Angela Merkels Interview mit einem ungarischen Portal schwingt auch noch Tage später nach. Jetzt sind Journalisten aus gleich mehreren Ländern sauer.
Vilnius - Ein Interview von Angela Merkel mit dem ungarischen Portal „Partizan“ hallt immer noch nach. Das Aushandeln des 2015 geschlossenen Friedensabkommens zur Beendigung der Kämpfe in der Ost-Ukraine sei zwar richtig gewesen, so Merkel. „Nur wir hatten dann in Corona eben keinerlei Möglichkeit mehr, uns mit Putin direkt auszutauschen, und das war sehr schlecht für die weitere Entwicklung“, erklärte die Ex-Kanzlerin.
„Unüberlegt und unsensibel“: Litauischer Rundfunk nach Merkel-Erklärung wütend
Der Plan für direkte EU-Gespräche mit Putin sei damals jedoch „von einigen nicht unterstützt“ worden. „Das waren vor allen Dingen die baltischen Staaten, aber auch Polen war dagegen, weil sie Angst hatten, dass wir keine gemeinsame Politik gegenüber Russland haben“, führte Merkel aus. Ihre Meinung sei gewesen, man müsse dann eben daran arbeiten, eine gemeinsame Politik zu entwickeln. „Auf jeden Fall ist es nicht zustande gekommen, und ja, dann bin ich aus dem Amt geschieden, und dann hat die Aggression Putins begonnen. Wir werden heute nicht mehr klären können, was gewesen wäre, wenn“, sagte Merkel.
Eine Deutschland-Korrespondentin des litauischen Rundfunks LRT meint am 15. Oktober, knapp eine Woche nach dem Interview: „Die deutschen Qualitätsmedien schlugen nicht den Boulevard-Ton der Bild-Zeitung an. Einige kritisierten die größte Tageszeitung, stellten aber auch fest, dass Merkels Worte unüberlegt und unsensibel gewählt waren und Raum für Interpretationen ließen. Daher sei die Empörung in Vilnius, Riga, Tallinn und Warschau verständlich. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin sich nicht sonderlich bemüht hat, den entstandenen internationalen Skandal zu entschärfen“. Auch der Außenminister Estlands, Margus Tsahkna, wies Merkels Aussagen scharf zurück und bezeichnete diese als „unverschämt“ und „falsch“.
„Allwissende Merkel, die nie ihre Schuld eingesteht“: Journalistin geht hart ins Gericht
Die LRT-Korrespondentin weiter: „Ihre Vertreter erklärten, dass Merkel im Grunde nichts Neues gesagt habe, und die Medien zwischen den Zeilen zu viel hineininterpretiert hätten. Auch bei den anschließenden Buchpräsentationen in ihrer Heimat versuchte sie nicht, sich zu erklären und die Beziehungen zu Polen und den Balten zu verbessern.“ Auch der Merkur-Chefredakteur hatte eine deutliche Meinung zu den Aussagen der Ex-Kanzlerin.
Und die Korrespondentin des litauischen Rundfunks ist mit ihrem Rundumschlag noch nicht am Ende: „Die ehemalige Kanzlerin bestätigte damit noch einmal das ihr anhaftende Etikett der ‚allwissenden Merkel, die nie ihre Schuld eingesteht‘. Mehr als einmal hatte die Politikerin Gelegenheit, sich Asche auf das Haupt zu streuen für die jahrelange kurzsichtige Politik Deutschlands gegenüber Russland, die eigennützigen und unterwürfigen Nordstream-Pipelines und das Ignorieren der Warnungen der Osteuropäer vor den Kriegen in Georgien und der Ukraine. Für Frau Merkel wäre es an der Zeit zu erkennen, dass zwischen ihr und den baltischen Staaten und Polen über viele Jahre hinweg nicht so sehr die Telefonleitung gestört war, sondern dass es eher viel zu selten den Versuch gab, zum Hörer zu greifen und mit anders denkenden, es aber dennoch wohlmeinenden Nachbarn zu sprechen.“
Auch die Letten und Esten sind sauer auf Ex-Kanzlerin Merkel: „Folgen waren katastrophal“
Die Letten schrieben kurz nach dem Interview: „Merkel war seit ihrem Ausscheiden aus der Politik nicht besonders gesprächig. Anfangs mag dies als Eingeständnis ihrer Fehler wahrgenommen worden sein – sowohl im Verhältnis zu Russland als auch in der Migrationspolitik, der sogenannten Politik der offenen Tür. In beiden Fällen waren die Folgen katastrophal – und zwar nicht nur für Deutschland. Doch die wenigen Male, an denen Merkel dann Interviews gab, wurde deutlich, dass sie nichts bereut und nicht einmal einräumt, womöglich etwas falsch gemacht zu haben. Von der Phase der Rechtfertigung ist sie nun zur nächsten übergegangen – der Schuldzuweisung an andere. Und als diese anderen entpuppten sich die baltischen Staaten und Polen.“
Beim estnischen Rundfunk wurden die Worte von Merkel am 8. Oktober wie folgt eingeordnet: „Russland war noch nie ein Partner, mit dem Dialog zum Frieden führt. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Verhandlungen dem Kreml nur als Mittel dienen, um seine Machtpositionen wiederherzustellen. Abkommen werden unter Druck akzeptiert und dienen strategisch allein nur dazu, Zeit zu gewinnen. Die Ukraine und Europa sind nicht deshalb in den Krieg hinein geraten, weil einige Länder sich weigerten, mit Putin zu sprechen – sondern weil zu viele noch glaubten, dass es sich lohne, mit Russland zu reden.“
Anfang Oktober hatte Angela Merkel den ungarischen Präsidenten Viktor Orban getroffen, wofür sich die Deutsche auch Kritik anhören musste, selbst eine Orban-Aussage brachte Bürger zum Schäumen. (dpa, AFP, eigene Recherche) (ank)