Josef Hader über seinen neuen Film „Andrea lässt sich scheiden“: „Jeder ist anders deformiert“
Josef Hader über seinen neuen Film „Andrea lässt sich scheiden“. Gerade ist er im Kino gestartet. INTERVIEW: MARCO SCHMIDT
Er ist nicht nur Österreichs erfolgreichster Kabarettist, auch im Kino hat Josef Hader längst Kultstatus erreicht – etwa mit der Verfilmung seines Theaterstücks „Indien“ oder als Privatdetektiv Brenner in vier Leinwand-Adaptionen von Wolf-Haas-Krimis. Für seine Verkörperung des Schriftstellers Stefan Zweig im Kinodrama „Vor der Morgenröte“ wurde Hader für den Europäischen Filmpreis nominiert. Am 4. April 2024 ist seine zweite Regiearbeit „Andrea lässt sich scheiden“ in den deutschen Kinos angelaufen, bei der das 62-jährige Multitalent wie schon bei seinem Regiedebüt „Wilde Maus“ auch das Drehbuch verfasst und eine Hauptrolle übernommen hat.
Ihre neuer Film bietet eine ganze Palette provinzieller Tristesse – von abbröckelnden Häuserfassaden bis hin zu einem Kreisverkehr mit einer grotesken phallischen Skulptur. Dieses Kunstwerk existiert offenbar wirklich: in einem Ort namens Unterstinkenbrunn!
In dieser Gemeinde werden viele Zwiebeln angebaut, deshalb gibt es dort ein Zwiebelfest und den Kreisverkehr mit einer großen Zwiebel. Wir wollten nichts dazu erfinden, aber wir waren auf der Suche nach realen Schauplätzen, die einen sanften Witz besitzen. Ich wollte auch keine typischen Österreich-Klischees zeigen mit hohen Bergen und Holzschnitzereien. Es ist eher dort gedreht, wo Österreich ein bisschen ausschaut wie Nebraska.
Sie selbst sind auf einem Einödhof in Niederösterreich aufgewachsen und wollten schon als Kind so schnell wie möglich von dort weg. Trotzdem wird in Ihrem Film das Landleben nicht verteufelt.
Ich habe ja auch keinen Hass aufs Land – vielleicht deswegen, weil ich rechtzeitig weggegangen bin. Ich habe auch das Gefühl, dass die Unterschiede zu den Leuten in der Stadt gar nicht so groß sind, wie immer getan wird. Als Bub habe ich gesehen, wie die Bauern im Wirtshaus um den Tisch herumgesessen sind. Später, im Internat in Melk, saßen die Gymnasialprofessoren um den Wirtshaustisch und haben auch nicht viel Gescheiteres geredet. Und als ich dann nach Wien kam, hockten die berühmten Künstler um den Tisch herum, und es war auch kein großer Fortschritt bemerkbar. Ich glaube, dass die Menschen sich letztlich sehr gleichen, ganz egal, wo sie wohnen – sie sind halt überall etwas anders deformiert von ihrer Umgebung.
Ihr Film legt nahe, dass sich auf dem Land noch immer viele Leute betrunken ans Steuer setzen.
Nicht mehr so viele wie früher. Das kommt auch ein bisserl auf den Ort an. In Weingegenden ist der Umgang mit Alkohol meistens eine Spur lockerer – oder in Gemeinden, wo man kaum polizeilicher Kontrolle ausgesetzt ist. Nöchling, das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, liegt beispielsweise auf einem steilen Hügel hoch über der Donau, und die nächste Polizeistation ist weit weg, flussabwärts, in Persenbeug. Während meiner Kindheit war Nöchling quasi ein gesetzesfreier Raum: Da sind die Bauern auf Traktoren ohne Kennzeichen gefahren, die Jugendlichen mit ihren Mopeds ebenso, manche auch ohne Führerschein, weil alle gewusst haben, dass die Gendarmen nur einmal im Jahr da oben vorbeischauen.
Wie man hört, haben Sie selbst Ihre Fahrerlaubnis auch erst sehr spät erworben.
Ja, aber wie jeder Bub auf dem Land habe ich schon sehr früh das Traktor-, Moped- und Autofahren gelernt: Mit zehn Jahren lenkst du den 18er-Steyr-Traktor, mit zwölf fährst du schon im Auto über die Güterwege und lieferst die Milchkannen ab. Aber als ich mit 18 den Führerschein machen wollte, haben meine Eltern mir das verboten: Zuerst sollte ich das Abitur bestehen. Aus Trotz habe ich nach meinem Abitur gesagt, jetzt hätte ich keine Zeit mehr für den Führerschein, bin in die Stadt gezogen und dachte, da brauche ich eh kein Auto. Mit 37 habe ich plötzlich eine unerklärliche Lust auf ein spätes Prüfungserlebnis verspürt und den Führerschein gemacht.
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Die Titelrolle in „Andrea lässt sich scheiden“ spielt Birgit Minichmayr, die die Theater- und Filmfans schon in zahlreichen Rollen begeistert hat. Wie ist sie denn so am Set? Umgänglich? Unsicher?
Ein Tier? Eine Schauspiel-Maschine?
Sie ist all das – und noch viel mehr. Seit unserem ersten gemeinsamen Dreh zu „Der Knochenmann“ vor 15 Jahren wollte ich unbedingt wieder mit ihr arbeiten. Sie kann einfach alles spielen, stammt selbst vom Land und kennt deshalb die feinen Zwischentöne. Vor allem hat sie ein grandioses Gespür für papierene Dialogzeilen und andere Details im Drehbuch, die noch nicht ganz stimmig sind. Weil wir im Weinviertel gedreht haben und Birgit aus familiären Gründen nicht dort übernachten konnte, sind wir im Morgengrauen immer zusammen gut eine Stunde lang zum Set gefahren und haben dabei die geplanten Szenen noch einmal gründlich abgeklopft. Sie ist wie ein Seismograf, der jedes Drehbuch entscheidend verbessern kann.

Haben Sie schon Pläne für neue Projekte?
Es gibt ein paar Ideen, aber sie sind noch zu wenig konkret. Und ich kann so etwas nicht parallel entwickeln, während ich noch mit anderen Projekten beschäftigt bin. Das überlege ich mir in Ruhe im nächsten Sommer. Ich mache das gern woanders, nicht dort, wo ich wohne: Man sitzt auf einem öffentlichen Platz, überlegt, notiert Dinge in sein Schreibbuch, und wenn einem gerade nichts einfällt, beobachtet man die Leute, die vorbeigehen. Auch an einem konkreten Kabarettprogramm oder einem Drehbuch arbeite ich am liebsten vormittags in einem Café und nachmittags zu Hause am Computer. In der Corona-Zeit, als das nicht ging, habe ich dann ein Zimmer daheim zum Kaffeehaus ernannt: Am Vormittag bin ich dort am Tisch gesessen und habe in mein Buch geschrieben, am Nachmittag bin ich ins Wohnzimmer gegangen und habe alles in den Computer eingetippt. Ich fürchte, diesen Rhythmus kriege ich nicht mehr heraus aus mir! (Lacht.)