Fleischalternativen aus Soja, Erbsen oder Lupinen sind längst mehr als ein Trendprodukt. Doch wie gelingt es, aus Pflanzen etwas herzustellen, das an echtes Fleisch erinnert? Ein Blick in die Lebensmittelchemie zeigt: Hinter der täuschend echten Textur steckt viel Know-how aus Biochemie und Physik.
Prof. Dr. Klaus Günther, Lebensmittelwissenschaftler und Biochemiker, forscht und lehrt an der Universität Bonn zu Mikronährstoffen und innovativer Ernährungsforschung und ist international als Honorarprofessor und Gutachter tätig. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Struktur ist alles
Damit pflanzliche Produkte an Fleisch erinnern, muss ihre Struktur stimmen. In echtem Muskelgewebe sorgen Myofibrillen aus Proteinen wie Actin und Myosin sowie das Bindegewebe mit Kollagen und Elastin für die typische Faserigkeit und den Biss. Pflanzliche Rohstoffe besitzen solche Strukturen nicht – ihre „Bausteine“ sind Cellulose, Pektine und Hemicellulosen aus der Zellwand. Um sie in eine fleischähnliche Form zu bringen, greifen Hersteller auf komplexe Verfahren zurück, die die pflanzlichen Proteine in faserartige Strukturen überführen.
Vom Sojapulver zur Faser
Die Basis sind konzentrierte pflanzliche Eiweiße, meist aus Soja, Weizen oder Erbsen. Diese Proteine werden mit Wasser, Öl und manchmal Stärke zu einer Art Teig verarbeitet. In einem Extruder – einer Maschine, die unter Druck und Hitze arbeitet – werden die Eiweißmoleküle gestreckt und neu angeordnet. Dabei entstehen lange, parallele Faserstrukturen, die den Muskelfasern von Fleisch ähneln. Durch gezielte Steuerung von Temperatur, Druck und Feuchtigkeit lässt sich die Textur variieren – von weich wie Geflügel bis zäh wie Rindfleisch.
Dabei zeigt sich: Druck, Temperatur und Wassergehalt beeinflussen, wie Proteine sich entfalten, vernetzen und neue Texturen bilden. Genau diese Prinzipien nutzen Entwickler pflanzlicher Fleischimitate.
Fett, Farbe, Geschmack – die Illusion wird komplett
Fleisch lebt nicht nur von seiner Faserstruktur. Der Geschmack entsteht aus einem Zusammenspiel von Fetten, Aromastoffen und Reaktionen beim Braten. Pflanzliche Alternativen enthalten daher pflanzliche Öle – etwa Kokos- oder Sonnenblumenöl –, die beim Erhitzen schmelzen und ein saftiges Mundgefühl erzeugen. Farbstoffe wie Rote-Bete-Saft oder natürliche Carotinoide sorgen für die rötliche Farbe, während Aromen aus Pilzen, Zwiebeln oder Hefen die typischen Röstaromen simulieren.
Auch hier hilft die Lebensmittelchemie: Bei der Erhitzung entstehen – ähnlich wie im echten Fleisch – sogenannte Maillard-Reaktionsprodukte, die für das „Brataroma“ sorgen.
Die Wissenschaft des „Bisses“
Die Kunst der Fleischimitation besteht darin, chemische und physikalische Prozesse so zu steuern, dass das Endprodukt die gewünschte Textur erhält. Pflanzenproteine müssen vernetzt und zugleich flexibel bleiben – ähnlich wie Kollagen und Elastin im Tiergewebe. Die gezielte Denaturierung von Proteinen spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Proteinstrukturen verändern sich durch Wärme, pH-Wert-Veränderungen oder mechanische Energie. Dieses Wissen wird in der modernen Lebensmitteltechnologie genutzt, um pflanzliche Rohstoffe so zu „designen“, dass sie sensorisch überzeugen.
Fazit: Hightech für nachhaltigen Genuss
Was in der Pfanne aussieht wie Hack oder Steak, ist das Ergebnis ausgefeilter Lebensmittelchemie. Durch die Kombination pflanzlicher Eiweißquellen, technologischer Verfahren und biochemischer Präzision entsteht ein Produkt, das tierisches Fleisch in Struktur, Geschmack und Biss erstaunlich gut nachahmt.
Fleischimitate sind damit ein Paradebeispiel für angewandte Wissenschaft – und zeigen, wie eng Chemie, Physik und Lebensmitteltechnologie heute zusammenarbeiten, um nachhaltige Alternativen zu entwickeln.
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Bildquelle: Klaus Günther
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