Wenn Wohnen verbindet: Zwei Frauen zeigen, wie eine Mehrgenerationen-WG bereichern kann
Dreieinhalb Jahre haben Sonja Riedl (90) und die Syrerin Ayat (33) unter einem Dach gelebt. Was nach einer ungewöhnlichen WG klingt, ist in München längst bewährte Praxis: Das Projekt „Wohnen für Hilfe“ bringt ältere Menschen und junge Leute zusammen – eine Win-Win-Situation.
Kirchheim/Landkreis - „Dank dieses wunderbaren Projekts Wohnen für Hilfe wird es mir seit 2018 ermöglicht, meinen Lebensabend zu Hause zu verbringen“, sagt Riedl. Sie sitzt sonnengebräunt auf ihrer Gartenbank, ihre hellblauen Augen funkeln zufrieden.
Ein Zuhause auf Zeit – und auf Augenhöhe
Ayat kam 2015 aus Syrien nach Deutschland, wohnte zunächst im Allgäu, später in Stuttgart. Als sie in München ihre Ausbildung zur Kosmetikerin und Fußpflegerin begann, suchte sie dringend ein Zimmer – aber in der teuren Stadt schien das ein aussichtsloses Unterfangen. Über ihre Kosmetikschule hörte sie von „Wohnen für Hilfe“. Schon beim ersten Treffen mit Sonja Riedl war ihr klar: „Das könnte klappen.“
Zwar hatte Ayat anfangs großen Respekt vor Riedls Hündin Luiserl und keinerlei Ahnung von Gartenarbeit. Trotzdem wollte sie es wagen: „Ich wusste, dass ich keine nettere Vermieterin finden würde“, sagt sie rückblickend. Und tatsächlich: Nur eine Woche später stand die Zusage.
Auch Sonja Riedl erinnert sich gut an den Einstieg: „In der syrischen Kultur sind Hunde als Haustiere nicht so üblich, da leben Hunde wild.“ Nach einer Operation musste Ayat aber vorübergehend die Hundespaziergänge übernehmen – inklusive „den roten Tüten“. Riedl lacht: „Da hat sie schon was mitgemacht.“ Ayat nickt und lächelt: „Luiserl ist aber schon besonders brav.“
Hilfe gegen Wohnraum
Das Prinzip ist einfach: Pro Quadratmeter Wohnfläche leisten die jungen Mitbewohner eine Stunde Hilfe im Monat – ob Haus- oder Gartenarbeit – und zahlen die Nebenkosten. „Ich hätte Anspruch auf sechs Stunden Hilfe pro Woche, aber das haben wir nicht immer zustande gebracht“, erzählt Riedl, die nur Putz- und Gartenarbeiten benötigte. Wichtig sei die gute Absprache: „Montags machen wir aus, wann wir die Gartenarbeiten erledigen, und am samstags ist Staubsaugen und Wischen dran, damit zum Wochenende alles schön ist.“
Ganz bewusst hat Riedl schon vor Jahren vorgesorgt, damit es für beide Seiten angenehm bleibt: „Ich habe frühzeitig eine Küchenzeile im ersten Stock eingebaut und ein zweites Bad im Erdgeschoss. Mir war wichtig, dass jeder für sich kocht und ein Bad hat.“
Und noch etwas hat sich für sie bewährt: „Man darf einen jungen Menschen nicht zu sehr an sich binden, nur weil ich keinen Partner habe. Zu eng darf man das nicht werden lassen.“ Ayat sieht das genauso: „Jeder braucht seinen eigenen Raum und sein eigenes Leben. So klappt es gut.“
Die WG war für beide eine Bereicherung. „Sie ist mir wie eine Großmutter ans Herz gewachsen“, sagt Ayat, deren Eltern in Syrien leben. Von Riedl habe sie nicht nur praktische Dinge, sondern auch viel über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit gelernt. Umgekehrt machte die Seniorin ihrer Mitbewohnerin Mut, als diese nach ihrer Ausbildung nicht sofort eine Stelle fand.
Trotz enger Vertrautheit blieben beide beim höflichen „Sie“. „Wir sind zwei, die beide ihre Freiheit brauchen“, sagt Riedl. Ayat ergänzt: „Ich brauche auch meine Privatsphäre. Aber, wenn ich über etwas reden wollte, konnte ich immer kommen.“
Nun zieht Ayat nach Nürnberg, wo sie eine feste Arbeitsstelle gefunden hat. Der Abschied fällt beiden schwer – doch die nächste Mitbewohnerin steht schon bereit: Eine junge Frau aus Georgien wird bald einziehen.
Seit zwölf Jahren im Landkreis
Seit 2013 vermittelt der Verein „Beinander e. V.“ im Landkreis München Wohnpartnerschaften. Jährlich finden im Schnitt 23 Paare zusammen, derzeit gibt es 37 Wohn-Partnerschaften im Landkreis und 52 in der Stadt. Vermittlerin Elena Drame weiß, worauf es ankommt: „Offen und geduldig sein, das ist der Schlüssel. Es kommen ja Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichem Alter zusammen. Wichtig ist, regelmäßig darüber zu sprechen, welche Aufgaben anstehen, aber auch, was gut läuft und was weniger.“
Ein Vorteil im Landkreis: Meist haben die Senioren Häuser mit Garten, manchmal sogar ein ganzes Stockwerk für die jungen Bewohner. Hier vermittle sie öfter mehr Platz, sagt Drame.
Für Ayat bleibt die Zeit unvergesslich: „Ich habe viel gelernt. Deutschland ist meine zweite Heimat geworden.“ Vor Kurzem konnte sie ihre Eltern erstmals nach zehn Jahren in Jordanien wiedersehen – im Gepäck auf der Rückreise: ein Abschiedsgeschenk für Sonja Riedl. Und einen Wunsch nimmt sie mit: „Ich wünsche mir später auch einmal einen Garten.“
Man darf einen jungen Menschen nicht zu sehr an sich binden, nur weil ich keinen Partner habe. Zu eng darf man das nicht werden lassen.
So funktioniert‘s
Vor Kurzem hat der Sozialausschuss diskutiert, ob der Landkreis das Angebot „Wohnen für Hilfe“ weiterhin finanziert. Die Entscheidung fiel einstimmig. Zuvor hatten 30 Teilnehmer eine Petition an den Landrat gesendet, darunter auch Sonja Riedl und Ayat. Ein freies Zimmer? Dann lohnt sich ein Anruf bei „Wohnen für Hilfe“, unter der Tel. 089 / 13 92 84 19 20. Sowohl Zimmeranbieter als auch Wohnungssuchende können sich melden.
Nach einem ersten Beratungsgespräch wird ein Fragebogen ausgefüllt – für beide Seiten gleich. Anschließend startet die Vermittlung. Passt das mögliche Wohnpaar zueinander, steht ein Hausbesuch an. Wenn alles stimmig wirkt, wird eine Vereinbarung getroffen und die Wohnpartnerschaft beginnt mit einem vierwöchigen Probewohnen. Auch danach bleibt niemand allein: Das Team von „Wohnen für Hilfe“ begleitet die Wohnpaare und steht jederzeit beratend zur Seite.
Die Kosten sind überschaubar: 5 Euro Anmeldegebühr für Wohnraum-Suchende, 35 Euro Vermittlungsgebühr für beide Seiten.
Hinter dem Projekt steht der Verein Beinander e.V. in München, Leonrodstraße 14b. Ansprechpartnerin ist Elena Drame, erreichbar unter wfh@beinander.org. Weitere Infos gibt es auf www. beinander.org.