Der „Herausforderer“ kämpft mit sich selbst: Britische Challenger versinken im Dreck

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Der Challenger-2 – von den Briten eine gut gemeinte Verstärkung, für die Beschenkten in der Ukraine eine echte Herausforderung: Als Waffe unschlagbar, als Fahrzeug untragbar. (Archivfoto) © Adrian Dennis / AFP

Sie haben die Wende versprochen und bereiten vor allem Probleme – Westpanzer. Die Ukraine modifiziert ihre Challenger. Und die sind eh schon moppelig.

Kiew – Vorsichtig ausgedrückt hat Jerome Starkey einem fürchterlich banalen Vorführeffekt beigewohnt. Zugespitzt formuliert hat sich die Armee der Ukraine gegenüber der britischen Zeitung Sun einen kapitalen Public-Relations-Schnitzer geleistet. Sogar einen doppelten. Ein Reporter aus dem Nato-Land wollte hautnah erleben, wie der britische Challenger-2-Panzer (deutsch für: Herausforderer) den Truppen Wladimir Putins das Fell gerben würde – und wurde Zeuge, wie dessen Besatzung den schwersten Kampfpanzer der Welt im Dreck versenkte. Ganz ohne Feindeinwirkung. Weitab vom Geschehen im Ukraine-Krieg.

Nicht genug, dass die Crew die adipöse Angriffswaffe schnurstracks ins Moor steuerte; als feststand, dass der Stahlklumpen hilflos feststeckte, notierte Starkey dienstbeflissen, dass der Kompanie-Chef die Crew verprügelte, weil sie das Hindernis zu langsam angefahren hatte. Aber Ende gut, alles gut: Kayfarick, wie Starkey den Panzer-Kommandanten mit seinem Kampfnamen nennt, nutzte die Gelegenheit, um mittels eines zweiten Panzers zu demonstrieren, wie sich die Ukraine selbst aus dem Schlamassel herauszuhelfen weiß.

Starkey beginnt seine Helden-Geschichte über den britischen Export mit dem ehrfurchteinflößenden Bild eines schießenden Challenger und einer martialischen Bildunterschrift: „Ein Panzer feuerte während der Fahrt mit seitwärts gerichtetem Geschütz und zerstörte ein Ziel von der Größe eines Esstellers aus mehr als einer Meile Entfernung.“ Am Ende seiner Reportage hat er aber einen beunruhigenden Verdacht genährt: Großbritanniens fast 70 Tonnen schwere Botschaft an den Aggressor Putin ist in der Ukraine völlig fehl am Platz.

Der Wegbereiter: Briten haben als erstes Land Westpanzer gegen Putin geliefert

Bereits im August hatte die Ukraine nahe Robotyne den ersten Challenger in Rauch aufgehen sehen. Den ersten von insgesamt 14, die Großbritannien geliefert hatte. Mehrere Medien berichten übereinstimmend, dass inzwischen nur noch sieben Challenger einsatzfähig sind.

Die Challenger-2 aus Großbritannien stellten als erste westliche Kampfpanzer der ukrainischen Partner einen bedeutenden Meilenstein für den Kriegsverlauf dar und ebneten dem deutschen Leopard 2 und dem US-amerikanischen Abrams M1 den Weg in die ukrainischen Streitkräfte. Allerdings sind sie mit einer geringen Stückzahl, trotz der Gerüchte über eine mögliche Verdoppelung in der Zukunft, weit davon entfernt, der Ukraine zum Sieg zu verhelfen, wie das Magazin DefenceExpress schreibt. Die Challenger gehören zur 82. Luftangriffsbrigade. 

Laut dem Magazin Politico ist diese Einheit mit etwa 170 von der Nato gelieferten gepanzerten Fahrzeugen ausgestattet. Zu ihrem Arsenal gehörten neben den Challenger ursprünglich 90 US-amerikanische Stryker-Fahrzeuge, 40 in Deutschland hergestellte Marder sowie 24 in den USA hergestellte M113-Transporter. Forbes hatte berichtet, dass diese Einheit die Speerspitze der Gegenoffensive in der Süd- und Ostukraine bildete und sich durch die Tiefe der russischen Minenfelder langsam hindurch arbeiten musste – das erklärt deren hohe Verluste. Immerhin waren die Challenger-Panzer an den Erfolgen der Ukraine rund um Robotyne in der südlichen Region Saporischschja beteiligt. Der erste Challenger 2 wurde auf dem Weg ins benachbarte Werbowe zerstört. Hier konnten die Ukrainer die russische Hauptverteidigungslinie bereits vor dem eigentlichen Ort durchstoßen.

Der Launische: Fünf Challenger bereits wegen Mängeln ausgefallen

Die Zahl der Challenger-2-Panzer in der britischen Armee belief sich im Jahr 2021 auf 227, daher kann die potenzielle Lieferung an die Ukraine bis zu 79 Panzer betragen, rechnet DefenceExpress hoch. Einige weitere Exemplare könnten aus den Reservebeständen hinzugefügt werden, insgesamt etwa 80 Einheiten, in verschiedenen Zuständen der Kampfbereitschaft. Allerdings darf der Kampfwert der westlichen Boliden grundsätzlich bezweifelt werden.

Für den ehemaligen Bundeswehr-Oberst Wolfgang Schneider können alte Sowjetpanzer unter den geografischen Gegebenheiten in der Ukraine mit den Westpanzern auf Augenhöhe operieren. Vor allem an den Brennpunkten der Front im Süden und Südosten mit durchschnittenem Gelände und vielen Ortschaften, Flüssen und Industrieflächen sind die Vorzüge der westlichen Technik seiner Meinung nach auch von der besten Besatzung kaum zur Geltung zu bringen. Mit ihren T-55S aus Slowenien ist die Ukraine also insofern ebenso gut bedient.

DefenceExpress hatte ohnehin kritisiert, dass der Challenger in der Ukraine Schwierigkeiten habe, seine Stärken auszuspielen. Obwohl er die für westliche Militärfahrzeuge typischen Standardmerkmale in Sachen Innenraum, Komfort und Panzerung bietet, verfehle seine Leistung im Gefecht häufig die tatsächlichen Anforderungen eines bestimmten Schlachtfelds. Zwei Panzer seien inzwischen durch Feindeinwirkung ausgefallen, fünf dagegen aufgrund von mangelhafter Zuverlässigkeit aus dem Rennen. Kayfarick klagt gegenüber der Sun, dass manchmal Monate vergingen, bis Ersatzteile aus Großbritannien ankämen. Zugleich fehlten ihm qualifizierte Mechaniker fehlten, um die Hardware fit zu halten. Beispielsweise würden sich die Gummibeläge auf den Ketten der Panzer und die Räder ständig abnutzen.

Die Abrissbirne: Putins Truppen müssen selbst im Bunker vor ihm zittern

Und der ukrainische Militär enthüllte, dass ein chronischer Mangel an frischen Soldaten an der Front dazu führe, dass ausgebildete Panzerbesatzungen aus ihren Fahrzeugen abgezogen wurden – etwa um Schützengräben für die Infanterie auszuheben. Möglicherweise wird das geänderte Lagebild der Front dem Challenger aber wieder in die Karten spielen, da sich im Ukraine-Krieg das Blatt gewendet hat.

Putins Truppen haben sich eingegraben, und die Ukrainer müssen diese Verteidigungsringe sprengen – die Süddeutsche Zeitung sieht im Briten-Boliden dafür die geeignete Waffe: „In der aktuellen Situation könnte der Challenger 2 der Ukraine vor allem deshalb gute Dienste leisten, weil er hervorragend dafür geeignet ist, russische Befestigungsanlagen, Bunker beispielsweise, zu zerstören. Er kann mit seinem gezogenen Rohr sogenannte Quetschkopfgeschosse verschießen. Bei dieser Munition wird die Explosionswirkung auf eine größere Fläche verteilt, das Ergebnis ähnelt ein wenig dem einer Abrissbirne.“

Darüberhinaus wird der Challenger für die Ukraine wichtiger werden, um die Ressource Mensch besser zu schützen. Zu den bemerkenswerten Verbesserungen gehört die Ausstattung der Wannenseiten der Panzer mit Gitterpanzerungen und Gummiseitenschwellern, die zusätzliche Schutzschichten gegen Panzerabwehrwaffen bieten, wie das Magazin armyrecognition schreibt.

Seine Durchschlagskraft wird geringer eingeschätzt als die der besten Varianten des russischen T-90, T-89 oder T-72, weil er im Gegensatz zu den meisten anderen Panzern über keine Glattrohrkanone, sondern über eine Kanone mit gezogenem Lauf verfügt, die geringe Mündungsgeschwindigkeiten aufweist. Den Modellen, die die Ukraine aktuell einsetzt, und auch vielen russischen Panzern, ist der Challenger 2 dennoch überlegen – allein durch seine Reichweite; gute Besatzungen treffen mit ihm über Distanzen von mehr als vier Kilometern.

Der Schlüssel-Panzer: Challenger könnte Russlands Verteidigungslinien knacken

Allerdings bemängelt der von der Sun befragte Kompanieführer, dass der Challenger völlig wesensfremd eingesetzt werde: „Der 26-jährige Kayfarick sagte, die meisten Einsätze seiner Crews richteten sich gegen Panzerstellungen, darunter Infanteriebunker und Unterstände sowie Fahrzeuge. „Die Challenger 2 werden bisher noch nicht in einem klassischen Panzer-gegen-Panzer-Kampf eingesetzt, weil das Gelände dies nicht zulässt“, sagte er. Die ukrainischen Soldaten im Umkreis von Robotyne schwören aber weiter auf das, was der Challenger kann: Angst machen; oder wie eine Besatzung Forbes erklärte: Von Stellungen am Waldrand aus auf fast drei Kilometer entfernte russische Befestigungen zu schießen.

Letztendlich hängt der Erfolg einer weiteren Gegenoffensive der Ukraine aber tatsächlich von den britischen Exporten ab: Das Fahrzeug trommelt gegen die Befestigungen der Russen – russische Panzer bleiben zum Briten ohnehin auf Distanz. Immerhin hat der Challenger den Weg für die westlichen Rüstungsexporte geebnet. Der damalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace sagte vor der endgültigen Lieferung im Guardian: „In Deutschland gibt es derzeit eine Debatte darüber, ob ein Panzer eine Angriffswaffe oder eine Verteidigungswaffe ist. Nun, es kommt darauf an, wofür Sie es verwenden. Wenn Sie es zur Verteidigung Ihres Landes einsetzen, würde ich wetten, dass es sich um ein defensives Waffensystem handelt.“

Kayfarick und seine Mannschaften waren im vergangenen Jahr in Großbritannien und trainierten zusammen mit britischen Panzerbesatzungen. Inzwischen weiß der Ukrainer, wie er der Sun anhand des matschigen Lochs erklärte, dass der ärgste Feind des Challenger ohnehin im eigenen Haus sitzt: „Das Hauptproblem für den Challenger auf dem Schlachtfeld ist ein Kommandant, der nicht versteht, wofür er entwickelt wurde und welche Vor- und Nachteile er hat.“

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