Nach Bauernprotesten: Landwirtschaftsminister schlägt „Tierwohl-Cent“ zur Beruhigung vor
Özdemirs „Tierwohl-Cent“-Vorschlag lässt CSU „Verteuerung der Lebensmittel“ fürchten
Im Streit um den Agrardiesel will die Bundesregierung den wütenden Bauern nicht nachgeben – ihnen aber an anderer Stelle entgegenkommen. Der Landwirtschaftsminister schlägt eine Tierwohlabgabe vor.
München – Es geht jetzt buchstäblich um jeden Cent. Seit Montag und der Großdemonstration in Berlin ist die Bundesregierung sichtlich bemüht, den Zorn der Bauern zu drosseln. Der Abbau von Bürokratie sei ein Hebel, an dem man ansetzen könne, heißt es, aber am Ende geht es natürlich vor allem ums Geld. Eine Tierwohlabgabe könne eine Antwort sein auf die Verluste der Bauern durch die künftige Besteuerung des Agrardiesels. Cem Özdemir gebraucht allerdings eine Vokabel, die weniger bürokratisch klingt – und gar nicht teuer. Der grüne Bundeslandwirtschaftsminister spricht von einem „Tierwohlcent“.

Mit diesem Instrument will der Minister die Bauern dabei unterstützen, ihre Ställe umzubauen mit dem Ziel einer tiergerechteren Haltung. Der damit verbundene Aufwand, logistisch und finanziell, ist groß, weiß Özdemir. Sein Ministerium und das Finanzressort könnten ein Modell dafür schnell aufschreiben, versichert er. Aber dazu brauche es jetzt ein „klares Bekenntnis“ der gesamten Ampel und die Unterstützung der Opposition. „Wer sich da vom Acker macht, zeigt der Landwirtschaft die rote Karte.“
Frustration der Bauern: Ampel-Koalition will jetzt beim Umbau von Ställen helfen
Der Eindruck von Tatkraft und gebotener Eile trügt allerdings ein wenig. Denn neu ist die Idee in Wahrheit gar nicht, egal ob nun Abgabe oder Cent draufsteht. Özdemir selbst wirbt schon länger dafür, und auch ein konkreter Vorschlag für die Umsetzung liegt seit Jahren auf dem Tisch. Eine nach dem früherem CDU-Agrarminister Jochen Borchert benannte Kommission mit Experten und Entscheidern aus Politik, Wissenschaft und Landwirtschaft hatte seit 2019 Vorschläge erarbeitet, um die Bauern beim Umbau ihrer Ställe spürbar zu entlasten. Würde je Kilogramm Fleisch eine Abgabe von 40 Cent erhoben, 15 Cent pro Kilo Käse und Butter sowie zwei Cent je Kilo Eier und Milchprodukte, ergäbe das jährlich eine Summe von rund 3,6 Milliarden Euro. Jeden Bürger würde das rund 35 Euro mehr kosten.
Die Tierwohlabgabe ist keine Erfolgsgeschichte. Im Sommer 2023 löste sich die Kommission auf, entnervt vom fehlenden Willen der Politik, die Vorschläge umzusetzen. Die Pläne lagen bereits 2020 vor, doch weder GroKo noch Ampel wagten sich heran. Die aktuelle Regierung hat eine Milliarde als Anschubfinanzierung bereitgestellt – aber nur bis 2026 und begrenzt auf die Schweinehaltung.
CSU skeptisch wegen „Tierwohl-Cent“: „Würde zu einer Verteuerung der Lebensmittel führen“
Während die Bauern mit Blick auf die Geschichte der Kommission skeptisch reagieren, regt sich in der Politik etwas. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) argumentiert, wenn man die Probleme nicht über eine Veränderung im Mehrwertsteuersystem angehen wolle – die mit dem Koalitionspartner FDP utopisch sein dürfte –, sei ein „Tierwohlcent“ der sinnvollste Ansatzpunkt. Auch Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) unterstützt den Plan. „Mehr Tierschutz und höhere Standards kosten mehr Geld“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Alexander Dobrindt (CSU) lehnt die Idee hingegen strikt ab: „Das würde zu einer weiteren Verteuerung der Lebensmittel führen.“
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Eine Umfrage der Uni Hamburg ergab 2023, dass die Bürger eine moderate Erhöhung der Fleischpreise hinnehmen würden. Die Akzeptanz war höher, wenn die Abgabe über das Tierwohl begründet wurde, als über den Klimaschutz. Weniger wohlwollend klingt Veronika Grimm. Im Handelsblatt übt die Wirtschaftsweise scharfe Kritik. Statt „vieler kleinteiliger Ideen, die jetzt wieder hervorgeholt werden“, brauche es eine „Reformagenda aus einem Guss, die man den Menschen erklären kann“. Dazu aber fehle der Ampel die Kraft. (Marc Beyer)