„Grenzen überschritten“: Deutscher Skipper nennt zwei mögliche Ursachen für Yacht-Drama vor Sizilien
Nach dem Untergang der „Bayesian“ erläutert ein Experte mögliche Ursachen – und was der Kapitän der Superyacht „Lehrbuchmäßig“ gemacht hat.
Palermo – Der Untergang der Yacht „Bayesian“ vor der italienischen Mittelmeerinsel Sizilien während eines schweren Unwetters gibt Rätsel auf. Der Chef der Unternehmensgruppe, die die „Bayesian“ erbaut hat, erhebt schwere Vorwürfe. Inzwischen wurde der britische Milliardär Mike Lynch (59), dem die Luxusyacht gehörte, tot aus dem Wrack geborgen. Man geht davon aus, dass auch seine Tochter Hannah das Yacht-Unglück nicht überlebt hat. Ein erfahrener Skipper ordnete nun im Gespräch mit IPPEN.MEDIA ein, wie es zu der Tragödie kommen konnte.
Offiziellen Angaben zufolge war die „Bayesian“ lediglich eine knappe halbe Seemeile – das entspricht etwa 900 Metern – vom Ufer entfernt im Wasser, ehe sie innerhalb weniger Sekunden sank. Der genaue Hergang des Yacht-Unglücks ist noch nicht geklärt.
Deutscher Skipper nennt zwei mögliche Ursachen für Yacht-Drama vor Sizilien
Skipper Michael Schlecht (73) segelt laut eigenen Angaben bereits seit Studienzeiten. Er habe mit seinem Segelboot auch schon die Welt komplett umrundet. Dem erfahrenen Segler liegen Tracking-Daten des Portals marinetraffic.com vor, weitere Informationen bezog er von einem englischsprachigen Fachportal, wie er uns sagt. Er ist nach Ansicht der Tracking-Daten überzeugt, „dass das Schiff deutlich näher als eine halbe Seemeile vor der Küste lag“, wie er IPPEN.MEDIA erklärte: „Im Screenshot sieht man auch sehr gut, wie sich das Boot vor Anker bewegt hat.“

Nachdem er die Trackingdaten der Luxusyacht gesichtet hat, geht Schlecht von folgendem Szenario aus: „Wie im Tracking ersichtlich ist die Yacht am Nachmittag/früher Abend (18. August) von Cefalu gewendet und hat sich vor Porticello einen Ankerplatz gesucht, an dem sie nicht in Legerwall war; das heißt, der Wind kommt nicht von Seeseite, sondern von Landseite.“ Dies sei eine vollkommen nachvollziehbare Entscheidung des Kapitäns gewesen: „Dann wird man, wenn der Anker nicht halten sollte, ins tiefe Wasser getrieben und nicht auf die Küste. Außerdem kann sich zwischen Küste und ankerndem Schiff keine relevante Welle aufbauen, da der Abstand viel zu gering ist. Insofern war die Wahl des Ankerplatzes richtig, man könnte sagen Lehrbuchmäßig.“
Deutscher Skipper nennt zwei mögliche Ursachen für Yacht-Drama vor Sizilien – „Hat zu der Tragödie geführt“
Der erfahrene Segler hat eine Vermutung zur Unglücksursache, wie er IPPEN.MEDIA erklärte: „Die Superyacht hatte das Problem, dass sie einen Lifting Keel (variabler Kiel; Anm. d. Red.) hatte, der ausgefahren zehn Meter, eingezogen vier Meter tief ist. Da auf 15 bis unter 20 Metern geankert wurde, hat der Kapitän vermutlich zumindest teilweise den Kiel eingezogen.“ Dies sei zunächst kein Fehler des Kapitäns der Luxusyacht, betont Schlecht. „Kann man machen, da ja keine Segel gesetzt waren.“
Der erfahrene Skipper ergänzte aber auch, dass dies in Verbindung mit den Wetterbedingungen fatale Auswirkungen gehabt haben könnte. „In diesem konkreten Fall der Windhose hat dies möglicherweise zu der Tragödie geführt“, glaubt Schlecht. „Wenn der Kiel oben war, kann dies in extremer Windsituation soviel Druck auf den Mast und die Aufbauten auf dem Deck bewirken, dass das Schiff kentert.“ Zwar sei zu vermuten, dass „auch mit hochgezogenem Kiel und ohne gesetzte Segel man eigentlich davon ausgehen kann, dass das Schiff genügend Stabilität hat“, so Schlecht weiter. Doch das Wetter sei „halt sehr extrem“ gewesen. „Und vermutlich kamen viele geöffnete Luken und Türen hinzu“, benennt der Skipper eine weitere Unglücksursache.
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Chef von Schiffbauunternehmen sieht „lange Reihe von Fehlern“ – Passagiere „saßen in einer Falle“
Letzteres glaubt auch Giovanni Costantino, Chef der Italian Sea Group. Zu dieser gehört auch die Firma Perini Navi, welche die „Bayesian“ gebaut hatte. Am Donnerstag gab er die Einschätzung ab, dass die Tragödie hätte vermieden werden können. „Alles, was getan wurde, offenbart eine sehr lange Reihe von Fehlern“, sagte Costantino der italienischen Zeitung Corriere della Sera. Es müsse immer eine Wache auf einem Schiff geben, wenn dieses irgendwo vor Anker liege, so Costantino: „Wenn es eine Wache gegeben hätte, hätte sie den aufziehenden Sturm nicht übersehen können.“ Auch Wetter-Experte Jörg Kachelmann hatte diesbezüglich von „Fahrlässigkeit“ gesprochen..
Laut dem Italian-Sea-Group-Chef hätte man die Passagiere warnen müssen und alle Türen und Luken geschlossen werden müssen. Stattdessen sei offenbar Wasser in das Schiff eingedrungen, während die Gäste noch in den Kabinen waren, befand Costantino: „Sie saßen in einer Falle, diese armen Leute endeten wie Mäuse.“
Erfahrener Skipper kritisiert Bauweise der Superyachten – „Grenzen überschritten“
Skipper Schlecht gab indes an, dass „kurz nach Mitternacht der schreckliche Wind“ gekommen sei. „Das Boot bewegte sich heftig am Anker“, analysierte der Skipper die Trackingdaten: „Ich vermute, dass der Anker schließlich abrutschte (oder brach, was eher unwahrscheinlich ist), denn das Boot glitt mit 2,6 Knoten davon.“

Auch die Bauweise der Superyacht „Bayesian“ hat nach Ansicht des Skippers eine entscheidende Rolle gespielt, warum es zu dem fatalen Unglück kommen konnte. „Der extrem hohe Mast bot dem Extrem-Wind genügend Widerstand, sodass die Windhose das Boot zum Kentern brachte“, sagte Schlecht. Der erfahrene Skipper kritisierte, bei Superyachten gebe es den „beständigen Versuch, noch mehr Speed aus ihren Booten herauszukitzeln. Und dabei werden dann Grenzen überschritten. Dass es dann zu Todesopfern kommt, ist natürlich sehr bedauerlich“. 15 Menschen kamen gerade noch von Bord und wurden von einem deutschen Kapitän und seiner Crew gerettet.
Er selbst fahre derzeit ein 14 Meter langes Segelboot. Bei diesem habe er Anpassungen vorgenommen: „Bei uns ist der Mast um zwei Meter verkürzt, aus Sicherheitsgründen.“ In Italien laufen derweil die offiziellen Ermittlungen zu dem Yacht-Unglück. Wie es letztlich dazu kam, müssen nun die Behörden klären. (kh)