Michael Walter stürzt 12 Meter in die Tiefe: Das schreckliche Ende eines Partyabends

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Gut gelaunt, sportlich und gesprächig: so erlebt man Michael Walter heute. Die Narbe an seiner Stirn ist aber eine Erinnerung an seinen Sturz in ein Bahngleis vor elf Jahren. © Markus Ostermaier

Es war ein schöner Abend, der in einer Katastrophe endete. Michael Walter ist vor elf Jahren aus zwölf Metern in die Tiefe gestürzt. Doch er hat ins Leben zurückgekämpft.

Ein gesprächiger, positiv gestimmter Familienvater mit technischer Begabung, der mit Begeisterung vom Schweden-Urlaub erzählt – so erlebt man Michael Walter heute. Eine Narbe auf seiner Stirn ist eine sichtbare Erinnerung an ein dunkles Kapitel seines Lebens. Der 45-Jährige erlitt vor elf Jahren bei einem Unfall schwerste Verletzungen. Anfangs war nicht einmal sicher, ob der Bucher den Sturz überleben wird. Nach herausfordernden Jahren hat sich Walter zurück ins Leben gekämpft. Manche Beeinträchtigungen bleiben ihm allerdings für immer.

Leidenschaftlicher Fahrradfahrer

Aufgewachsen ist Walter in Freimehring im Kreis Mühldorf. Dem Erdinger Land kam er ab 2003 näher. Zehn Jahre lang arbeitete der gelernte Schlosser in Forstern als Schweißer. In Buch lebt er seit 2020 mit seiner Frau Sandra, die er 2011 bei einer Geburtstagsfeier kennenlernte und 2017 heiratete, sowie mit Sohn Vitus (6). Der leidenschaftliche Fahrradfahrer hat schon als junger Mann große Touren unternommen, wie 2009 den Jakobsweg mit 2000 Kilometern. Zwei Jahre später ist er mit seinem Bio-Bike von San Francisco nach New York geradelt. Nur wenige Abschnitte der 6500 Kilometer langen Route fuhr Walter damals per Anhalter.

Der 8. Dezember 2013 stellte sein Leben jedoch komplett auf den Kopf. Mit zwei Freunden besuchte er das Tollwood-Winterfestival in München. Es war ein lustiger Abend, so mancher Drink floss. Walter sagt im Gespräch mit unserer Zeitung, an diesem Abend „stark alkoholisiert“ gewesen zu sein. Nur deshalb sei er beim Rückweg wohl auf eine folgenschwere Idee gekommen. An der U-Bahn-Station Max-Weber-Platz wollte Walter auf dem dünnen Edelstahl-Treppengeländer Richtung Bahnsteig rutschen. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte zwölf Meter in die Tiefe aufs Gleisbett.

Es waren sofort Passanten zur Stelle, die Walter aus dem Gefahrenbereich holten und Erste Hilfe leisteten. An all das kann er sich nicht mehr erinnern. „Diese Momente sind einfach weg. Ich war noch ansprechbar, aber stand unter Schock“, sagt er über die Minuten nach dem Sturz. Im Klinikum rechts der Isar zeigte sich das Ausmaß seiner Verletzungen: Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades mit Hirnblutungen, offener Oberschenkeltrümmerbruch, Gesichtsschädeltrümmerbruch, zwei gebrochene Wirbel, diverse Quetschungen.

„Mein Gesicht war im Prinzip komplett gebrochen. Ich habe dort jetzt 80 Schrauben drin“, erklärt Walter. Er wurde sofort ins künstliche Koma versetzt und ein Teil der Schädeldecke operativ entfernt, um den Hirndruck zu senken. In den nächsten Wochen folgten mehrere komplizierte, mehrstündige Operationen.

Anfangs war unklar, ob er überleben wird

Anfangs war unklar, ob der Bucher schwerbehindert bleibt – oder überhaupt überleben wird. Doch wie durch ein Wunder konnte er nach 14 Tagen teilweise aus dem Koma geholt werden, seine Schädeldecke wurde wieder eingesetzt. An die Zeit im Krankenhaus hat Walter so gut wie keine Erinnerungen. Die einzigen Bilder, die ihm im Gedächtnis geblieben sind, sind vom Feuerwerk an Silvester, das er vom Krankenzimmer aus beobachtete.

Im Rollstuhl kam Walter im Januar 2014 in eine neurologische Frührehaklinik in Bad Aibling. Nur einen Monat später der Rückschlag: Weil sich im Gehirn ein Sekret gebildet hatte, erlitt er einen epileptischen Anfall – „einen Kurzschluss in der rechten Gehirnhälfte“. Walter musste notoperiert werden. Es wurde ihm rechts die Schädeldecke entfernt und durch ein Titan-Implantat ersetzt. Die OPs verliefen erfolgreich, und Walter kam zur weiteren Behandlung in die Buchberg-Klinik nach Bad Tölz.

Dort war er damit beschäftigt, seinen Körper zu trainieren. Anfangs fühlte er sich „recht schwammig im Kopf. Und ich konnte meine linke Hand nicht mehr nutzen, die Befehle vom Gehirn sind dort nicht mehr angekommen.“ Schrittweise musste er das wieder erlernen, absolvierte Gedächtnistraining mit Namen und Telefonnummern, baute Muskeln auf, vor allem in den Beinen. Ende 2014 begann er eine tägliche, ambulante neurologische Reha-Behandlung in Pasing.

Mein Gesicht war im Prinzip komplett gebrochen. Ich habe dort jetzt 80 Schrauben drin.

Und der heute 45-Jährige wollte zurück ins Arbeitsleben. Weil sein Sehvermögen seit dem Unfall nur noch 50 Prozent beträgt, konnte er nicht mehr als Schweißer arbeiten. Also startete er im Oktober 2015 ein besonderes Umschulungs- und Wiedereingliederungsprogramm. Die Kosten von 200 000 Euro übernahm die Rentenversicherung. In einer Würzburger Einrichtung für (teil)blinde Menschen wurden ihm Kenntnisse wie Grundrechenarten oder das Tippen auf der Tastatur mit zehn Fingern beigebracht.

Es folgte die berufliche Neuorientierung als Zerspanungsmechaniker: Im März 2018 startete sein neuer Job bei Gewo in Hörlkofen. Mit seiner 50-prozentigen Behinderung geht Walter in der Firma offen um, engagiert sich als Schwerbehindertenvertretung des Betriebsrats. Und noch ein weiteres schönes Ereignis erfolgte 2018: die Geburt von Sohn Vitus. Seiner Frau Sandra, die ihm nach seinem Unfall stets zur Seite stand, ist der Bucher für die Unterstützung unendlich dankbar. Auf dem langen Genesungsweg an seiner Seite waren zudem seine Mutter und seine Schwiegereltern.

Heute geht es ihm wieder gut – und er ist glücklich

Weil er seit dem Unfall nicht mehr Auto fahren darf, radelt der 45-Jährige jeden Tag zur Arbeit. Die insgesamt 14 Kilometer bestreitet er sogar im Winter bei bis zu minus 18 Grad: „Ich mag das Gefühl, selbst zu bestimmen, wann und wie ich in die Arbeit komme.“

Es gibt aber noch weitere Einschränkungen. Walter liest fast nicht mehr, er braucht lange dafür und es strengt ihn zu sehr an. Außerdem kann er nichts mehr riechen. Kaffee, Chips, frisch gemähtes Gras – all diese Gerüche hat er gerne gemocht. „Man wird in Gesprächen andauernd daran erinnert, aber ich habe mich einigermaßen damit abgefunden. Man vergisst das Gefühl des Riechens mit der Zeit etwas“, sagt er.

An den Unfallabend denkt Walter nur noch selten zurück. Er versucht, die Zeit danach mit Humor zu nehmen. Den Alkoholkonsum an jenem Abend habe er manchmal bereut, „aber die Gedanken sind nicht zu dominant. Ich kann es nun ja eh nicht mehr ändern.“ Der Alkohol sei für ihn heute nur noch ein seltenes Genussmittel. Walter sagt von sich selbst, dass es ihm wieder sehr gut gehe und er glücklich sei, zurück im Leben zu sein. „Und ich bin meinem Körper sehr dankbar, dass er das alles so gut meistert.“

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