Ökonom entlarvt bittere Bürgergeld-Realität: „Lohnt sich in vielen Fällen nicht, mehr zu arbeiten“

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Das umstrittene Bürgergeld soll reformiert werden. Aus Sicht von Ökonomen gibt es dringenden Handlungsbedarf – nicht nur beim Bürgergeld.

Berlin – Die Bürgergeld-Reform wurde noch nicht umgesetzt, doch schon jetzt häuft sich die Kritik. Mit den derzeitigen Reformplänen gibt sich Ökonom Andreas Peichl nicht zufrieden. Das eigentliche Problem geht über das Bürgergeld hinaus, Deutschlands Sozialstaat sei ein Sanierungsfall, resümierte der Ökonom. Für arbeitende Menschen gibt es noch immer zu viele Fehlanreize.

Ökonom rechnet mit Bürgergeld-Reform ab – Deutschland ein Sanierungsfall?

Peichl zufolge gibt es grundlegende Probleme bei den Sozialsystemen in Deutschland. „Es kann passieren, dass jemand mehr arbeitet und verdient, aber netto kaum mehr oder sogar weniger hat als vorher, weil ihm in den verschiedenen Systemen Geld gestrichen wird“, sagte der Ökonom und Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Ob ein Paar in München zusammen 3.500 oder 5.500 Euro brutto verdiene, mache keinen Unterschied auf dem Konto. Netto würde das Gleiche übrig bleiben. Je höher das Einkommen ist, desto mehr Sozialleistung fällt weg. „Es lohnt sich in vielen Fällen nicht, mehr zu arbeiten“, urteilte Peichl gegenüber der SZ.

Bürgergeld: Bundeskanzler Friedrich Merz hält eine Deckelung bei den Mietkosten für denkbar.
Bürgergeld: Bundeskanzler Friedrich Merz hält eine Deckelung bei den Mietkosten für denkbar. (Symbolbild) © IMAGO/Malte Ossowski/SVEN SIMON

Lohnt sich Mehrarbeiten nicht mehr? Forderung nach mehr Arbeitsanreizen im Sozialstaat

Bereits im Jahr 2024 veröffentlichte das Ifo ein Gutachten, worin der Unterschied im verfügbaren Einkommen zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen untersucht wird. Demnach wirkt sich die Erwerbsbeteiligung je nach Haushaltskonstellation (ob Single, alleinerziehend, Alleinverdiener-Paar oder Doppelverdiener-Paar) verschieden aus. Alleinerziehende mit mittleren Mietkosten können ihr verfügbares Einkommen durch Erwerbsbeteiligung um 936 Euro monatlich erhöhen und wenn sie ein Bruttoeinkommen von 2.000 Euro erzielen. Bei einem Alleinstehenden mit mittleren Mietkosten wäre ein Zuwachs von 457 Euro möglich.

Auch die monatliche Miete spielt eine Rolle. Ein Single mit 2.000 Euro Bruttoeinkommen und durchschnittlichen Mietkosten kann nach Abzug von Transfers und Sozialversicherungsbeiträgen 457 Euro mehr zur Verfügung haben als ohne Erwerbsbeteiligung. Hohe Mietkosten könnten den Betrag auf 348 Euro schmälern.

Mehrarbeit muss sich nicht nur für Bürgergeld-Empfänger lohnen – größeren Anteil beibehalten

Die Kritik, dass Mehrarbeiten sich nicht lohnen könnte, ist nicht neu. Ifo-Präsident Clemens Fuest wies bereits im vergangenen Jahr darauf hin, dass das derzeitige Sozialsystem Mehrarbeit in Deutschland unattraktiv mache. Nicht nur für Bürgergeld-Empfänger lohne sich Mehrarbeit nicht, auch Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen wären betroffen.

Fuest forderte von der Politik, die verschiedenen Transferleistungen zu prüfen und dafür zu sorgen, dass man vom Einkommen aus Mehrarbeit einen größeren Anteil behalten kann. „Das ist nicht ganz trivial, aber machbar.“ Ein weiterer länger diskutierter Reformvorschlag ist die Zusammenführung von Wohngeld und Kinderzuschlag und dass beide Leistungen ins Bürgergeld bzw. in die neue Grundsicherung integriert werden.

Doch dieser Vorschlag gilt als umstritten. Zwar könnten Inanspruchnahmen erleichtert werden, jedoch kann dadurch „keine aktive Förderung erreicht werden“, schreiben Dr. Kerstin Bruckmeier und Prof. Dr. Enzo Weber in einer Studie für das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu Beginn des Jahres 2025.

Mehrarbeit lohnt sich im Bürgergeld offenbar nicht – doch gar nicht zu arbeiten wäre auch nicht richtig

Ökonomen warnen zudem vor einem Trugschluss: Gar nicht zu arbeiten, bringt keinen finanziellen Vorteil. Wer in Deutschland erwerbstätig ist, hat größere Vorteile als jemand, der nur staatliche Hilfe bekommt. „Wer arbeitet und alle Sozialleistungen in Anspruch nimmt, die ihm zustehen, hat immer mehr verfügbares Einkommen als jemand, der nicht arbeitet und nur Sozialleistungen bekommt“, teilte das Münchner ifo Institut im Februar 2024 mit.

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