Mehrbelastung droht - Verband spricht von „Staatsversagen“ – Millionen Eigentümer warten auf Grundsteuer-Bescheid

Im kommenden Jahr greift die neue Grundsteuer, die für viele Hausbesitzer höhere Kosten bedeuten könnte. Eine aktuelle Auswertung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zeigt, dass rund 160 Kommunen ihre Hebesätze bereits erhöht haben. Laut dem Eigentümerverband Haus & Grund liegt die durchschnittliche Mehrbelastung bei etwa 1000 Euro. Verbandschef Kai Warnecke warnt im Gespräch mit der Funke-Mediengruppe: „Damit kommen wir aber zu Summen, die nicht wenige Eigentümer einfach nicht mehr bezahlen können.“

Besonders kritisch ist, dass noch immer Millionen Grundstückeigentümer auf ihren Steuerbescheid warten müssen. Obwohl die Reform bereits in weniger als 40 Tagen greift. Warnecke habe dafür kein Verständnis. „Das ist ungeheuerlich und ein echtes Staatsversagen.“ Insgesamt hatten Bund und Länder nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts etwa fünf Jahre Zeit, die notwendige Reform zur Grundsteuer umzusetzen und alle wichtigen Daten einzuholen. Wie der Experte betont, sind  drei Werte für die Berechnung der Grundsteuer wichtig: der Grundstückswert, die Grundsteuermesszahl und der Hebesatz. Für Hausbesitzer gilt:

  • Aus dem Grundsteuerwertbescheid ergibt sich der Grundstückwert.
  • Aus dem Grundsteuermessbescheid wiederum die Grundsteuermesszahl.
  • Den Hebesatz erfahren Sie mit dem finalen Steuerbescheid.

Darum haben Millionen Eigentümer noch keinen Steuerbescheid erhalten

Für die Verspätung macht Warnecke die Kommunen und Finanzbehörden verantwortlich. Rund die Hälfte der Kommunen und Gemeinden in Deutschland haben noch gar keinen Hebesatz festgelegt. Die Gemeinden und Kommunen legen die Hebesätze - besonders den Faktor Grundsteuer B - in der Regel selbst fest. Sie werten zunächst die bisherigen Werte der Finanzämter aus. Ursprünglich sollten diese Daten im Herbst feststehen.

„In 25 Prozent der Kommunen steigt der Hebesatz, in 16 Prozent sinkt er. In sieben Prozent bleibt er gleich“, sagt Warnecke und bezieht sich auf eine Umfrage seines Verbands. Ein weiteres Problem der Verspätung? Viele Finanzbehörden haben noch gar keinen Wertbescheid verschickt. Damit können einzelne Grundstückeigentümer gar nicht einschätzen, wie es um die neue Grundsteuer steht. Verschicken Kommunen den Steuerbescheid nicht rechtzeitig, bedeutet das: Eigentümer könnten dann zumindest bis zum 15. Januar noch den alten Grundsteuermessbetrag überweisen.

Im schlimmsten Fall droht dann eine Nachzahlung für den nächsten Abrechnungszeitraum , wenn die Grundsteuer entsprechend steigt.

Und Haushalte sollten sich auf erhebliche Schwankungen einstellen. Die Veränderungen sind zum Teil erheblich: Eigentümer können mit Anpassungen von minus 60 Prozent bis plus 550 Prozent konfrontiert werden. Die Folge? Rund drei Millionen Einsprüche sind bereits eingegangen.

Warnecke geht davon aus, dass Grundsteuer-Reform kippt

Der Eigentümerverband Haus & Grund, Verbraucherschützer und einzelne Eigentümer haben bereits Klage gegen die Grundsteuer-Reform eingereicht. Ein Urteil wird laut Warnecke innerhalb des kommenden Jahres erwartet. „Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs erwarten wir im ersten Quartal 2025. Danach hat vermutlich das Bundesverfassungsgericht das Wort.“ Sollte die Reform gekippt werden, müssten Bund und Länder einen Plan B griffbereit haben. Und das sei bisher nicht der Fall.

Nach bisherigem Stand laufen vier wichtige Klagen. Deren Urteile werden in den nächsten Wochen erwartet und können entscheidend für Millionen Eigentümer werden.

  • Am 4. Dezember 2024 verhandelt das Finanzgericht Berlin-Brandenburg die Klagen mit den Aktenzeichen 3 K 3142/23 und 3 K 3170/22. Im Verfahren 3 K 3142/23 erhalten die Kläger Unterstützung von der Vereinigung Haus & Grund sowie vom Bund der Steuerzahler. Beide Klagen richten sich gegen die Berechnung des Grundsteuerwertes nach dem sogenannten Bundesmodell, das nach Auffassung der Kläger auf verfassungswidrigen Bewertungsregeln basiert.
  • Im März 2023 sind beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz vier Klagen gegen das neue Grundsteuer- und Bewertungsrecht eingegangen. Die Kläger werfen den neuen Regelungen Verfassungswidrigkeit vor. Die Verfahren werden unter den Aktenzeichen 4 K 1189/23, 4 K 1190/23, 4 K 1217/23 und Az.4 K 1205/23 geführt. Das Gericht hat angekündigt, den Klagen aufgrund ihrer möglichen weitreichenden Auswirkungen eine hohe Priorität einzuräumen. Besonders brisant: Bei der Klage mit dem Aktenzeichen 4 K 1205/23 handelt es sich um eine sogenannte „Sprungklage“. Diese Art der Klage wird direkt beim Gericht eingereicht, ohne dass zuvor ein Verfahren beim Finanzamt durchlaufen wurde. Für die Zulässigkeit dieser Klage ist die Zustimmung des Finanzamtes erforderlich – ob diese erteilt wird, ist noch unklar.
  • Der Bundesfinanzhof hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bodenrichtwerte geäußert, die im Rahmen des neuen Grundsteuerrechts nach dem Bundesmodell maßgeblich in die Bewertung eingeflossen sind. Die Verfahren (Az. II B 78/23 und Az. II B 79/23) werden nun vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt.

Darum zählen langjährige Hausbesitzer zu den Verlierern der Reform

Bisher wurden Grundstücke nach einem Einheitswert besteuert. Doch dieses Verfahren halten die Richter für veraltet. Denn die meisten Werte stammen aus den 1960er Jahren. In Ostdeutschland werden Grundstücke sogar nach Werten aus den 1930er Jahren besteuert. Das hat zur Folge, dass dort, wo eine U-Bahn, eine Schule oder allgemein die Infrastruktur ausgebaut wurde, auch die Eigentümer einen Wertzuwachs erfahren haben. Bei älteren Eigentümern schlägt sich das aber wegen der veralteten Werte nicht in der Grundsteuer nieder.

So erging es Simone G. aus Freiburg. Die 66-Jährige hatte 1991 ein Zweifamilienhaus für 400.000 Mark (umgerechnet 200.000 Euro) gekauft. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich in der Nachbarschaft viel verändert. Auf der Wiese nebenan stehen heute Neubauten, eine Schule und sogar mehrere Geschäfte. Das hat automatisch auch zu einer starken Wertsteigerung ihrer Immobilie geführt.

Würde sie das 400 Quadratmeter große Grundstück verkaufen, bekäme sie heute mindestens 900.000 Euro. Das habe ihr ein Gutachter aus Freiburg ausgerechnet, berichtet die Seniorin. Ab 2025 wirkt sich das erstmals auch auf die Grundsteuer aus. Bisher zahlte sie für ihre Immobilie knapp 300 Euro Grundsteuer. Mit dem neuen Bodenrichtwert steigt sie auf 2700 Euro - doch eine Größe hat die Kommune noch nicht angepasst: den Hebesatz. Der liegt in Freiburg heute bei 600 Prozent - die Kommune hat einen der höchsten in ganz Deutschland.

„Bei einer Grundsteuer von 2700 Euro müsste ich etwa 230 Euro im Monat zurücklegen. Ich weiß gar nicht, wie ich das stemmen soll. Man muss ja auch noch die Instandhaltungskosten einkalkulieren“, sagt die Seniorin. Würde die Grundsteuer für ihr Zweifamilienhaus steigen, würde sie sofort verkaufen. „Von dem Geld würde ich mir eine kleine Wohnung in der Innenstadt kaufen. Die Grundsteuer wäre dann genauso hoch wie jetzt.“