„2023 war Realitäts-Check“: Deutsche Unternehmen investieren ohne große Euphorie weiter in China
Deutsche Firmen setzen weiter auf Geschäfte in China, mehr als die Hälfte will zeitnah investieren. Doch die China-Begeisterung ist kühlem Wettbewerbskalkül gewichen.
Der China-Optimismus ist wieder gestiegen. Zwar machen sich deutsche Firmen keine Illusionen über die kurzfristige wirtschaftliche Entwicklung Chinas; 2023 war für viele ein enttäuschendes Jahr. Und doch wollen 55 Prozent der Firmen auch weiter in der Volksrepublik investieren. Das ergab der am Mittwoch in Peking vorgestellte Geschäftsklimaindex der Deutschen Handelskammer (AHK) in China. 83 Prozent sehen demnach die chinesische Wirtschaft im Abwärtstrend. Aber immerhin 79 Prozent erwarten trotzdem in den nächsten fünf Jahren ein kontinuierliches Wachstum in ihrer eigenen Branche.
91 Prozent wollen China treu bleiben; 54 Prozent planen sogar, in den kommenden beiden Jahren in der Volksrepublik zu investieren. Es ist ein kleines Zeichen der Aufhellung – auch wenn die Euphorie der Jahre vor der Pandemie derzeit nicht spürbar ist. In den Umfragen zwischen 2018 und 2021 hatten immer etwa zwei Drittel angegeben, ihre Investitionen ausweiten zu wollen.
Geplante China-Investitionen: Wettbewerbsfähigkeit ist zentrales Thema
„Der Markt mag langsamer wachsen, und es könnte in Zukunft mehr Unebenheiten auf dem Weg geben“, sagte AHK-Vorstandschef Ulf Reinhardt. „Aber China ist ein so großer Markt, dass selbst ein geringes Wachstum aufgrund seiner schieren Größe von Bedeutung ist.“ 2023 wuchs Chinas Wirtschaft um 5,2 Prozent. Fast zwei Drittel jener, die eine Konjunkturschwäche sehen, glauben zudem, dass diese nur ein bis drei Jahre anhalten werde. Sechs Prozent gehen gar davon aus, dass Chinas Wirtschaftskrise noch innerhalb dieses Jahres überwunden werde.
Ob die alte Begeisterung zurückkehrt, ist trotzdem fraglich – schon allein angesichts der De-Risking-Debatte in Europa und der geopolitischen Spannungen. Hinzu kommt, dass 54 Prozent der befragten Unternehmen finden, dass die Attraktivität Chinas als Investitionsstandort generell abnehme. 79 Prozent der investitionswilligen Firmen sagten, dass Investitionen nötig seien, um in China konkurrenzfähig zu bleiben. „Wir spüren, dass Investitionen von der Notwendigkeit bestimmt werden, im Spiel zu bleiben und nicht zurückzufallen“, sagte Reinhardt.
Deutsche Firmen in China: Komplexe Stimmungslage
Es ist also eine komplexe Stimmungslage in der deutschen Wirtschafts-Community, die der diesjährige AHK-Geschäftsklimaindex wiedergibt. Dem Optimismus für die eigene Branche vieler Firmen stehen vor Ort viele Herausforderungen gegenüber, darunter eben der gewachsene Wettbewerb durch lokale Firmen und der nach wie vor ungleiche Marktzugang in vielen Branchen. „Letztes Jahr war ein Realitäts-Check für deutsche Unternehmen in China,” kommentierte Reinhardt.
Genaue Daten zu Investitionen oder Plänen ermittelte die Umfrage indes nicht. „Es gibt anekdotische Belege, dass sich die Dinge verschieben. Wir sehen, dass die Firmenzentralen versuchen, ihr Risiko zu minimieren, aber immer noch Investitionen hier tätigen“, sagte Jens Hildebrandt, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Peking. „Haben diese Investitionen den gleichen Umfang, wie er vor drei Jahren geplant war? Ich weiß es nicht.“ Wenn eine Firmenzentrale aber in Indien und in China investiere, sei anzunehmen, dass es eine Verteilung der Projekte auf mehrere Länder gebe.
Dieser Trend westlicher Firmen bestätigen Chinas Daten: Ausländische Direktinvestitionen gingen 2023 um acht Prozent auf 1,13 Billionen Yuan (146 Milliarden Euro) zurück, wie das Handelsministerium am Freitag in Peking mitteilte. Trotz dieses Rückgangs sei das Investitionsvolumen aber noch immer „das dritthöchste in der Geschichte“.
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Deutsche Firmenzentralen betreiben De-Risking: China plus X
Denn bei vielen Firmen findet neben der Diversifizierung in Märkte wie Indien oder Vietnam auch noch etwas Gegenläufiges statt: Sie lokalisieren immer größere Bereiche in China selbst. 47 Prozent de der Firmen, die neue Investitionen planen, gaben an, dies aufgrund von Forderungen ihrer Geschäftspartner nach höheren lokalen Anteilen von Produktion oder Entwicklung zu tun. Und 28 Prozent aller Befragten betonten, dass eine größere Unabhängigkeit vom Hauptquartier in Deutschland helfe, lokale Innovationschancen zu nutzen.
Überhaupt ist das Innovationspotenzial aus Sicht der Befragten die größte Antriebskraft für die künftige Attraktivität des chinesischen Marktes. 37 Prozent sehen China zunehmend als Markt der Innovationen. Knapp die Hälfte kooperieren bei Innovationen mit ihren chinesischen Partnern und Kunden. Fünf Prozent gaben an, dass chinesische Wettbewerber bereits Innovationsführer in ihrer Branche seien – so viele wie noch nie in einer AHK-Umfrage.
AHK fordert in China faire Wettbewerbsbedingungen
Auch deshalb forderte die AHK die chinesische Regierung auf, endlich gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle zu schaffen. „Die meisten chinesischen Unternehmen haben kaum Anlass, Wettbewerb zu fürchten“, so Reinhardt. Viele der Befragten klagen zudem noch immer über rechtliche Unsicherheiten oder strikte Regeln zu Cybersicherheit und Datentransfer. Mehr als die Hälfte sieht sich bei öffentlichen Aufträgen im Nachteil – durch die Bevorzugung von Staatsfirmen, Intransparenz bei den Ausschreibungen oder den Ausschluss ausländischer Firmen von bestimmten Projekten.
Doch es gibt auch ein bisschen Hoffnung. Laut Hildebrandt herrscht in einigen Branchen „fast ein freier Markt“ – etwa in manchen Segmenten des Maschinenbaus oder vielen Konsumartikeln. Hier „tragen die Innovatoren und beweglichen Unternehmen den Sieg davon. Und das ist es, was wir uns für deutsche Unternehmen hier in China wünschen.“