Warum die Konflikte mit der ÖVP die FPÖ kaum vom Regieren in Österreich abhalten werden

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FPÖ-Chef Kickl soll mit der konservativen ÖVP eine Koalition aushandeln. Bisher störten sich Österreichs Konservative nicht an der Nazi-Vergangenheit der Partei.

Wien – Der rechtsradikale FPÖ-Chef Herbert Kickl soll Österreichs nächste Bundesregierung bilden und dafür mit der konservativen ÖVP verhandeln. Das verkündete Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen am frühen Montagnachmittag in der Wiener Hofburg. ÖVP-Chef Christian Stocker bekundete bereits am Sonntag, seine Partei wolle mit der FPÖ verhandeln. Am Wochenende waren Koalitionsgespräche der ÖVP mit der Sozialdemokratie und den liberalen NEOS gescheitert. Die FPÖ ging aus den Wahlen in Österreich Ende September 2024 mit 29 Prozent als stärkste Kraft hervor. Herbert Kickl wäre der erste FPÖ-Kanzler Österreichs.

Politikwissenschaftler sieht 90-prozentige Wahrscheinlichkeit von FPÖ-Regierung in Österreich

Trotz diverser Konflikte, die zuletzt noch zwischen ÖVP und FPÖ schwelten oder offen ausgetragen wurden, rechnete der Wiener Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im ORF mit einer 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit damit, dass diese Koalition sich findet. Die ÖVP habe keine Alternativen mehr, da ihr bei Neuwahlen wohl kein bessere Ausgangspostion zu käme, würde sie wohl mit der FPÖ verhandeln. Einigkeit besteht in neoliberaler Wirtschaftspolitik und in auf Abschottung setzender Migrationspolitik. Trotzdem gebe es noch einige Punkte, über die Stocker wohl „hart verhandeln“ werde, so Filzmaier. Nur verhandelt die ÖVP als zweitstärkste Kraft im Parlament, dieses Mal erstmals als Juniorpartner mit der FPÖ.

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FPÖ-Chef Herbert Kickl will Österreich regieren. © JOE KLAMAR/APF

Kickl spricht von „Fahndungsliste“ – ÖVP nannte ihn einst ein „Sicherheitsrisiko“

Kickl sprach vor der Wahl von einer „Fahndungsliste“, auf die er politische Gegner gesetzt habe und verlangte stets, dass Österreich den autoritären Weg des ungarischen Premiers Viktor Orbáns beschreite. ÖVP-Spitzenpolitiker, auch der noch amtierende Kanzler Karl Nehammer, bezeichneten Kickl konsequent als „Sicherheitsrisiko“. Ein Überblick über die Konflikte zwischen FPÖ und ÖVP und wie diese in früheren ÖVP-FPÖ-Koalitionen aus dem Weg geräumt wurden.

Die liberale österreichische Tageszeitung Standard listete am Montag, das ablehnende Verhältnis der FPÖ zur EU, die österreichischen und europäischen Hilfen für die Ukraine, die europäische Luftverteidigungsinitiative Sky Shield, die Aufarbeitung der Corona-Zeit, die Verbindungen der FPÖ zur extremen Rechten, die FPÖ-Medienpolitik, die ÖVP-Initiativen für mehr Überwachung und gegen Hass im Netz, sowie diverse persönliche Streitigkeiten als mögliche Probleme auf.

Rechtsextreme Verbindungen und Nazi-Vergangenheit der FPÖ waren der ÖVP bisher egal

Ein Großteil dieser Punkte wurde allerdings von der FPÖ bereits entweder abgeräumt, oder in frühen Koalitionsverhandlungen bereits von der ÖVP ignoriert. Die FPÖ wurde in den 1950er-Jahren von Altnazis und Angehörigen des sogenannten deutschnationalen Lagers gegründet. Zu letzterem gehören auch die völkisch-nationalistischen Burschenschaften, aus denen die FPÖ schon immer ihr Personal rekrutierte. Dies spielte kaum eine Rolle für die ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz, die von 2000 bis 2007 beziehungsweise 2017 bis 2019 mit der FPÖ oder ihren Abspaltungen regierten. Ob die Verbindungen der FPÖ zur extremen Rechten, die auch Österreichs Inlandsgeheimdienst DSN dokumentierte, daher ein Hindernis für die ÖVP sind, wird von Beobachtern bezweifelt.

ÖVP in Niederösterreich akzeptierte FPÖ-Coronapolitik

Der mächtigste ÖVP-Landesverband im bevölkerungsreichsten Bundesland Niederösterreich, akzeptierte 2023 die Forderungen der FPÖ nach einem „Hilfsfonds für Coronafolgen“, aus dem etwa auch ein Impfgegner Hunderttausende Euro zugesagt bekam. Ebenso akzeptierte die dortige ÖVP, dass die FPÖ mit Parteigeldern in rechtsextremen Parallelmedien inserierte. Das berichtete das österreichische Nachrichtenmagazin Profil im Frühjahr 2024.

Ebenso wurden der ÖVP Niederösterreich immer wieder Interventionen im dortigen Landesstudio des öffentlich-rechtlichen ORF vorgeworfen. 2019 ließ die ÖVP die Koalition mit dem Juniorpartner FPÖ auch platzen, weil der damalige Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache im heimlich aufgenommen „Ibiza-Video“ davon sprach, die Boulevardzeitung Krone mit Geld einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte auf Linie zu bringen.

Außen- und Sicherheitspolitik in Österreich kein Thema – Akzeptiert die ÖVP die Wünsche der FPÖ?

In europapolitischen Fragen, schrieb die FPÖ bereits kurz nach der Wahl, in einem Verhandlungsangebot an die ÖVP, dass der gemeinsame Europäische Wirtschaftsraum außer Frage stehe. Dem Standard zufolge lehnte Kickl im „Patriotischen Manifest“, das er mit Orbán und dem tschechischen Populisten Andrej Babiš unterzeichnete, die EU als Währungs- und Sicherheitsunion ab. Insbesondere letzteres zeigte sich auch in der Ablehnung des Luftverteidigungssystems Sky Shield, der Ablehnung der Ukraine-Hilfen und der Russland-Sanktionen.

Allerdings sind Außen- und Sicherheitspolitik in neutralen Österreich traditionell irrelevante Themen. Die ÖVP war vor der Wahl von Sebastian Kurz zum ÖVP-Chef und Bundeskanzler stolz auf ihr Erbe als Partei, die Österreich maßgeblich in die EU führte. Seit Kurz ist es allerdings auch in der ÖVP auch üblich, wenn auch in gemäßigtem Ton, Schuld zentraler Probleme des Landes nach Brüssel abzuschieben.

Räumt die ÖVP für Koalition mit der FPÖ die Ideen der eigenen Ministerinnen ab?

Das von der ÖVP geforderte Maßnahmenpaket gegen Hass im Netz wurde von zwei ÖVP-Ministerinnen erarbeitet, die bereits angekündigt haben, aus der Regierung auszuscheiden. Die FPÖ sieht solche Gesetze als „Zensurwerkzeuge“ und will auch den Tatbestand der Verhetzung, in Deutschland etwa Volksverhetzung, reformieren, da dieser überschießend sei. Als ÖVP-Chef und Kanzler lobte Nehammer im Dezember noch den rechten US-Milliardär Elon Musk für die „Meinungsfreiheit“ auf dessen Plattform X, die inzwischen messbar zu einem Hort rechtsextremer Hetze wurde.

Bleiben die persönlichen Streitigkeiten: So war dem ORF zufolge bereits gestern aus FPÖ-Kreisen zu hören, dass man den neuen ÖVP-Chef Christian Stocker seiner scharfen Kritik an Kickl als Provokation betrachte. Andererseits leben Stocker und FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz im selben Wiener Vorort und ihre Landesverbände koalieren bereits in Niederösterreich. Und auch der ehemalige FPÖ-Chef Strache und ÖVP-Chef Kurz gingen sich vor Wahl 2017 scharf an. Schließlich scheint vieles auf Filzmaiers Prognose hinzudeuten, der zufolge die ÖVP Kickl zum Kanzler machen wird. (kb)

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