„Blinder Fleck“ in Deutschland – Warum migrantische Menschen armutsgefährdet sind

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Vollzeitjob und Bildung gelten als Aufstiegsgaranten – aber nicht für alle. Von Rassismus betroffene Menschen bleiben trotzdem arm.

„Arbeit und Bildung muss sich für alle gleichermaßen lohnen“ – mit dieser Forderung schloss Zerrin Salikutluk die Vorstellung des Kurzberichts des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors am Dienstag (7. Mai) in Berlin.

Von Januar bis März 2022 erfassten Mitarbeitende des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in einer repräsentativen Umfrage die Daten von 21.000 Personen. Das zentrale Ergebnis dieser Erhebung: Rassismus macht die Betroffenen arm.

Junge umarmt seine Mutter.
Eine neue Studie zeigt: Rassismus und Armut bedingen einander (Symbolbild) © Westend61/Imago

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„Integration durch Arbeit und Aufstieg durch Bildung ist ein Mythos“

Bei Deutschen ohne sichtbaren Migrationshintergrund liegt die Armutsgefährdungsquote bei etwa zehn Prozent. Bei den befragten Schwarzen Menschen in Deutschland bei 26 Prozent. Noch drastischere Zahlen legt die Untersuchung bei asiatischen und muslimischen Menschen offen: Trotz hoher Bildung und Erwerbstätigkeit laufen bis zu 41 Prozent Gefahr, unter der Armutsschwelle zu leben.

Die Direktorin des DeZIM, Naika Foroutan, kommentierte das Ergebnis scharf: „Integration durch Arbeit und Aufstieg durch Bildung ist ein Mythos.“ Die Forschungsergebnisse würden klar belegen, dass Menschen eben nicht gleich seien.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, stimmt zu: „Der Gesellschaftsvertrag, der auf Chancengleichheit beruht, funktioniert nicht. Das ist ein blinder Fleck in Deutschland.“ Aber auch aus wirtschaftspolitischer Perspektive gehe hier ein „riesiges Potenzial“ verloren, erklärte der Experte. Mit Abbau von Diskriminierung entstünden mehr Chancen im Arbeitsmarkt für Betroffene. Mit Blick auf den akuten Fachkräftemangel würde die ganze Gesellschaft davon profitieren.

Mehr dazu: „Deutsche Arroganz“: Wo es bei der Fachkräfte-Einwanderung immer noch hakt

„Es ist ein Zirkelschluss“ – Warum Rassismus arm macht

Für die Expertenrunde ist klar: Rassismus und Armut bedingen einander, die Wechselwirkungen spiegeln sich auf vielen Ebenen wider. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, fasste zusammen: „Rassismus erzeugt Barrieren, um Armut zu entkommen. Rassismus produziert aber auch selbst Armut durch schlechtere Bildung, schlechtere Gesundheit. Rassismus ist Stress pur. Diese Variablen erhöhen das Armutsrisiko. Es ist ein Zirkelschluss“.

Deutsche Staatsbürgerschaft kann das Armutsrisiko senken

Anders sieht das bei Menschen mit Migrationsgeschichte aus, die einen deutschen Pass besitzen. Die Untersuchung zeigt, dass die deutsche Staatsbürgerschaft das Armutsrisiko senken kann, indem sie institutionelle Zugänge ermöglicht, etwa Arbeisplätze im öffentlichen Dienst.

Das neue Einwanderungsgesetz, das ein Experte mit „drei Minus“ bewertet, setzt für eine Einbürgerung allerdings gesicherte Einkommensverhältnisse voraus. Die Experten fordern daher dringend Maßnahmen für flächendeckenden Abbau von Benachteiligung bei Bildung, Gesundheit und Wohnen, sowie die unkomplizierte Anerkennung von ausländischen Zeugnissen.

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