Im Ukraine-Krieg verhoben: Putin-Freund Orbán kritisiert Russlands Militär scharf

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

„Best Buddies“: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán (links) und Wladimir Putin verbinden gemeinsame Interessen – dennoch gehört Ungarn zur Europäischen Union genauso wie zur Nato. © Grigory Sysoyev/imago

Putins Truppen hätten gegen die Ukraine keine Chance, erklärt Viktor Orbán; gegen die Nato schon gar nicht. Ihm geht die westliche Aufrüstung zu weit.

Budapest – „Buddies“ heißt so etwas heutzutage – das, was die beiden füreinander sind: Wladimir Putin und Viktor Orbán. Jedenfalls hat die in Wien erscheinende Presse den ungarischen Staatschef und den Diktator aus Russland so tituliert. Newsweek berichtet jetzt darüber, dass Orbán Besorgnis darüber ausdrücke, dass sich sein ziemlich bester Freund mit dem Ukraine-Krieg verhoben haben könnte. Er schlussfolgert daraus, dass Putin keine Bedrohung für die Nato darstelle und er sowohl in Brüssel als auch in Washington „Stimmungsmache für einen direkten militärischen Konflikt“ wahrnehme, wie er gegenüber dem Magazin Ungarn heute geäußert hat.

Wenn die Russen stark genug wären, um die Ukrainer auf einen Schlag zu besiegen, wären sie besiegt worden, aber das ist nicht das, was wir sehen“, sagte Orbán in der Sendung „Guten Morgen, Ungarn“ auf dem staatlichen Sender Kossuth Rádió – um im gleichen Atemzug die russischen Ambitionen auf den Westen klein zu reden. Die Nato sei hundert- oder vielleicht tausendmal stärker als die Ukraine, so dass es nicht im Interesse Russlands liege, das Verteidigungsbündnis anzugreifen, wie er sagte.

„Die meiste Zeit tariert die ungarische Regierung ihre Verpflichtungen gegenüber den westlichen Bündnissen mit einer pragmatischen Politik gegenüber Russland aus.“

Orbáns pro-russische Rhetorik finde ihre Wurzeln im „nationalen Freiheitskampf gegen Bevormundung durch die EU“, meint Dániel Hegedűs. Orbán habe seine Bewunderung für Putin nie verhehlt und sehe in ihm einen starken nationalen Führer, der gegen „korrupte“ liberale Regeln vorgehe und für „traditionelle“ soziale Werte einstehe, schreibt Hegedűs für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Die meiste Zeit tariert die ungarische Regierung ihre Verpflichtungen gegenüber den westlichen Bündnissen mit einer pragmatischen Politik gegenüber Russland aus.“

Orbán phantasiert: Nicht Ungarns Bevölkerung leide, sondern die der Ukraine

Noch im März vergangenen Jahres hatte der Vorsitzende der rechtsgerichteten Fidesz-Partei gegen seine eigentlichen Vertragspartner gewettert: „Seit einem Jahr gibt es Krieg und Verwüstung. Die europäische Wirtschaft leidet seit einem Jahr. Wir zahlen den Preis für diesen Krieg seit einem Jahr. Aber Brüssel hat keinen Friedensplan. Nicht Sanktionen, sondern Friedensgespräche werden diesem Krieg ein Ende setzen!“, worauf Zsuzsanna Szelényi hinweist. Sie hat diese inner-ungarische Kampagne der Regierung für den Thinktank Robert Bosch Academy beleuchtet und als Lüge betitelt: Nicht Ungarns Bevölkerung leide, sondern die der Ukraine. Orbán und seine Partei wollen sich aus dem Konflikt heraushalten – was sie aufgrund ihren Bündnisverpflichtungen schwer bewerkstelligen können.

Anfang Mai war Orbán bereits im Radio zu hören gewesen und hat so etwas wie eine Verschwörungstheorie vorgestellt – ein Krieg hinterlasse nie nur Verlierer, sondern forme auch Gewinner, wie er meinte: „Ich schaue mir jetzt die Entscheidung des US-Kongresses an, ich habe dem US-Präsidenten vor ein oder zwei Monaten zugehört, und er hat sehr deutlich gesagt, dass die US-Wirtschaft von der Unterstützung der Waffen an die Ukraine profitiert – sagte zuerst der Außenminister, dann der US-Präsident. Jetzt haben sie diese Entscheidungen über 60 und einige Milliarden Dollar an Militärhilfe getroffen, die offensichtlich, wenn man sich die interne Struktur anschaut, eigentlich ein riesiger militärisch-industrieller Auftrag an die US-Industrie ist.“

Orbán fabuliert: „Ernsthafte Kräfte“ aus Wirtschaft und Politik stecken hinter dem Krieg

Ihm zufolge stecke weniger Putin hinter dem Ukraine-Krieg als vielmehr „ernsthafte Kräfte“ aus Wirtschaft und Politik. Deshalb ergebe sich die aktuelle Spannung eben daraus, dass die Zahl der Kriegsgegner ständig wachse, „während die europäischen führenden Politiker in Richtung Krieg – ich sage nicht, dass sie marschieren, aber – jeden Tag immer weitere Schritte in Richtung Krieg unternehmen“, wie er sagt. Orbáns Vorhaltungen spiegeln sich offenbar in den Überzeugungen seiner Bevölkerung: Dort glaubt niemand mehr an einen Sieg der Ukraine, wie eine im Februar veröffentlichte Umfrage des in Berlin ansässigen Thinktanks European Council on Foreign Relations ergeben hat – fast 20.000 Menschen in zwölf Ländern waren befragt worden.

Durchschnittlich jeder Zehnte glaubt noch an die Ukraine – nur in Griechenland und Ungarn ist das anders. Dort setzt im Gegenteil jeder Dritte auf einen militärischen Sieg Putins. Seit einem Vierteljahrhundert gehört der ehemalige Vasallenstaat des Warschauer Paktes dem westlichen Verteidigungsbündnis an und verhält sich, als stecke er in einem zu kleinen Anzug: Schweden war beispielsweise ein erklärter Kritiker der Verhältnisse in Ungarn, weswegen Orbáns Regierung verschnupft auf die Aufnahme der Skandinavier als 32. Mitglied in die Nato reagiert habe – das Ergebnis war sogar einen Post des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg auf X (vormals Twitter) wert – der Tagesspiegel verlinkte darauf, als demonstriere er die Ausgelassenheit über eine geglückte Zangengeburt.

Die ungarische Regierung hatte seine Zustimmung verweigert, bis ihr Schweden Jas 39 Gripen-Kampfflugzeuge verkauft hat – möglicherweise zu einem Schnäppchen-Preis, wie der Tagesspiegel implizit andeutet. Auf die Kritik der verzögerten Zustimmung hatte Ungarns Regierung erklären lassen, dass sie betone, Ungarn verfolge eine souveräne und unabhängige Außenpolitik parallel zum Bekenntnis zum Atlantischen Bündnis, wie das Medium Ungarn heute berichtet hat. Orban argumentiert offen mit dem drohenden Verlust des Lebensstandards durch das Weltkriegs-Szenario der Nato – die hat ja verpflichtend für jeden Partner vorgeschrieben, zwei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung auszugeben. Und tatsächlich steht Ungarn mit 2,4 Prozent für das vergangene Jahr besser da als Deutschland, das erstmals in 2023 die Marke erreicht hat, und deutlich besser als Frankreich mit 1,9 Prozent, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet.

Orbán manövriert: Ungarn soll Mittelmacht zwischen den Blöcken werden

Das scheint Orbán aber auch schon für die Schmerzgrenze zu halten. Gegenüber Ungarn heute äußerte er seine Bedenken, dass mit einem Fortgang des Krieges auch die Verteidigungsausgaben zu erhöhen seien – Klassenprimus in der Nato ist beispielsweise Polen mit 3,9 Prozent des BIP: „Wenn wir sie erhöhen müssen, werden wir weniger für andere Dinge haben. Das sind also quälende wirtschaftliche Fragen. Wirtschaftspolitik zu machen und eine Wirtschaft im Schatten des Krieges zu führen ist schwierig und erfordert enorme Anstrengungen, und die Früchte und Ergebnisse sind geringer als in Friedenszeiten“, sagte Orbán.

Orbán treibe opportunistisches Kalkül, behauptet die Wissenschaftlerin Zsuzsanna Szelényi – er sucht für sein Land eine Position zwischen den Blöcken. So wie Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron innenpolitisch zu punkten versucht, indem er klaren Kurs auf Konfrontation mit Russland nimmt, scheint Viktor Orbán seine Position als politisches Gelenk zwischen westlichen Bündnissen und einem künftigen östlichen Machtzentrum zu suchen – für die Zeit, in der die Unterstützung für die Ukraine versiegt ist, will er sich frühzeitig zur Avantgarde stilisiert haben, vermutet Zsuzsanna Szelényi. Ungarn sehe er als künftige Mittelmacht. „Orbán geht große Risiken ein und hofft, dass seine ,vernünftige Friedenspolitik‘ nach dem Ende des Krieges belohnt wird“, schreibt sie.

Ihr zufolge sei Orbán nicht pro-Putin, sondern Orbán sei pro-Orbán; dazu verfolge er eine, nach ihren Worten, „manövrierfähige Position“. Der Krieg lege wieder das Vergrößerungsglas auf Länder in Mitteleuropa – wovon ein Viktor Orbán enorm profitiert. Er selbst findet dafür vollmundigere Worte: „Deshalb wollen die Ungarn nicht einfach nur Frieden, sondern aufgrund der Erfahrungen des Weltkriegs, aufgrund der wirtschaftlichen Zusammenhänge, haben die Ungarn einen Instinkt für den Frieden.“ (KaHin)

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!