderaumboden. Zwei Becherhalter, ein relatives kleines Staufach in der Mittelkonsole und ein Fach zum drahtlosen Laden des Smartphones runden das Bild ab. Alle Sitze sind beheizbar.

Das Ambiente des Togg ist ebenso schick wie gemütlich. Helles Leder, riesige Displays und sauber eingepasste, aber - ganz im Gegensatz zu VW - nicht im Übermaß eingesetzte Kunststoff-Flächen fügen sich zu einem ansehnlichen, hochwertig wirkenden Wohnzimmer zusammen. Ein paar Ausreißer gibt es allerdings: So ist der Tempomat-Hebel arg spartanisch und komplett unbeleuchtet und der Autoschlüssel mit seiner Plastik-Hülle so simpel, dass man im Dunkeln nicht einmal erkennen kann, welcher Knopf nun fürs Öffnen und welcher fürs Schließen zuständig ist. Dafür sparen sich die Türken den neumodischen und gefährlichen Quatsch mit versenkten Türgriffen, sondern haben ganz normale Griffe, inklusive Not-Zugang für einen mechanischen Schlüssel. Offenbar haben bei Togg die Ingenieure den Designern auch mal auf die Finger geklopft, wenn die wieder ihren Kopf in den Wolken hatten.

Gewöhnungsbedürftig ist, dass einige Basisfunktionen wie die Einstellung der Außenspiegel ebenfalls nur per Touchscreen funktionieren - hier haben die Türken demnach auf Tesla geschielt. Die fürs E-Auto essenzielle Rekuperation dagegen findet man ganz versteckt an Schaltern vor der Mittelkonsole, mit denen man die Rekuperations-Stärke einstellt. Hier wären die von anderen Herstellern bekannten Schaltwippen am Lenkrad besser gewesen.

Togg Elektro SUV - Das Cockpit hat ein riesiges "End-to-End"-Display
Togg Elektro SUV. Viehmann

Bedienung und Infotainment

Bis hierhin ist der Togg eigentlich ein ganz normales Elektro-SUV, das sich eher wenig von einem VW, Hyundai oder BYD unterscheidet. Doch jetzt kommt's: Es gibt kaum ein aktuelles Fahrzeug, dass derart auf digitale Bedienung und Spielereien setzt wie der Togg T10X. Die türkischen Entwickler machen es aber ganz anders als Elektro-Pionier Elon Musk.

  • Tesla hat eine Philosophie des Entschlackens. Möglichst gar keine Knöpfe mehr und nur ein XXL-Display, über das alles geregelt wird. Das macht Tesla-Cockpits extrem clean, aber auch irgendwie billig - und bei der Bedienung muss man manchmal masochistisch veranlagt sein.
  • Togg setzt dagegen auf einen digitalen Überfluss an Screens, Funktionen und Informationen. Allein auf dem Fahrer-Display vor dem Lenkrad lassen sich 15 verschiedene Informationen ablesen. Und das ist nur eins der sechs Screen-Segmente, die auf dem "End-to-End"-Display des Togg eingespielt werden. Das "End-to-End" kann man dabei wörtlich nehmen, denn der Bildschirm reicht wirklich von Tür zu Tür.
Togg Elektro SUV
Togg Elektro SUV Viehmann

Tatsächlich dauert es einige Tage, bis man die Logik des Togg-Infotainmentsystems verstanden hat und auch beherrscht. So funktioniert das Ganze:

  • Man loggt sich in sein persönliches Profil ein, wie beim Smartphone geht das mit einem Zahlencode. Es gibt auch ein "Gast"-Profil ohne Codeeingabe. Die Idee: Das Auto soll mit anderen Nutzern geteilt werden können.
  • Ein kleiner Monitor unter dem Haupt-Screen steuert ein paar zentrale Funktionen wie die Klimaanlage, dient aber auch als "Zuweisungs-Monitor", mit dem man die großen Screen-Segmente befüllt.
  • So kann man per Drag and Drop wie beim Smartphone die anderen Bildschirme bestücken - mit Navigation, Radio/Infotainment, einer Kamera-Überwachung des Innenraums, Fahrdaten, dem eigenen App-Portal von Togg ("Trumore") oder einem YouTube-Fenster.
Togg Elektro SUV
Togg Elektro SUV - YouTube-Schauen geht für den Beifahrer auch während der Fahrt Viehmann

Moment mal, werden einige sagen: YouTube-Vidoes schauen während der Fahrt? War da nicht was mit Ablenkung am Steuer? Jein! Zwar kann man kaum behaupten, dass die ganze Fülle an Screens und Funktionen im Togg T10X nicht ein erhebliches Ablenkungs-Potenzial haben. Doch der YouTube-Trick funktioniert ähnlich, wie Mercedes das beim EQE/EQS löst: Der Fahrer wird permanent mit einem Kamera-Auge auf dem Armaturenbrett überwacht. Wenn das YouTube-Fenster aktiv ist und der Fahrer darauf schaut, erkennt das die Kamera und schaltet den Bildschirm schwarz. Neben normalen Diensten wie Navigation oder Musikstreaming werden diverse Dienste über das Portal "Trumore" angeboten. Wie in vielen anderen Autos auch bedeutet das, dass der Wagen permanent mit dem Internet verbunden ist. Andere Hersteller integrieren stattdessen Google in ihre Autos.

YouTube-Schauen während der Fahrt: Check!

Die Sorge, dass das alles ziemlich überkomplex ist, ist absolut berechtigt. Die Funktionsvielfalt erschlägt einen neuen Togg-Nutzer tatsächlich und man fühlt sich wie nach einem umfangreichen Betriebssystem-Update seines Computers: Überall neue Schaltflächen und Funktionen, die man sich erst einmal erschließen muss. Manchmal dauert es auch sehr lange, bis das Navigationsmodul startet oder das gekoppelte Smartphone erkannt wird. Kleiner Trost: Wenn man es eilig hat, kann man einfach den Starknopf drücken, den Fahrtstufenschalter auf D ziehen und losfahren, während sich im Hintergrund der digitale Kosmos des Togg erst noch sortiert. Einzige Bedingung: Man muss angeschnallt sein, sonst halten die Bremsen den Wagen eisern fest.

Motor, Antrieb und Verbrauch

Beim Antrieb bietet der Togg T10X den elektrischen Standard in dieser Klasse. Der Elektromotor entwickelt eine maximale Leistung von 160 kW / 218 PS, die auf die Hinterräder übertragen werden - ein Allrad-Modell mit mehr Power kommt erst später. Es gibt zwei Akku-Größen, einmal 52,4 kWh und das von uns getestete Modell mit 88,5 kWh. 

Die Fahrleistungen sind ebenfalls Klassen-Standard, in 7,4 Sekunden geht es von 0 auf 100 km/h und maximal sind 185 km/h drin. Durch den Antrieb mit Heck ist die Traktion ziemlich gut und es gibt keine Antriebseinflüsse in der Lenkung. Die 2,1 Tonnen Leergewicht in einem mittelgroßen SUV könnten allerdings durchaus Allradantrieb vertragen.

Bei der Reichweite bietet der Togg nur Hausmannskost. Von den versprochenen 487 Kilometern bleiben in der Praxis 350 bis maximal 400 übrig, sofern man nicht vorwiegend im Strom-sparenden Stadtverkehr unterwegs ist. Schon der offizielle Durchschnittsverbrauch ist mit 19,5 kWh / 100 km nicht doll und in der Praxis sind es meistens deutlich mehr als 20 Kilowattstunden. Lustiges Detail: Im Display wird nicht nur die tatsächliche Reichweite angezeigt, sondern auch die offizielle nach WLTP-Standard. Vielleicht damit man sieht, wie realitätsfern der Mess-Standard der EU bei Elektroautos ist.

Togg Elektro SUV.
Togg Elektro SUV. Viehmann

Die Ladeleistung liegt bei 22 kW am Wechselstromlader (Wallbox) und bei maximal 180 kW an der Gleichstrom-Schnelladesäule. Bei der ersten Vorstellung des Togg vor rund drei Jahren war das viel, heute eher normal - die E-Mobilität allgemein und der viel zitierte "China Speed" im Besonderen haben dafür gesorgt, dass Bestmarken nicht lange Bestand haben.

Fahrwerk und Fahrverhalten

Obwohl der Togg ziemlich schwer ist, merkt man das Gewicht eher selten. Das Fahrwerk hat einen langen Federweg und ist sehr komfortabel, nur bei großen Bodenwellen schaukelt sich der Wagen leicht auf. Die Lenkung ist leichtgängig, etwas synthetisch. Zu einem auf Komfort ausgelegten Elektrofahrzeug passt das aber sehr gut. Clevere Idee: Wer den Tempomat-Hebel nach hinten und unten zieht, stellt damit die nervige Tempo-Warnung aus, mit zwei Klicks im Menü killt man auch den Spurwechselwarner - beides Systeme, die viele Premium-Autos ohnehin an Bord haben, seit 2022 aber durch Vorgaben der EU alternativlos sind.

Preise und Ausstattung

Das Basismodell (V1E Standard Range) mit kleinem Akku beginnt bei 34.295 Euro, ist aber erst 2026 zu haben. Die ohnehin empfehlenswertere Version mit großem Akku gibt es schon jetzt und kostet ab 46.190 Euro. Aufpreise: Nicht nötig, denn es ist alles an Bord. Für den deutschen Markt haben die Türken noch das Winterpaket inklusive Lenkradheizung und das Panorama-Glasdach draufgepackt, außerdem ein Meridian-Soundsystem. Quasi ein Auto, das in der Realität genauso daherkommt wie im Hochglanz-Prospekt (was man sich bei VW, BMW und Co. auch mal wünschen würde). Die Allrad-Variante V2 AWD mit satten 320 kW / 435 PS startet erst im nächsten Jahr, Preise sind noch nicht bekannt.

Togg
Togg Elektro SUV Viehmann

Fazit

Gürcan Karakas, Chef von Togg, erst Maschinenbauer und dann später Manager bei Bosch, soll sich darüber geärgert haben, dass bei Bosch neue Entwicklungen und Entscheidungen so zäh und bürokratisch vorangehen. Jetzt will er die Türkei vom reinen Standort-Faktor mit Autofabriken zur Autonation mit einer eigenen Marke machen.

Das Beeindruckende am Togg ist weniger die Technik - die ist abgesehen vom Digital-Kosmos eher Klassen-üblich - sondern dass es dem Firmen-Konsortium aus der Türkei gelungen ist, schon beim allerersten Anlauf ein konkurrenzfähiges Fahrzeug auf die Räder zu stellen. Das geht in der Welt der E-Mobilität natürlich etwas leichter als beim Verbrenner. Doch wenn man sich anschaut, mit welchen üblen Kisten Chinas Autobauer mal angefangen haben und wie lange sie brauchten, um so gut zu werden wie einige ihrer Marken heute, muss man der türkischen Autoindustrie und dem Togg schon Respekt zollen. 

Der Togg T10X hat noch ein paar Mankos, vor allem den enttäuschend hohen Verbrauch und die manchmal überkomplexe Bedienung. Da lässt sich aber wahrscheinlich vieles per Software-Update und neue Apps optimieren und die Basics - Platzangebot, Komfort, Ausstattung, Fahren, Laden, Verarbeitungseindruck - stimmen alle. Der Preis ist konkurrenzfähig. Und wer nicht auf SUV steht: Auf der IAA wurde schon das nächste Togg-Modell gezeigt, die Limousine T10F.

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Tesla auf Türkisch - neue Elektro-Limousine von Togg auf der IAA 2025 Viehmann

Plus und Minus Togg T10X

Pluspunkte

  • Hoher Fahrkomfort
  • Sehr gute Ausstattung
  • Extrem viele Infotainment- und App-Funktionen
  • Gute Verarbeitung
  • Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis

 

Minuspunkte

  • Reichweite nur mäßig
  • Komplexe Bedienung
  • Verbindungsaufbau dauert teilweise zu lange

Technische Daten Togg T10X

  • Motor: E-Motor
  • Leistung: max. 160 kW / 218 PS
  • Höchstgeschwindigkeit: 185 km/h (abgeregelt)
  • Beschleunigung 0 – 100 km/h: 7,4 Sekunden
  • Antrieb: Heckantrieb (Allrad optional)
  • Leergewicht: 2126 kg
  • Normverbrauch: 19,5 kWh / 100 km
  • Reichweite (Herstellerangabe): max. 523 km
  • Reichweite (im FOCUS online-Test): 350 - 400 km
  • Preis: ab 46.190 Euro