„Im Geist der Freiheit“ – Dialog in der Zunftstube durch den Historischen Verein Memmingen

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Christoph Engelhard (links) im Dialog mit Dr. Reinhard Baumann, der bei der Veranstaltung sein neues Buch mit dem Titel „Allgäuer Freiheit“ vorstellte. © Schilder

Im März 1525 zeigte sich die Reichsstadt Memmingen offen für Verbesserungsgespräche mit dem „gemeinen Mann“. In Folge treffen sich 50 Vertreter der oberschwäbischen Bauern in der Memminger Kramerzunft.

Memmingen – Der Historische Verein Memmingen e.V. knüpft an die Ereignisse vor fast 500 Jahren an und lädt Persönlichkeiten aus der Region zum Gespräch über Fragen von Freiheit und Teilhabe gestern und heute in die Kramerzunftstube am Weinmarkt ein. „Im Geist der Freiheit – Dialog in der Zunftstube“, so ist diese Veranstaltungsreihe betitelt, die eingebettet ist in das Programm rund um das 500-jährige Jubiläum der Abfassung der „Zwölf Bauernartikel“. Beim jüngsten Dialog war der Historiker und Politologe Dr. Reinhard Baumann zu Gast, der im Zwiegespräch mit Christoph Engelhard, 1. Vorsitzender des Historischen Vereins, die zahlreichen Gäste in der Zunftstube mit seinen fundierten Kenntnissen über den Bauernkrieg von 1525 fesselte.

Dialog zum Bauernkrieg in der Zunftstube Memmingen: Historiker Dr. Reinhard Baumann zu Besuch

Baumann führte zu Beginn aus, wie er zur Geschichtsforschung kam. Bereits in seiner Kindheit habe sein Vater ihn für die lokale Geschichte begeistert. Daher lag es nahe, dass er nach seinem Abitur für das Lehramt studierte. Das Fach Geschichte bildete dabei den Schwerpunkt seines Studiums. Bei Prof. Karl Bosl in München legte er mit einer Studienarbeit auch den Grundstein für seine Erforschung der Kultur- und Sozialgeschichte des Landsknechtswesens, welche 1994 in seinem Buch „Landknechte“ ihren Niederschlag fand. Das Buch gilt heute als Standardwerk und brachte Baumann in Berührung mit dem Bauernkrieg.

Memmingen Vorstellung Buch Allgäuer Freiheit
Christoph Engelhard (links) und Dr. Reinhard Baumann, der bei der Veranstaltung sein neues Buch mit dem Titel „Allgäuer Freiheit“ vorstellte. © Schilder

Bauernkrieg aus Sicht der Landknechte und Bauern

Baumann skizzierte in seinen Ausführungen Parallelen zwischen den Landknechten und den Bauern. So gab es nicht nur im Heer von Georg von Frundsberg Landsknecht-Haufen, sondern auch der Begriff „Bauernhaufen“ lässt auf die militärische Struktur und Ordnung der Bauern schließen. Haufen war damals, anders als heute, kein Begriff etwa für Unordnung, sondern beschrieb eine militärische Formation, die unter Umständen mehrere tausend Soldaten umfassen konnte und in mehrere Fähnlein untergliedert war. Erst später habe sich der Begriff Regiment (für Haufen) und Kompanie (für Fähnlein) durchgesetzt. Die Bauern hätten, so Baumann, das bekannte Militärbild nachvollzogen einschließlich dessen Organisationsformen. So seien die Gesandten der Bauern, die später nach Memmingen geschickt wurden, durch Mehrheit gewählt worden.

Das Verfahren der sogenannten „Handmehr“, welches die Bauern dabei angewandt haben, ist heute noch in der Schweiz üblich und bedeutet die durch erhobene Hände bezeugte Stimmenmehrheit, die eine Abstimmung oder Wahl entscheidet. Ähnliche Verfahren finde man auch bei den Landsknechten. Baumann machte dies am Beispiel des „Rechts der langen Spieße“ oder Lanzengericht deutlich. Kam es zu unehrenhaften oder besonders schweren Straftaten, die die Ehre des gesamten Landsknechtsfähnleins oder -regiments befleckten, so traten der Profoss, ein mit der Regimentspolizei beauftragter Militärbeamter, der sich in seinem Regiment um die Durchsetzung und Einhaltung der Feldordnung unter den Landsknechten zu kümmern hatte, als öffentlicher Ankläger und die Landsknechtsgemeinde als Richter auf, die dann ein Urteil empfahl: Freispruch, Gnadenspruch oder Todesurteil. Traten die Landsknechte mehrheitlich für das Todesurteil ein, vollzogen sie die Todesstrafe in der Spießgasse. Richter und Henker waren in diesem Fall die Landsknechte selbst, die mit den zustoßenden Spießen die Schandtat straften und damit die Ehre der Fahne wiederherstellen konnten.

Frühe Form der Demokratie

Die anschließende Frage, ob man das Bauernparlament durchaus als frühe Form der Demokratie verstehen könne, bejahte Baumann. Die Gesandten hätten ein imperatives Mandat (lateinisch imperativus ‚befehlend, zwingend, bindend‘) inne und waren somit an Aufträge ihrer Wähler gebunden. Es sei auch bekannt, dass sich in den Reihen der Bauern ehemalige Landsknechte verdingt haben, die die militärischen Strukturen eingebracht hätten. Leider gebe es keine verlässlichen Quellen über die Anzahl ehemaliger Landsknechte in den Bauernhaufen. In diesem Zusammenhang erläuterte Baumann die Rolle des Feldschreibers, die mehr oder weniger akribisch die Soldlisten und ähnliche Unterlagen führten und mit der heutigen Truppenverwaltung verglichen werden könnten. Auf die Frage aus dem Publikum, warum die Bauern unterlegen waren, führte Baumann mehrere Gründe an.

Unter anderem sei es an der fehlenden Kavallerie, der unterlegenen Artillerie und der mangelhaften Nachschuborganisation gelegen. Mit der Frage, welche Freiheit denn im 3. Bauernartikel gemeint sei, wenn die Bauern fordern „Wir wollen frei sein“, leitete Christoph Engelhard am Ende der Veranstaltung auf die Vorstellung des neuesten Buches von Dr. Reinhard Baumann über, das seit kurzem im Buchhandel erhältlich ist. Es trägt den Titel „Allgäuer Freiheit“ und widmet sich den vielschichtigen Freiheiten der Bauern im Allgäu und der Bürger in den Reichs- und Landstädten.

Damit sei auch die gestellte Frage beantwortet; denn es ging den Bauern vor allem darum, die Leibeigenschaft zu beenden mit dem Evangelium als Vorbild und der Erlösung aller Menschen durch Christus. Doch um die Erlangung der Freiheit gab es immer wieder blutige Kämpfe, besonders im großen Bauernkrieg 1525.

Zur Person: Dr. Reinhard Baumann

• Geb. 1948 in Immenstadt im Allgäu

• Abitur 1967 am Maristenkolleg Mindelheim

• 1967 - 1969 Wehrdienst • 1969 - 1977 Studium der Geschichte, Germanistik, Soziologie und Politikwissenschaften an der LMU München

• 1975 Staatsexamen für das höhere Lehramt in Geschichte, Deutsch und Sozialkunde

• 1977 Promotion in Geschichte an der LMU München (Bayerische Landesgeschichte bei Professor Karl Bosl)

• 1979 - 2011 Gymnasiallehrer am Städtischen BertoltBrecht-Gymnasium München, ab 1998 Fachbetreuer Deutsch

• 1996 - 2022 stellvertretender Vorsitzender des Memminger Forums für Regionalgeschichte

• 2019 Preisträger des EugenLiedl-Preises Pro Suebia – für Schwaben

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