Mit einem tragischem Satz bringt Merz seine eigene Politik in Misskredit

In offensichtlich schönster Regelmäßigkeit fallen Friedrich Merz, wenn er laut nachdenkt über Migration, Sprachbilder ein, die für seine Gegner wie ein Elfmeter ohne Torwart sind.

An den „Paschas“, die zunehmend als Kinder die Schulen bevölkern, war vielleicht nicht alles falsch, aber mindestens ebenso wenig war alles richtig. So war es auch mit dem „Sozialtourismus“, den Merz ukrainischen Kriegsflüchtlingen nachsagte.

Und nun das „Stadtbild“.

Als Merz dies sagte, stand der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke neben ihm. Und nickte. Zaghaft, aber sichtbar. Woidke ist Sozialdemokrat.

Dröge spricht Merz den Anstand ab

An diesem Donnerstag machten Grüne und Linke aus dem Merz-Satz im Bundestag eine Waffe gegen ihn. Katherina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen, sprach dem CDU-Vorsitzenden den „Anstand“ ab, womit sie seine Kanzlerqualifikation anzweifelte: „Entschuldigen Sie sich!“

Dröges Linken-Kollege Sören Pellmann befand, der Kanzlerhabe „einen Stachel in die Demokratie" gesetzt. Der Grüne Sven Giegold, weiland Staatssekretär bei Robert Habeck, urteilte, „wir haben einen CDU-Bundeskanzler, der das ‚Problem mit dem Stadtbild‘ durch Massenabschiebungen lösen will".

Und Erik Marquardt, Euroabgeordneter der Grünen und einer ihrer führenden Migrationspolitiker vom linken Flügel, sagte, Menschen anderer Hautfarbe als „Problem im Stadtbild“ zu bezeichnen, sei „schlicht Rassismus“.

Der inkriminierte Satz von Merz hat einen wahren Kern, aber es ist auch ein schlechter Satz. Jedenfalls findet man das augenscheinlich in seinem eigenen Team. Das Presseamt strich ihn aus dem Protokoll des Kanzlertreffens mit Woidke einfach heraus. Und Regierungssprecher Kornelius sagte, Merz habe sich als Parteichef geäußert.

Die Kanzler-Leute relativieren die Kanzler-Worte

Wobei den Menschen ziemlich gleichgültig sein dürfte, in welcher Eigenschaft Merz sich äußerte: ob als Kanzler, als Parteivorsitzender, als älterer weißer Mann oder als Sauerländer von Geburt.

Während die eigene Regierungsbehörde auf diese Weise zu relativieren versuchte, was sich kaum relativieren lässt, unternahm im Bundestag Jens Spahn  (CDU) einen Versuch, dem Kanzler beizuspringen. An deutschen Bahnhöfen etwa seien doch die Folgen der irregulären Migration zu sehen – „und natürlich beschäftigt das die Menschen“.

Nun hat Deutschland tatsächlich ein Problem mit den Folgen der Migration. Was sich etwa an der Polizeilichen Kriminalstatistik ablesen lässt, die eine drastische Über-Repräsentanz von Migranten etwa aus nordafrikanischen Ländern bei Gewaltverbrechen dokumentiert.

Politisch sind die Folgen der Migration so deutlich sichtbar wie kaum je zuvor – an der Rekord-Zustimmung für die AfD, die nahezu jedes Thema auf die Migration zurückführt und dafür ihren Hauptfeind verantwortlich macht: die Union.

Und ebenso unstreitig haben sich die Städte verändert, ebenso wie die Schulen. In den Innenstädten im Ruhrgebiet sind Deutsche, die so aussehen, wie vor 30 Jahren nur Deutsche aussahen, inzwischen in der Minderheit, vor allem nach Beginn der Dämmerung.

Und dennoch ist es einfach granatenfalsch, das sich ausbreitende Gefühl, immer fremder zu sein im eigenen Land, an der Hautfarbe festzumachen. Allein deshalb, weil dieses Gefühl längst Einwanderer selbst beschleicht. Die AfD-Anteile wachsen in diesen Kreisen, die Rechten wissen genau, weshalb sie diese Gruppe umwerben.

Und Cihan Celik fragt: "Störe ich Sie auch, Herr Merz?"

Wer als Einwanderer in Deutschland lebt, und das seit langem, kann sich nun von Merz diskriminiert fühlen. Wie der Darmstädter Lungenfacharzt Cihan Celik: „Wie soll man das anders verstehen, als dass der Bundeskanzler nach Aussehen und Ethnie entscheidet, wer dazugehört und wer im Stadtbild stört?“

Was Celik sagte, stimmt. Und nachvollziehbar ist seine bittere Frage: „Störe ich Sie auch, Herr Merz?“

So geht es wohl vielen derjenigen, die, voll integriert und mit anständigen Jobs ausgestattet, die sie sich hier erarbeitet haben, oft genug beachtliche Karrieren sind dabei, mit dem Satz von Merz.

Denn wohl kaum ein Einwanderer oder ein Nachkomme von Einwanderern kennt nicht das Gefühl, es letztlich niemandem recht machen zu können: 

Nicht der Herkunfts-Community, der man sich per Integration in Deutschland entfremdet hat.

Nicht der neuen Heimat, die einen oft genug noch wissen lässt, dass man so richtig nicht dazugehört – deutscher Pass hin oder her.

Die Sache ist eben komplex, sie entzieht sich einfachen Sätzen – wie jener von Merz einer ist.

Der liberale Moslem und Rechtsanwalt Emrah Erken, postete ein Innenstadt-Video von Brüssel, das mehr an eine Aufnahme aus einem orientalischen Suk erinnert – mit diesem Text: „Für die zahlreichen Linken, die sich über die Aussage von Merz empören, ist es schlicht unvorstellbar, dass es im Westen Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die ihren Lebensmittelpunkt in den Westen verlegt haben, weil sie ein solches Stadtbild nicht wollen, die westliche Kultur und Lebensweise lieben und den Scharia-Lifestyle ablehnen.“

"Unsere Städte werden ihr Gesicht verändern"

Damit sind Migranten gemeint, die aus muslimisch geprägten Staaten stammen. Zum Beispiel Yesiden aus dem Irak – die einst vor den Islamisten wegliefen und nun miterleben müssen, wie es in Deutschland immer mehr davon gibt. Die auch noch lautstark nach einem Kalifat rufen und denen die deutsche Polizei eher egal ist.

Der Merz-Satz ist also ein schlechter Satz. Weil er die Realität auf nur eine Dimension verzerrt. Und im übrigen die eigene Politik in Misskredit bringt:

Selbst wenn Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) es schafft, unter Mithilfe der Taliban abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abzuschieben, wird dies das „Stadtbild“ kaum ändern. Und eine durchgreifende Asyl-Abschreckungspolitik ist definitiv nicht in Sicht, auch und gerade nicht auf europäischer Ebene. Sonst müsste Merz nicht ankündigen, „nachschärfen“ zu wollen.

Die Folgen der weitgehend unkontrollierten Migration werden kaum zu korrigieren sein. Es gibt Momente, in denen geben es Spitzenpolitiker der Union auch zu. Vom CSU-Europapolitiker Manfred Weber stammt dieser Satz: „Unsere Städte werden ihr Gesicht verändern, das müssen wir den Menschen ehrlich sagen.“

Damit allerdings ist es möglicherweise nicht getan. Dass Deutschland anders geworden ist, besser kaum, wissen die meisten Menschen auch so. Sie wissen auch, wer dafür gesorgt hat, denn es waren politische Entscheidungen.

Sie wissen auch, dass die Entscheidung, Deutschland „bunter“ zu machen, auf die Ideen der Grünen zurückgeht, die viele Jahre en vogue waren, auch bei „Schwarzen“, Angela Merkel voran.

Deshalb hat es auch etwas Bigottes, wenn sich nun gerade die Grünen bei Merz über dessen Stadtbild-Satz beschweren. Sie beklagen sich über den, der ihre Fehler korrigieren will.

Das ist das leicht Tragische am rhetorischen Fehltritt von Merz: Der Kanzler bringt – nicht zum ersten Mal – eine Politik in Misskredit, die sich die meisten Menschen gewünscht haben. Gerade von ihm.